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Eine Frau plant ihren Freitod, um sich den Leiden einer unheilbaren Krankheit zu entziehen. Die Familie kommt zum Abschied zusammen. Was nach Tragik und der Chance klingt, existenzielle Fragen um das Recht auf Suizid und Sterbehilfe zu verhandeln, präsentiert sich im neuen Film des „Notting Hill“-Regisseur Roger Michells als nüchtern abgespieltes Programm voller Klischees.

Blackbird - Eine Familiengeschichte (2019)

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

Große Sanddünen an einer rauen Küste. Darüber ein weiter, wolkenloser Himmel. Mittendrin ein großes Haus, das man fast als Villa bezeichnen muss. Drinnen ist trotz all dem Licht, das hineinströmt, unangenehm steril. Auf glattpolierten Arbeitsflächen stehen große Mengen Obst, das offensichtlich nur als Dekoration gedacht ist. Nach persönlichen Gegenständen sucht man hingegen vergeblich. Es wirkt, als wäre bereits jede Vitalität aus dem Gebäude gewichen, als fände hier schon seit langem kein Leben mehr statt.

Das sterile Setting fügt sich wohl eher unbeabsichtigt so hervorragend in die gesamte Stimmung von Blackbird – Eine Familiengeschichte ein. Denn im neuen Film von Notting-Hill-Regisseur Roger Michell geht es erstaunlich nüchtern, fast schon unnatürlich kühl zu. Und das obwohl der Plot, in dessen Zentrum immerhin der geplante Suizid einer unheilbar kranken Familienmatriarchin (Susan Sarandon) steht, genug Raum für Gefühlsentladungen bieten würde.

Bevor die wahrscheinlich an ALS leidende Lily — der Name der Krankheit wird im Film nicht erwähnt — ihr Leben beendet, möchte sie ein letztes Wochenende mit ihren Lieben verbringen. Nach und nach treffen sie im aseptischen Heim ein: Die von Kate Winslet gespielte Tochter Jennifer, sie schlägt als Erste auf, entpuppt sich schnell als die Pedantin der Familie. Man erkennt es bereits an der Garderobe: Hornbrille, Caprihose, Ringelpullover – und schon scheint alles gesagt. Ehemann Michael (Rainn Wilson) erscheint mit Doppelkinn und Bauchansatz, schütterem Haar und kariertem Hemd – was könnte er etwa anderes sein als der klassische „Pantoffelheld“. Ihr Sohn Jonathan (Anson Boon) wiederum weiß mit keinem spannenderen Geheimnis aufzuwarten, als seinem innigsten Berufswunsch, Schauspieler zu werden. Und selbst das soll Mutti noch die Sprache verschlagen.

Bereits als erst die Hälfte der Gäste eingetroffen ist, wird klar: Die Figuren von Blackbird – Eine Familiengeschichte sind in ihrer Formelhaftigkeit mindestens so leer wie die Regale des Familienanwesens. Aber es geht noch weiter: Deutlich zu spät schlägt Tochter Anna (Mia Wasikowska) auf. Übergroße Klamotten, schlurfender Gang und statt ordentlichem Ehemann mit On/Off-Freundin Chris (Bex Taylor-Klaus) an der Seite – natürlich, der Problemfall der Familie. Auch die beste Freundin Elizabeth (Lindsay Duncan), die quasi zum Familieninventar gehört, ist mit von der Partie. In ihrem ganz persönlichen Klischeepäckchen verbirgt sich eine ehemalige Liebschaft mit Lily, zu Woodstock-Zeiten versteht sich – getreu dem Motto „Love, Peace and Bi-Curiosity“. Oder so.

Dass sich das Stöbern nach Elementen origineller Persönlichkeit genauso vergeblich gestaltet, wie die Suche nach Glasrändern auf der heimischen Familientafel, ist nicht nur abträglich gegenüber dem Sehvergnügen. Durch die Lebensfremdheit seiner Figuren vermindert der Film von Anfang an seine Möglichkeiten, beim Publikum Empathie zu erzeugen. Und damit auch jede Chance darauf, ein wertvoller Beitrag in der Debatte um das Recht auf Suizid und Sterbehilfe zu sein. Während die Schwächung der ethischen Bedeutung bedauerlich ist, sind die eigentlich überkommenen Stereotypen, die durch die stumpfe Charakterzeichnung des Films zementiert werden, richtig ärgerlich. Selbstverständlich ist Brillenträgerin Jennifer die Strebertochter, klar ist die nicht-heterosexuelle Anna suizidal.

