Log Line

Kenneth Branagh lässt uns in „Belfast“ an einer einschneidenden Episode seiner Kindheit teilhaben. Was als Liebeserklärung an seine Geburtsstadt beginnt, ist letztlich eine an die Menschen, die dort lebten und leben.

Belfast (2021)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Heimatliebe

Die ersten drei Minuten von „Belfast“ sind eine einzige große Liebeserklärung an die titelgebende Stadt. Galanten Drohnenbildern aus luftiger Höhe folgen Nahaufnahmen offizieller und inoffizieller Wahrzeichen des nordirischen Regierungssitzes: Das „Titanic Belfast“-Museum, die St. Anne’s Cathedral und das Belfast Castle erstrahlen in ihrer ganzen Pracht, darunter mischen sich immer wieder Bilder des Hafens und von Verladekränen, begleitet von einer schmissigen, neu interpretierten Version von Van Morrisons „Down to Joy“ – keine Imagefilm-Agentur hätte das besser hinbekommen. Die zwei großen Eckpfeiler dieser Stadt sind, da ist die Bildsprache unzweideutig, Kultur und Arbeit. Und beides prägt auch die Kindheit des neunjährigen Buddy (Jude Hill), der im Zentrum von „Belfast“ steht.

Diese Geschichte spielt im Jahr 1969. Der 50 Jahre umfassende Zeitsprung, der mit den letzten Noten des Intro-Songs eingeläutet wird, geht mit einem Verlust jeglicher Farbe einher, die schwarz-weißen Bilder zeigen eine Straße inmitten eines Arbeiterviertels. Ausgelassene Stimmung, tobende Kinder, darunter auch Buddy, doch die Idylle wird jäh durch einen wütenden Mob zerstört. Mit Fackeln und Steinen rücken sie aus dem Nichts an, der Zorn der Protestanten richtet sich gegen die hier lebenden Katholiken. Fenster werden eingeschlagen, Autos angezündet. Als der Mob abzieht, gleicht die Straße einem Schlachtfeld.

Es ist der weder der erste noch der letzte gewaltsame Höhepunkt des Nordirlandkonflikts, der im Folgenden wie ein Damoklesschwert über der Handlung von Belfast baumelt, aber nicht in ihrem Zentrum steht. Dieser Part kommt stattdessen dem Alltag von Buddy zu. Kenneth Branagh (Mord im Orient Express, Artemis Fowl) – hier Regisseur und Drehbuchautor in einem – erzählt auf diese Weise seine eigene, wenn auch fiktional ausgeschmückte Kindheit nach. Eine Coming-of-Age-Geschichte also, die vor allem wegen des liebenswert-sympathischen Hauptcharakters funktioniert, aber auch deshalb, weil Branaghs Drehbuch und Inszenierung mit vielen kleinen, authentischen Details und greifbaren Figuren gespickt ist.

In der Schule etwa wird die Sitzordnung abhängig von der Leistung im letzten Mathetest gemacht: Wer gut abschneidet, rückt vor. Weil Buddys Angebetete in der ersten Reihe sitzt, hängt er sich umso mehr ins Zeug – und profitiert dabei auch vom Ratschlag seines Großvaters (Ciarán Hinds), der ihm zwischen all den Neckereien mit seiner Frau (Judy Dench) rät, beim Niederschreiben der Zahlen nicht ganz so penibel zu sein, damit im Zweifelsfall die 1 auch als 7 gedeutet werden kann. Im Zweifel entscheide die Lehrerin schon zu seinen Gunsten. Solche Momente, in denen Figurenzeichnung und sozialrealistisches Abbild des gesellschaftlichen Miteinanders überkreuzt werden, sind in Belfast an der Tagesordnung.

Zieht Buddy in seiner Freizeit nicht gerade mit der Nachbarstochter Moira (Lara McDonell) durch die Gassen, sind es vor allem Filme und das Kino, für die er sich begeistert. Mit großer Leidenschaft inszeniert Branagh hier die Liebe für das bewegte Bild, ob nun auf dem Fernseher oder der Leinwand. So viel zum Kulturteil. Der der Arbeit hingegen findet seine Verkörperung in Buddys Vater (Jamie Dornan), der weitestgehend mit jobbedingter Abwesenheit glänzt und wenn, dann nur am Wochenende mal zu Hause ist. Derweil kümmert sich seine Gattin (Caitriona Balfe) mit liebevoller, aber doch gestrenger Hand um Kinder, Haushalt und das soziale Umfeld der Familie.

Belfast ist dabei gänzlich aus der Perspektive von Buddy erzählt, der in jeder Szene anwesend ist, und auch die Kamera spiegelt das mit zahlreichen untersichtigen Aufnahmen wider. So ist es nachvollziehbar, dass das große politische Ganze des Nordirlandkonflikts nach dem anfänglichen Wüten des Mobs – zumindest bis zum Finale – keine wirkliche Rolle mehr spielt. Stattdessen beschränkt sich Belfast im Mittelteil auf die unmittelbaren Auswirkungen in Buddys Wohngegend (Militärpräsenz, Straßensperren, Kontrollen) und erinnert an die Existenz des Konflikts höchstens noch dadurch, dass Buddys Vater von einem der führenden Köpfe der Gewaltbereiten dazu genötigt wird, sich ihnen anzuschließen. Die Familie selbst ist nämlich protestantisch.

Dass die politischen Hintergründe und alltäglichen Auswirkungen dieser so einschneidende Periode Nordirlands in Belfast über weite Strecken fehlen, bestenfalls noch in kurzen Nachrichtenschnipseln im Hintergrund angerissen werden, liegt also im Erzählansatz begründet. Mehr Ausführlichkeit hätte dem Film an dieser Stelle dennoch gutgetan und würde auch einem weniger gut informierten Teil des Publikums dabei helfen, das Geschehen besser einzuordnen.

Nichtsdestotrotz zieht Branagh den Grundgedanken seines Films – eine nahbare, herzliche, bisweilen auch nostalgisch verklärte Sozialrealismus-Erzählung über das Leben eines kleinen Jungen in einem Arbeiterviertel, geprägt von schwelenden gesellschaftlichen Konflikten – konsequent durch. Die ersten Minuten mögen eine Liebeserklärung an die Stadt sein. Der Rest des Films hingegen ist eine an die Menschen, die diese Stadt ausmachen.

Belfast (2021)

In seinem bislang persönlichsten Film erzählt Kenneth Branagh von der Kindheit eines Jungen im Belfast der 1960er Jahr, das immer wieder von schweren Tumulten erschüttert wird. 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Kursten · 09.11.2021

Der Trailer hat mir sehr gefallen. Ich mag dieses Land und die Geschichte.

Steffi · 21.10.2021

Ich freue mich auf diesen Film!
Kann es kaum erwarten ihn zu sehen.