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Ob die richtige Filmsprache schon gefunden ist, um Ian McEwans Literatur fürs Kino zu adaptieren? Dominic Cooke hat mit „Am Strand“ einen Versuch gewagt.

Am Strand (2018)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Die perfekte Filmsprache

Um das auszudrücken, was ihr passiert sei, sagt Florence Ponting an einer Stelle im Buch, müsse erst noch eine neue Sprache erfunden werden. Ian McEwan ist das wohl gelungen – er war 2007 mit Am Strand für den Booker-Preis nominiert, obwohl sogar er selbst das Buch eher als Novelle denn als Roman bezeichnet. Seine Florence Ponting jedenfalls hat mit ihrer Feststellung einen hellsichtigeren Moment, als es ihr zu jenem Zeitpunkt bewusst sein kann. Denn was ihr passiert ist, trägt sich in einer sehr besonderen Zeit zu.

Wir schreiben das Jahr 1962, die sexuelle Revolution steht noch aus, Gespräche über das, was im Schlafzimmer vor sich geht, gelten als Tabu. Florence Ponting (Saoirse Ronan) studiert klassische Musik, Edward Mayhew (Billy Howle) Geschichte. Beide richten den Blick in die Vergangenheit, sind noch brave Kinder im Geiste der 1950er Jahre, die Dinge tun, weil man sie eben so tut. Nun verbringen sie ihre Flitterwochen in einem kleinen Hotel am Chesil Beach im britischen Dorset. Schwere Vorhänge, muffiger Teppich, zwei Kellner servieren mickriges Steak mit Kartoffeln und Bohnen direkt auf dem Zimmer.

Wenn sich Florence und Edward in die Augen schauen, liegt Zärtlichkeit in ihren Blicken; so sieht wohl Liebe aus. Aber nebenan steht das Bett wie ein monolithischer Klotz im Raum, mit seiner berüschten, glänzenden Tagesdecke. Darin müsste, wenn sie nach den Regeln spielten, noch am selben Abend die Ehe vollzogen werden. Aber Florence und Edward hatten noch nie Sex und der Gedanke daran scheint ihnen vor allem eines zu sein: eine üble Quälerei. Am Strand ist trotzdem kein Film über Sex. Der bildet eigentlich nur die Klammer, den Anlass, um gründlich an der Gesellschaft, vielleicht sogar an der Menschheit schlechthin, zu verzweifeln.

Der Theaterregisseur Dominic Cooke – Am Strand ist sein Kinodebüt – benutzt Rückblenden, um die Geschichte des Paares zu erzählen. Zuerst vom Verhältnis der beiden zu ihren Eltern: Florence stammt aus einem versnobten Mittelklassehaushalt, Edwards Vater ist Lehrer, seine Mutter Künstlerin, die sich seit einem Unfall in einem Zustand permanenter Konfusion befindet. Cooke berichtet davon, wie sich Florence und Edward kennenlernen, wie ihre Beziehung wächst, von ihrem Alltag zwischen unbeschwerter Zweisamkeit und unterbezahlten Nebenjobs. Diese Erzählstrategie, sämtliche Schlüsselmomente ihres Heranwachsens und der gemeinsamen Zeit in einer Szene ultimativer Frustration kulminieren zu lassen, lässt ihre Vergangenheit in erster Linie als Ballast erscheinen, der unweigerlich mit in die Ehe gebracht wird. Ihre Herkunft, die Erwartungen der Eltern, gesellschaftliche Konventionen und die politische Situation – in diesem Kontext scheint es fast unmöglich, dass ein junges Paar unvoreingenommen nicht nur aufeinandertrifft, sondern auch noch übereinkommt. 

Es ist Ian McEwans Idee zu verdanken (im Übrigen verfasste er auch das Drehbuch zur Verfilmung), dass die Geschichte von Florence und Edward sich am Chesil Beach abspielt, einer 29 Kilometer langen Kieselsteinbank, die zwar dem Küstenschutz dienlich ist, dabei aber auch wie eine natürliche Barriere wirkt, die das umschlossene Wasser vom Meer abtrennt. Dominic Cooke sorgt schon in den ersten Minuten des Films dafür, dass niemandem diese Metapher entgeht. Er zeigt den Strand in vielfachen Totalen und immer wieder auch seine verschieden großen Kieselsteine in Großaufnahmen.

Die von McEwan aufgenommenen Fäden spinnt Cooke weiter bis zur Jetztzeit des Romans. Zum einen scheint er auf der Tonebene Musikgeschichte nachzuvollziehen. Von Mozart über Beat und Soul bis hin zum ultimativen Soundtrack des Jahres 2007: Amy Winehouse, Retropop, der eine bessere, bei genauerem Hinsehen offensichtlich nicht existente Vergangenheit beschwört. Aber es bleibt nicht bei der Tonebene. Cooke nimmt die Coda des Buches ein wenig zu wörtlich und hängt seinem Film einen Epilog an, in dem Florence und Edward noch einmal als alte Leute aufeinandertreffen. Auf diesen letzten Metern erliegt Am Strand letztlich den sentimentalen Konventionen des Mainstream-Liebesfilms und verliert seine größte Stärke, die novellenhafte, interpretatorische Offenheit. Die perfekte Filmsprache, um Ian McEwan für die große Leinwand zu übersetzen, muss wohl erst noch erfunden werden.

Am Strand (2018)

Basierend auf der gleichnamigen Novelle von Ian McEwan erzählt der Film von einem jungen Paar im England der 1960er Jahre, das sich auf seiner Hochzeitsreise befindet. Beide kommen aus recht unterschiedlichen Verhältnissen, was sie aber eint, ist ihre sexuelle Unerfahrenheit. Und die führt ausgerechnet in der Hochzeitsnacht zu einem Bruch in ihrer gerade erst begonnen Beziehung …

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