Birdman - oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit (2014)

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Spiel' endlich, Mann, spiel'!

Übers Theater und die Abgründe der darin auftretenden Mimen gibt es immer wieder großartige Filme. Aber Bühne mit Superheldenkino zu kreuzen, dass dialogische Funken sprühen und die Fetzen fliegen, hat vor dem preisgekrönten mexikanischen Regisseur Alejandro González Iñárritu wohl noch keiner gewagt. In einer Explosion der Kreativität erforscht Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) tragikomisch Schauspiel und Selbstdarstellung zwischen Hollywood, Broadway und Twitter.

Spielen soll er endlich, fordert von Riggan Thomson (Michael Keaton) sein illustrer Kollege Mike Shiner (Edward Norton). Doch Riggan muss sich dafür erst einmal verwandeln – von der Verkörperung der Comicfigur „Birdman“ in einen richtigen Bühnenkünstler. In drei Kino-Blockbustern ist Riggan ins „Birdman“-Kostüm geschlüpft. Zwanzig Jahre ist das her. Verprasst sind die Millionengagen, verblasst der Ruhm. Am New Yorker Broadway sucht Riggan den Neuanfang, mit einem selbstgeschriebenen Stück nach Kurzgeschichten von Raymond Carver. Sein letztes Geld steckt in der Produktion.

Weil Riggan bloß ein Hollywood-Promi sei, hat die Päpstin der New Yorker Theaterkritik Tabitha Dickinson (Lindsey Duncan) aber schon mal die publizistische Vernichtung seines Stücks beschlossen. Tochter Sam (Emma Stone), die nach ihrem Entzug in seiner Produktion als Assistentin jobbt, hält ihn für einen unrettbaren „has been“ ohne Twitter- und Facebook-Account. Und dann flippt in einer Vorpremiere, gerade als Riggan an der Rampe einen gefühlvollen Monolog hält, Mike Shiner hinter ihm völlig aus, beschwert sich, dass er Wasser statt Gin im Glas hat, und demoliert unter dem Gelächter des Publikums die Szenendekoration.

Was tun wir hier, fragt Riggans alter ego, der leibhaftig im Federkleid erscheinende „Birdman“, nicht ganz zu Unrecht, hat aber nur eine zynische Alternative parat: Wieder Actionpornographie machen. Riggan brauche nur ans Fenster zu gehen und die Flügel auszubreiten. Dann doch lieber Theater? Riggans heruntergekommene Umkleidekabine liegt an einem schäbigen Gängelabyrinth, in dem Lügen und Intrigen wie Schimmel sprießen. Oben auf der Bühne gilt ein Realismus-Diktat, das der Film absurd zuspitzt: Zum Entsetzen seiner Partnerin Lesley (Naomi Watts) will Mike Shiner in einer Bettszene richtigen Sex machen, nur das sei echt. Von wegen Spiel also! Demgegenüber wird die Freiheit gefeiert, die das Kino auszeichnet, wenn Riggan Gegenstände und sich selbst mit der Kraft seiner Gedanken bewegt.

Skandiert von Tusch und Trommelwirbel eines unermüdlichen Schlagzeugs, betätigt sich die Kamera von Emmanuel Lubezki indes als rastloser Dämon beider Welten: Präsentisch wie das Theater, scheinbar in einem einzigen Take, saugt sie in Windeseile die Ereignisse auf: penetrant wie der Film studiert sie die abblätternden Charakterfassaden, passenderweise dargeboten von drei Stars, die auch mit Blockbustern bekannt wurden. An Tempo und Tiefe, Poesie und Ironie kann man sich hier kaum satt sehen.
 

Birdman - oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit (2014)

Übers Theater und die Abgründe der darin auftretenden Mimen gibt es immer wieder großartige Filme. Aber Bühne mit Superheldenkino zu kreuzen, dass dialogische Funken sprühen und die Fetzen fliegen, hat vor dem preisgekrönten mexikanischen Regisseur Alejandro González Iñárritu wohl noch keiner gewagt.

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Meinungen

Thomas · 27.01.2020

Warum hat der Film Oskars gewonnen? Ganz klar, die Branche feiert sich selbst. Für den Zuschauer ist es nur ermüdend. Das Ende ist ab der Mitte ganz klar und damit jegliche Spannung weg. Der Rest ist hektische Kameraführung durch Gänge, gefolgt von extrem langatmigen Szenen mit wenig Inhalt.
Die Story: ein ehemals erfolgreicher Comicdarsteller möchte für seinen Narzismus Erfolg im Theater und will sich am Ende für den Erfolg selbst opfern.

