Bauernopfer - Spiel der Könige

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Schachmatt

Schach ist mehr als ein ‚königliches‘ Spiel, es ist ein Symbol für strategisches Denken und psychologische Taktiken, es ist eine Metapher für Macht und Einfluss. In 2001 – Odyssee im Weltraum besiegt Bordcomputer HAL ein Besatzungsmitglied, Harry Potter muss eine Schachpartie lösen, um zu dem Stein der Weisen zu gelangen. In Die Schachnovelle und Die Verurteilten ist es ein Mittel gegen die Deprivation, in Das siebente Siegel entscheidet ein Schachspiel über das Leben. Tatsächlich gibt es auch eine historische Schachpartie, deren Bedeutung über das Spiel hinausgeht: Als der Amerikaner Bobby Fischer (Tobey Maguire) im Jahr 1972 in Reyjkavík gegen den Russen Boris Spasski (Liev Schreiber) angetreten ist, wurde das Spiel um die Weltmeisterschaft zu einem symbolischen Kampf um die Vorherrschaft im Kalten Krieg hochstilisiert. Nicht nur in der Sowjetunion sollte mit dem Sport Überlegenheit demonstriert werden (wie zuletzt u.a. in Red Army zu sehen war), auch in den USA sehnten sich Politiker in einer Zeit, in der das Land durch den Vietnam-Krieg militärisch und kulturell erschüttert war, danach, dass ein Junge aus Brooklyn der erste Amerikaner wird, der einen Russen im Schach besiegt.
Folgerichtig beginnt Bauernopfer – Spiel der Könige auch 1972 in Reykjavík. Bobby Fischer hadert mit sich, fühlt sich verfolgt und zerlegt seine Unterkunft auf der Suche nach einer Wanze in Einzelteile. Es ist nicht das erste Mal, dass er droht, ein Spiel abzusagen. Aber dieses Aufeinandertreffen ist von enormer Bedeutung. Es folgt eine Rückblende. Im Brooklyn der 1950er Jahre irrt der junge Bobby auf einer Party seiner umtriebigen Mutter (Robin Weigert) umher. Er glaubt, das Haus wird beobachtet, er sehnt sich nach Ruhe und Orientierung, aber seine Mutter warnt ihn lediglich, mit niemandem zu sprechen und aufzupassen, ob das Haus beobachtet wird. Hier wird der Keim für seine spätere Paranoia gelegt, zudem wird deutlich, dass er die ersehnte Ruhe im Schachspiel findet.

Damit sind die grundlegenden Konflikte, auf denen das Drehbuch von Steve Knight (Locke) aufbaut, angelegt: Bobby Fischer kommt in der Welt nicht zurecht, hofft auf Anerkennung und Zuneigung von seiner alleinerziehenden Mutter und lehnt sie gleichermaßen ab. Der Vater ist abwesend, die einzige emotionale Unterstützung kommt von seiner Schwester. Von hier folgt der Film dann den üblichen Stationen eines Biopics, in denen er diese grundlegenden Muster lediglich variiert: Fischer wird jüngster US-Schachmeister, glaubt sich international aber durch die von ihm beobachteten Spielabsprachen der Russen an großen Erfolgen gehindert. Daraufhin fordert er Regeländerungen und hört zeitweilig mit dem Schach auf, ehe ihn sein neuer Manager Paul Marshall (Michael Stuhlbarg) – vermutlich ein CIA-Mitarbeiter – mithilfe des ehemaligen Großmeisters und Priesters Bill Lombardy (Peter Sarsgaard) zur Rückkehr bewegt. Schon hier wird beständig auf Fischers Exzentrik und Paranoia verwiesen: Er erscheint zu spät oder gar nicht zu Spielen, stellt scheinbar unerfüllbare Forderungen, wittert – obwohl selbst jüdischer Herkunft – eine weltweite Verschwörung des Judentums und fühlt sich vor allem immer verfolgt. Im Hintergrund werden zudem die Ereignisse der Zeitgeschichte abgehandelt, so dass dann das finale Match ausreichend vorbereitet sein soll.

Dass Genie und Wahnsinn dicht beieinanderliegen, ist die einfache Formel, mit der Steve Knight und Regisseur Edward Zwick die Person Bobby Fischer zu erklären versuchen und auf der sie ihren gesamten Film aufbauen. Dabei gelingt es ihnen zu keiner Zeit, die Spannung dieses Spiels und der Zeit sowie die Brillanz sowohl von Fischer als auch Spasski in Bilder umzusetzen. Mehr als ein wenig Tiefenschärfe, schnelle Schnitte und eine Montage mit nachgestellten Zeitdokumenten ist auf visueller Ebene kaum zu finden. Auch das Schauspiel von Tobey Maguire ist einfach angelegt: Immer wieder blickt er grübelnd und angespannt beobachtend auf das Schachbrett sowie seine Umgebung. Dagegen erweist sich der mit wenigen Szenen bedachte Spasski als weitaus interessanter und geheimnisvoller – und je weiter der Film voranschreitet, desto neugieriger wird man auf diese von Liev Schreiber mit bulliger Präsenz gespielte Figur. Ohnehin versuchen die guten Nebendarsteller, aus ihren simpel angelegten Figuren viel herauszuholen. Frauen spielen in diesem Film lediglich als Mutter, Schwester und Hure eine Rolle.

Bauernopfer – Spiel der Könige will ein Biopic mit Thriller-Elementen sein, doch weder durch die Rückblende noch das Spiel mit bekanntem Ausgang wird Spannung erzeugt. Auch finden Knight und Zwick keinerlei Erklärung oder auch nur Bilder für Fischers voranschreitenden psychischen Verfall. Seine Lebensjahre von 1972 bis zu seinem Tod in Island werden dann auch am Ende nur noch kurz zur Vervollständigung abgehandelt. Dabei hätten sie durchaus spannenden Stoff für einen Verschwörungsthriller abgegeben – und zudem die interessante Frage bereitgehalten, wie man ein Leben weiterführt, nachdem man den Sieg, auf den man sein Leben lang hingearbeitet hat, erreicht hat. Aber Bauernopfer – Spiel der Könige bleibt ein enttäuschender Versuch, eine eigentlich hochspannende Geschichte zu erzählen.

Bauernopfer - Spiel der Könige

Schach ist mehr als ein ‚königliches‘ Spiel, es ist ein Symbol für strategisches Denken und psychologische Taktiken, es ist eine Metapher für Macht und Einfluss. In „2001 – Odyssee im Weltraum“ besiegt Bordcomputer HAL ein Besatzungsmitglied, Harry Potter muss eine Schachpartie lösen, um zu dem Stein der Weisen zu gelangen. In „Die Schachnovelle“ und „Die Verurteilten“ ist es ein Mittel gegen die Deprivation, in „Das siebente Siegel“ entscheidet ein Schachspiel über das Leben.
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