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Ein unauffälliger britischer Geschäftsmann wird Anfang der 1960er Jahre als Kurier in den immer heißer werdenden Kalten Krieg hineingezogen. Dominic Cookes Spionagethriller nach wahren Begebenheiten erzeugt keine atemlose Spannung, malt aber eine erstaunliche Episode im Kampf der Systeme aus.

Der Spion (2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Amateur in geheimer Mission

Spionagearbeit ist glamourös, sexy, führt an die exotischsten Orte und verlangt vor allem eine gute Ausdauer – dieses Bild hat zumindest die James-Bond-Reihe in die Köpfe vieler Zuschauer*innen eingepflanzt. Dass es beim Wirken der Geheimdienste oftmals schlicht darum geht, Informationen auszutauschen und Zugriff auf heikle Dokumente zu erhalten, wird im actionlastigen Agentenkino eher selten gezeigt. Nichtsdestotrotz gibt es Perlen wie Anton Corbijns John-le-Carré-Verfilmung „A Most Wanted Man“, die bedächtig und deutlich authentischer vom Spionagealltag erzählen. Der aus der Theaterbranche kommende Regisseur Dominic Cooke, der sein Leinwanddebüt mit der Ian-McEwan-Adaption „Am Strand“ ablieferte, folgt in „Der Spion“ dem realistischen Ansatz und schildert die Geschichte von Greville Wynne, der vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 als Kurier und Kontaktmann für eine russische Quelle rekrutiert wurde.

Anfang der 1960er Jahre spitzt sich, wie die Infotexte zu Beginn des Films erläutern, der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunionen derart zu, dass nicht wenige Menschen den Weltuntergang befürchten. Immerhin verfügen die beiden Großmächte über ein breites Atomwaffenarsenal. Verunsichert ist angesichts der gegenseitigen Drohungen auch der hochdekorierte sowjetische Oberst Oleg Penkovsky (Merab Ninidze), der sich über zufällig ausgewählte amerikanische Touristen hilfesuchend an die US-Botschaft in Moskau wendet und seine Dienste offeriert, um eine Eskalation des Kalten Krieges zu verhindern. Der MI6 in Person von Dickie Franks (Angus Wright) und die CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan) suchen nur wenig später nach einer Person, die unauffällig mit Penkovsky in Verbindung treten kann. Ins Auge springt ihnen der Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), den das Angebot bei ihrem ersten Treffen sichtlich amüsiert.

Die humorigen Untertöne, die Cooke und Drehbuchautor Tom O’Connor (Killer’s Bodyguard) an dieser Stelle einstreuen, sind gut gesetzt und leben von Cumberbatchs treffsicherer Performance. Komödiantische Elemente haben danach aber ausgedient. Grevilles Bereitschaft, für den Geheimdienst tätig zu werden, kommt angesichts seiner anfänglichen Zweifel etwas plötzlich. Will man sich wirklich für eine Sache einspannen lassen, über die man laut Franks und Donovan am besten so wenig wie möglich weiß? Ohne Kenntnis der Hintergründe und genauen Pläne begibt sich der Familienvater auf seine erste Moskaureise, wobei er seine Ehefrau Sheila (Jessie Buckley) nicht in seine neue Nebenbeschäftigung einweiht. Penkovsky und Wynne tauschen schon bald hochbrisante Hinweise zum sowjetischen Nuklearprogramm aus und fühlen sich rasch freundschaftlich verbunden.

Der Spion lässt die frühen 1960er Jahre auf lebendige Weise auferstehen. Das Szenenbild und die Kostüme wirken nicht so steril wie in manch anderen historischen Filmen. Und wiederholt werden Archivaufnahmen aus der damaligen Zeit in die Handlung eingebaut: Bevorzugt Ansprachen John F. Kennedys, in denen die stetige Zuspitzung der Lage greifbar ist.

Grevilles Arbeit für die Geheimdienste besteht aus Meetings und Paketlieferungen und erzeugt sicherlich keinen Dauernervenkitzel. Eine gewisse Grundspannung etabliert das Thrillerdrama allerdings schon früh. Zum einen, weil ein Auffliegen des Spionageamateurs jederzeit denkbar erscheint. Zum anderen, weil die wachsende Verantwortung und der zunehmende Druck private Streitigkeiten heraufbeschwören. Dem Misstrauen Sheilas, das aufgrund eines früheren Seitensprungs ihres Mannes irgendwann erwacht, hätte man gut und gerne noch etwas häufiger nachspüren können. Trotz diverser Auftritte wirkt ihre Figur leicht unterentwickelt.  

Die Ränkespiele und das zum Teil gewissenlose Taktieren der verschiedenen Geheimdienste schneidet Der Spion in einzelnen Szenen an. Auch hier wäre jedoch etwas mehr Tiefgang wünschenswert gewesen. Angesichtes der begrenzten Spielfilmlaufzeit sind Cooke und O’Connor gezwungen, einige Erkenntnisse und Ereignisse – unter anderem das Aufkommen der Kubakrise – stark zu komprimieren. Verständnisprobleme oder handfeste Frustration über die Verknappungen und den zuweilen episodenhaften Charakter der Erzählung stellen sich zwar nicht ein. Manchmal drängt sich aber der Gedanke auf, dass eine Miniserie besser zu diesem Stoff gepasst hätte.

Spannungstechnisch legt Der Spion vor und während des dritten Aktes zu, der sich außerdem in Bildgestaltung und Inszenierung von der bisherigen Aufmachung abhebt. Die Stimmung wird klaustrophobischer und das Spiel Cumberbatchs spürbar eindringlicher. Eben hier kommt es noch einmal zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen Wynne und Penkovsky, die ungeachtet der grauenvollen Umstände Hoffnung versprüht. Manche Veränderungen beginnen im Kleinen, ist die Botschaft, die wir am Ende aus dem Kino mitnehmen dürfen.

Der Spion (2020)

Der Spion Greville Wynne und seine russische Quelle versuchen die Kuba-Krise zu beenden.

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