Die Libelle und das Nashorn

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Wundersame Reise in die Nacht

Eine Frau kommt in eine fremde Wohnung, legt sich zu einem unbekannten Mann ins Bett und schläft mit ihm. So lakonisch läuft eine der irritierendsten Szenen in Die Besucherin ab, dem Erstling von Lola Randl. Welche Lust die Regisseurin an außergewöhnlichen Begegnungen hat, zeigt sie auch in ihrem zweiten langen Spielfilm Die Libelle und das Nashorn. Nur dass sie dieses Mal die Tonart wechselt. Statt ernstem Drama ein übermütiges Verwirrspiel, ganz getragen von einer Galavorstellung der herrlich unkonventionellen Fritzi Haberlandt.
Die Handlung spielt in einem Dortmunder Luxushotel, in dem die junge Schriftstellerin Ada Hänselmann (Fritzi Haberlandt) und der alternde Schauspielstar Nino Winter (Mario Adorf) gestrandet sind. Die beiden haben sich flüchtig auf einer gemeinsamen Lesung kennengelernt, bei der der eitle Mime seine Autobiografie mit dem bezeichnenden Titel Ich kam, sah und liebte vorstellte. Ada hat das Buch direkt in den Mülleimer entsorgt und ist auch sonst eher genervt von dem Getue des in die Jahre gekommenen Womanizers. Aber jetzt sitzen sie nebeneinander an der öden Hotelbar. Ninos Flug wurde gestrichen und Ada ist soeben von ihrem Freund verlassen worden, der sie eigentlich hätte abholen wollen. Um den alten Mann aus der Reserve zu locken, schlägt Ada ein Spiel vor. Jeder darf dem anderen fünf Fragen stellen. Daraus wird eine abenteuerliche Nacht, in der viel Überraschendes passiert.

Dass dieses Konzept funktioniert, ist — ähnlich wie bei Sofia Coppolas Meisterwerk Lost in Translation – vor allem der Schauspielkunst zu verdanken. Wobei Fritzi Haberlandt, anders als die leicht gelangweilte Scarlett Johansson, vor Abenteuerlust und Verrücktheiten nur so sprüht. Hatte ihr Rollenrepertoire immer schon etwas Spontan-Chaotisches, so treibt sie es hier auf eine amüsante Spitze. Sie ist gnadenlos ehrlos, unverschämt fantasiebegabt und unersättlich neugierig. Fast könnte man sagen, sie spielt ihren Partner an die Wand. Aber Mario Adorfs Rolle ist eben so angelegt, dass er praktisch nur sich selbst spielen muss: einen Star, dessen Strahlkraft langsam verblasst.

Lola Randl reichert den komödiantischen Selbsterfahrungstrip mit ein wenig Film noir an und gibt eine Prise angedeutetes Musical dazu. Aber ansonsten verlässt sie sich ganz auf ein zweisames Kammerspiel und auf die Themen ihres Drehbuchs. Die kreisen erneut um die Frage, wie es sich anfühlen würde, wenn man aus seinem Leben aussteigen könnte. Wie würde Nino aussehen, wenn er eine Frau wäre? Was hätte Ada erlebt, wenn sie ein Junge geworden wäre? Warum sind wir so geworden, wie wir sind. Und wie würde es sich anfühlen, wenn wir in die Haut eines anderen schlüpfen könnten?

Die Anleihen beim Film noir sind klug gewählt, denn die Reise in die Nacht basiert auf rätselhaften Charakteren und unberechenbaren Wendungen. Nur ist das nächtliche Dortmund halt nicht das nächtliche L.A. oder die Skyline von New York. So beschränkt sich die Abenteuerlust räumlich gesehen auf die Eroberung einer Hotelküche, um dort Spiegeleier zu braten. Bei knappem Budget müssen eben ein paar verrückte Ideen die fehlenden Locations ersetzen. Das ist Lola Randl auf ebenso intelligente wie unterhaltsame Weise gelungen.

Die Libelle und das Nashorn

Eine Frau kommt in eine fremde Wohnung, legt sich zu einem unbekannten Mann ins Bett und schläft mit ihm. So lakonisch läuft eine der irritierendsten Szenen in „Die Besucherin“ ab, dem Erstling von Lola Randl. Welche Lust die Regisseurin an außergewöhnlichen Begegnungen hat, zeigt sie auch in ihrem zweiten langen Spielfilm „Die Libelle und das Nashorn“.
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Meinungen

Jan · 28.10.2012

Wirklich sehr schöner Film. Mario Adorf ist großartig. Fritzi Haberlandt sowieso. Lustig und traurig zugleich.

Mirko · 18.09.2012

Habe diesen Film in Oldenburg beim Filmfewstival gesehen und war begeistert, Kann mich dem Kommentar von Oliver Mansfeld voll und ganz anschließen. So einen guten, witzigen und nicht albernen Film habe ich lange nicht gesehen.

Oliver Mansfeld · 03.07.2012

Einen in dieser Form amüsanten und zugleich intelligenten Film habe ich in Deutschland in den letzten Jahren nicht gesehen! Reingehen, reingehen, reingehen! Fritzi Haberlandt
spielt in einer nahezu überirdischen Dimension und Mario Adorf lässt sie und ist zugleich mehr Mario Adorf als ich ihn jemals gesehen habe.Grossartige Bilder, eine Inszenierung die mit einer Leichtigkit in die Tiefe geht. Ist diese Regisseuirin auf dem Weg uns endlich ieder eine wirklich internationale Filmemacherin zu bescheren? Ich bin auf den nächsten Film gespannt!