Ralf Reck · 29.03.2015

Die allgemeine Begeisterung für diesen Film hinterlässt mich ratlos. Der Film hat vier Oskars gewonnen, u.a. die beiden wichtigsten für den besten Film und die beste Regie. Auch die Kameraführung wurde belohnt. Warum eigentlich? Man hat das Gefühl, ständig der Handkamera durch enge Gänge zu folgen, und das ohne Schnitt. Damit wird eine ungebrochene Handlung unterstellt, die aber nicht stattfindet. Ich kenne diese Ecke, wir haben nebenan am Time Square (New York) im Mariott Hotel gewohnt und auf der Rückseite des Majestic Theaters in einem „Café“ gefrühstückt. Iñárritus Filmhandlung spielt gegenüber vom Majestic Theater im St. James Theater in der 44. Straße (W). In einer der für die weitere Handlung entscheidenden Szenen des Films schließt sich der Protagonist nur mit Unterhose und Bademantel bekleidet am Hinterausgang des Theaters aus, der Bademantel verklemmt sich in der Tür und der Held läuft halbnackt zum Vordereingang des Theaters über den Times Square (wo er gefilmt wird) zurück. Wenn das St. James Theater überhaupt einen Hinterausgang zur 43. Straße hat, wäre er schneller und unauffälliger über die 8. Avenue zurückgelangt. Außerdem liegt die Bar, in der die Auseinandersetzung mit der New York Times-Kritikerin (Tabitha Dickinson (gut: Lindsey Duncan) stattfindet (die einzige wirklich bemerkenswerte Szene in dem Film) örtlich nicht gleich neben dem St. James Theater, sondern ganz woanders. Das sind nur einige der Ungereimtheiten, die für einen Film ansonsten irrelevant wären, wenn nicht eine zeitlich und geographisch konsistente Handlung vorgespiegelt werden würde.

Warum befasse ich mich überhaupt mit diesen „Nebensächlichkeiten“? Weil der Film sonst wenig hergibt und man mehr auf das Wie als auf das Was achtet. Wovon handelt der Film? Ein ehemaliger, als fliegender Superheld (Birdman) früher bekannt gewordener Filmstar (Riggan Thomson: Michael Keaton) will jetzt im vorgerückten Alter am Broadway reüssieren. Er mietet dort ein kleines Achthundertplätzehaus und probt ein Vierpersonenstück (offenbar eine Adaptation einer Kurzgeschichte von Raymond Carver). Er selbst übernimmt die Hauptrolle, engagiert zusätzlich einen überdrehten Schauspieler (Mike Shiner: Edwards Norton), der meint, nur auf der Bühne er selbst zu sein. Gezeigt werden die Vorbereitungen, die Vorpremieren und Teile der Premiere selbst. Nebenhandlungen befassen sich u.a. mit den Frauen des Protagonisten (u.a. Naomi Watts) sowie mit seiner Tochter Sam (Emma Stone). Im Detail werden die Beziehungen zwischen den Personen einerseits oberflächlich und andererseits schauspielerisch/mimisch stark überzogen wiedergegeben. D.h. dem Film fehlt Tiefenspannung, eigentlich aber auch Longitudinalspannung. Man wartet nur darauf, ob die Schauspieler sich in den engen Gängen verirren, zwi¬schenzeitlich vom Dach springen oder bei der Premiere durchdrehen; außerdem auf die Kritik der Times-Feuilletonistin. Wunderlich ist, dass der Held, gealtert, halbnackt und ohne Perücke, auf dem Times Square überall erkannt wird, während selbst Michael Keaton in seiner Rolle kaum wiederzuerkennen ist. Man wundert sich über das New Yorker Theaterpublikum, was der Klamotte auf der Bühne frenetischen Beifall spendet. Man wundert sich darüber, dass eine eigentlich unbedeutende Theateraufführung über Tage halbseitige Artikel in den Tageszeitungen provoziert. Eins kann man dem Film nicht vorwerfen, dass er New York als Werbeplattform für die Stadt nutzt; so wie gefilmt, sieht es dort tatsächlich aus.

Frieder · 20.12.2014

Dieser Film ist einfach super intelligent, mit hervorragenden Schauspielern, Script, Kamera, Sound u.a. - "a must see !"
Oskarwürdig in einigen Disziplinen - als Eröffnungsfilm der Berlinale (außer Konkurrenz, um die Latte richtig hoch zu legen) zum gleichzeitigen Kinostart in Deutschland durchaus geeignet.
Persifliert dumme Hollywood-Blockbuster ganz nebenbei usw. - nicht verpassen, wärmstens empfohlen.