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John Woo ist wieder da. Und er präsentiert einen erstaunlich geerdeten Actionfilm, der ohne Dialoge auskommt und nach neuen Formen des Ausdrucks sucht.

Silent Night - Stumme Rache (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Beredte Ballistik

John Woo bittet nach 10 Jahren Hollywood-Abstinenz zum großen John-Wick-Gedächtnistanz – das zumindest verspricht der Trailer. Mit dieser Erwartungshaltung wird man jedoch enttäuscht. „Silent Night“ ist nämlich alles andere als ein hyperkinetisches Gun-Fu-Waffenballett. Vielmehr ist dieser Film ein geerdeter und formal ambitionierter Revenge-Thriller mit Actionshowdown. 60 Minuten passiert – dem Bodycount gemäß – wenig. Dialoge gibt es nicht. John Woo lässt die Bilder sprechen, und zeigt zumindest auf, wo die Reise im Actionkino der Gegenwart hingehen kann.

Der Plot von Silent Night bildet nur den Rahmen für ein schweigsames Körperkino. Zwei verfeindete Straßengangs donnern mit ihren getunten Autos durch die Suburbs und liefern sich einen gnadenlosen Schusswechsel. Familienvater Brian (Joel Kinnaman) spielt derweil mit seinem Sohn im Vorgarten. Es ist Weihnachten. Eine Kugel verirrt sich. Das Kind ist tot. Zurück bleibt ein pochender Schmerz und eine dröhnende Wut.

Brian macht sich noch auf der Stelle daran, die Kriminellen zu stellen und zerschmettert mit einer Eisenstange die Frontscheibe des SUVs. Dafür bedankt sich der auffällig tätowierte Chef der Gang recht herzlich und jagt ihm eine Kugel durch die Kehle. Brian überlebt, wird aber niemals mehr sprechen können. Von Trauer zerfressen, fasst der Mann einen folgenschweren Entschluss: Am kommenden Heiligabend werden die Mörder seines Sohnes bezahlen müssen.

Erneut ist also Rache der treibende Motor eines Actionfilms. Vergeltung ist der große Zaubertrick der Drehbuchautor*Innen. Auch bei Silent Night wählt Autor Robert Archer Lynn diesen einfachen Weg, um für moralische Entlastung zu sorgen: So sind sofort klare Verhältnisse geschaffen, auf welcher Seite das Publikum stehen soll. Da ist schon eine sehr schematische Figurenzeichnung am Werk, gerade was die Gangmitglieder betrifft. Doch geht es bei Silent Night auch nicht um Psychologie. John Woo geht es um pures, geerdetes Körperkino. Indem die Hauptfigur ihrer Stimme beraubt wird, fehlt die Sprache als Gestaltungsmittel.

Gerade Oneliner, der Beschuss des Feindes durch Worte, spielen im Actionkino seit jeher eine große Rolle: Es gibt ganze YouTube-Zusammenschnitte der besten Sprüche von Arnold SchwarzeneggerSylvester Stallone oder Bruce Willis – so wurden coole Helden geschaffen. Joel Kinnaman aber bleibt nur sein Körper und sein Gesicht, um sich eine Präsenz zu schaffen. Gut, dass es in Silent Night nicht mehr um eine Heldenfigur geht. Brian ist und bleibt ein Jedermann, der sich mit hartem Training auf seinen Rachefeldzug vorbereitet und selbst dann haarsträubende Fehler begeht: Mit dem Töten wird sich der Mann nie ganz anfreunden. Vielmehr erscheint jede abgefeuerte Kugel wie ein Exorzismus. Da treibt sich jemand die Trauer aus. Dass er ohnehin nichts mehr gut machen kann, dessen ist er sich sicher.

Da wäre dann auch wieder der typische John-Woo-Kitsch, der sich beispielsweise auch durch Im Körper des Feindes zieht – eine melodramatische Gefühligkeit in Slow Motion, wenn der Sohn des FBI-Agenten Sean Archer (John Travolta) ums Leben kommt. Bilder, die Woo nur zu gerne wiederholt, um den Schmerz und damit die Motivation seiner Figuren deutlich zu machen. Dergleichen findet sich auch in Silent Night.

In Anbetracht der großartigen Bilder und der knallhart-realistischen Action, die der Film ohne Worte auf die Leinwand wirft, ist gerade das völlig vermasselte Ende durchaus zu verschmerzen. 60 Minuten lang choreografiert John Woo ein Trainingsballett der Verzweiflung. Brian wird alles verlieren. Seine Frau wird ihn verlassen. Doch er hat sich schon lange an die große Erlösung der Rache geklammert. Der Tod wird kommen und eine stille Nacht hinterlassen. Mit Sicherheit hat John Woo schon bessere Filme gedreht. Doch nach dem Dauerbeschuss durch Filme wie John Wick und Co. muss sich der Actionfilm wieder reduzieren, sich verändern und seine comichafte Überzeichnung hinter sich lassen. Silent Night ist ein Anfang.

Silent Night - Stumme Rache (2023)

Nachdem sein Sohn ausgerechnet am Weihnachtsabend im Kreuzfeuer zwischen zwei rivalisierenden Gangs ums Leben kam, sinnt sein Vater Godlock (Joel Kinnaman) auf blutige Rache. Und dabei schont er weder sich selbst noch die Täter.

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