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James Marsh porträtiert Samuel Beckett. Sein solide gemachtes Biopic reflektiert vor allem das persönliche Leben der Schriftstellerikone und hat einen furiosen Einstieg.

Dance First (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Be absurd!

Durch das 1952 publizierte Werk „Warten auf Godot“ avancierte der irische Schriftsteller Samuel Beckett (1906-1989) zu einem Pionier des absurden Theaters. Der Kardinalfehler eines Biopics über Beckett wäre daher eine durchweg konventionelle Nacherzählung von dessen Leben, bei der im Stil einer audiovisuellen Checkliste einfach alle privaten und beruflichen Stationen abgehakt werden.

Mit der Eröffnungssequenz von Dance First lassen der Drehbuchautor Neil Forsyth und der Regisseur James Marsh erfreulicherweise erkennen, dass wir damit in diesem Film nicht zu rechnen haben. Wir befinden uns anfangs in einem großen Theatersaal, wo dem älteren Beckett (Gabriel Byrne) in Begleitung seiner Partnerin Suzanne (Sandrine Bonnaire) unter starkem Beifall der Nobelpreis für Literatur verliehen wird. In Wahrheit blieb der gefeierte Schriftsteller der Überreichungszeremonie im Jahre 1969 fern. Hier sitzt er indes im Publikum, kommentiert die Vergabe mit dem Ausspruch „Quelle catastrophe!“ und bewegt sich griesgrämig, aber schnellen Schrittes zur Bühne.

Dort schnappt er dem Laudator, der gerade noch den schwarzen Humor und die tiefe Einsicht in Becketts Œuvre gelobt hat, das üppige Preisgeld aus den Händen, verzichtet schroff auf eine Dankesrede und klettert unter den verdutzten Blicken der Zuschauer:innen eine Feuerleiter hinauf. Die Aktion, bei der ein Scheinwerfer zu Boden kracht, führt Beckett durch einen höhlenartigen Tunnel an einen surrealen, felsigen Ort, an dem er dann auf sich selbst trifft. In einem ins Äußere verlagerten inneren Monolog erörtert er nun, wem (beziehungsweise in wessen Namen) er das Preisgeld spenden könnte. Eine Reise „durch die eigene Schande“ beginnt.

Der 1963 geborene Brite James Marsh, der sich in Die Entdeckung der Unendlichkeit (2014) auch schon mit dem Leben des bekannten Physikers Stephen Hawking befasste, fängt diese Rahmenhandlung und die diversen Kapitel, die jeweils wichtige Personen in Becketts Umfeld in den Mittelpunkt rücken, zusammen mit seinem Kameramann Antonio Paladino in Schwarz-Weiß-Aufnahmen ein; lediglich der Schlussakt ist in Farbe gedreht.

In der ersten Episode, die nach der strengen Mutter May (Lisa Dwyer Hogg) benannt ist, sehen wir Ausschnitte aus Becketts Kindheit und Jugend. Hier gelingen zum einen poetische Bilder, wenn das Drachensteigen mit dem Vater William (Barry O’Connor), der früh verstirbt, als glücklicher Schlüsselmoment in Szene gesetzt wird. Und zum anderen werden prägnante Situationen geschaffen, um das schwierige Mutter-Sohn-Verhältnis zu charakterisieren, etwa wenn harte Worte am Esstisch gewechselt werden, ehe Beckett als junger Erwachsener (verkörpert von Fionn O’Shea) nach Paris zieht.

In der französischen Hauptstadt trifft der angehende Autor auf sein Idol James Joyce (Aidan Gillen), wird mit der Feierlaune von dessen Tochter Lucia (Gráinne Good) konfrontiert, lernt Suzanne (als junge Frau gespielt von Léonie Lojkine) kennen, erlebt die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges und hat schließlich enormen künstlerischen Erfolg, der jedoch zwischen Suzanne und ihm nicht nur mit angenehmen Zeiten verbunden ist.

Der Titel Dance First, der nahelegt, dass am Anfang von allem das Vergnügen stehen sollte, lässt sich gewissermaßen auch auf den Film übertragen. Denn mit dem genialen Irrwitz des Auftakts erreicht das Werk tatsächlich bereits seinen stimmungsvollen Höhepunkt, an den die späteren Teile nicht so recht anzuknüpfen vermögen.

Mit der Kapitelform wird aber zuweilen schön gespielt. Ebenso finden sich innerhalb der einzelnen Episoden bemerkenswerte Ideen, die das Endergebnis über den Biopic-Durchschnitt heben – etwa wenn die wiederholten Abendessen im Hause Joyce als leicht bizarre Abfolge eines Rituals inszeniert werden und insbesondere die Charakterdarstellerin Bronagh Gallagher als resolute Gattin Nora für groteske Komik sorgt.

Spannend ist zudem die Dreiecksbeziehung, die sich zwischen Beckett, seiner Frau und der BBC-Mitarbeiterin Barbara (Maxine Peake) entwickelt, und die der Schriftsteller zu Suzannes Missfallen in einem Stück thematisiert. Es sei sehr nett gewesen, sie kennenzulernen, meint Barbara höflich zu Suzanne, nachdem sich die beiden bei der Premiere im Foyer begegnet sind – woraufhin Suzanne trocken entgegnet: „Don’t be absurd.“ Noch etwas mehr Absurdität hätte Dance First wiederum vermutlich nicht geschadet.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Dance First (2023)

Ein Biopic über den irischen Schriftsteller Samuel Beckett, vom Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg zur Auszeichnung mit dem Nobel-Preis für Literatur.

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