Wenn Drehbuchautor Christian Torpe – in Anlehnung an die eigene dänische Filmvorlage Silent Heart – dieses Figurenkabinett nun aufeinandertreffen lässt, ist Lilys Entscheidung bereits gefällt. Wann, wo, wie und vor allem weshalb sie durch die eigene Hand sterben möchte, ist mit der Familie besprochen. Sie wird zusehends immobiler, verliert die Kontrolle über ihren Körper. Der Verfall kann binnen weniger Wochen drastisch zunehmen, bald darauf würde sie nicht mehr richtig sprechen, eigenständig kauen oder auch nur schlucken können. Das Medikament hat ihr Ehemann Paul (Sam Neill), ein pensionierter Arzt, besorgt. Damit er keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten hat, muss sie es selbst einnehmen – solange sie noch kann.

Davor möchte sie mit ihrer Familie ein vorgezogenes Weihnachtsfest feiern. Man schlägt einen Nadelbaum im nahegelegenen Waldstück, bereitet ein ausladendes Festmahl zu, und am Abend sitzt man an der großen Tafel zusammen. Dort werden dann nicht nur festliche Speisen, sondern auch eine Extraportion abgegriffener Klischees aufgetischt. Die Spannungen zwischen den höchst unterschiedlichen Töchtern, der kleinkarierten Jennifer und der chaotischen Anna entladen sich kurz in einem Streit. Der ist allerdings dermaßen vorhersehbar, und die Vorwürfe gegenüber der Mutter, die daran eine Mitschuld trägt, sind derart formelhaft, dass sich das sterile Setting, die entseelten Figuren und ihre schablonenhaften Gespräche spätestens jetzt zu einem Gesamteindruck verfestigen.

Dass die Idee eines Aufeinanderprallens gegensätzlicher Persönlichkeiten einer Familie mit ganz unterschiedlichen Verletzungen in einem kammerspielartigem Rahmen hervorragend funktionieren kann, haben zuletzt John Wells‘ Im August in Osage County (2013), Oren Movermans The Dinner (2017) und – wenn auch in anderer Konstellation – Roman Polańskis Der Gott des Gemetzels (2011) bewiesen. Auch hier war es notwendig, den Figuren gewisse Attribute zuzusprechen, sie in mehr oder weniger starre Kategorien einzuteilen. Anders als in Blackbird – Eine Familiengeschichte verkommen sie nie zu bloßen Abziehbildern, sie sind das Gegenteil von seelenlos.

Am Ende fügt der Film der Debatte um Selbstbestimmung bis in den Tod weder etwas Neues hinzu, noch wagt er sich an urmenschliche, existenzielle Fragen heran. Daran, dass Blackbird – Eine Familiengeschichte kein relevanter Film geworden ist, können nicht einmal überaus talentierte Schauspielerinnen wie Susan Sarandon und Kate Winslet etwas ändern, obwohl sie sich mit aller Macht gegen die Belanglosigkeit auflehnen. Leider.

Blackbird - Eine Familiengeschichte (2019)

Lily (Susan Sarandon) und ihr Mann Paul (Sam Neill) freuen sich auf ein gemeinsames Wochenende mit ihrer Familie in ihrem Landhaus am Meer, ein Ort, der voller glücklicher Momente und Erinnerungen steckt. Ihre beiden Töchter, die angepasste Jennifer (Kate Winslet) und die rebellische Anna (Mia Wasikowska), kommen mit ihren Partnern und Kindern zu Besuch, sowie Lilys beste und älteste Freundin Liz (Lindsay Duncan). Zwischen den ungleichen Schwestern kommt es bald zum Streit. Im Laufe des Wochenendes kommen immer mehr alte Verletzungen, unangenehme Wahrheiten und Geheimnisse ans Licht, die alle Anwesenden schicksalshaft miteinander verbinden. Am Ende muss sich zeigen, ob sie es schaffen, als Familie wieder zusammen zu finden, um ihrer Mutter einen letzten Wunsch zu erfüllen.

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Meinungen

Erbsl · 08.01.2022

Ich fand ihn gelungen und mich hat er abgeholt. Zu jeder Zeit.

Bingo · 26.09.2020

Ist das Geld nicht wert