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Grausiger Zufall? Eine gebürtige Rumänin glaubt, in der US-Vorstadt ihren Peiniger aus Kriegstagen erkannt zu haben – und greift zu drastischen Methoden. Plumper Reißer oder eindringliche Trauma-Geschichte, in welche Richtung schlägt Yuval Adlers Thriller aus?

The Secrets We Keep - Schatten der Vergangenheit (2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Grauen in der Vorstadt

Nach mehrmonatigem Lockdown und im Zuge der ersten Öffnungsschritte gestaltet sich die Kinosituation noch recht unübersichtlich. Augen und Ohren muss man ständig offen halten, um im Bilde zu sein, welcher Film wann und wo das Licht der Welt erblickt. Sehr kurzfristig wurde Ende Mai etwa der Start von Yuval Adlers Thriller-Arbeit The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit“ angekündigt, die eigentlich Ende 2020 auf die hiesigen Leinwände kommen sollte. Dass der mit Noomi Rapace, Joel Kinnaman und Chris Messina prominent besetzte Spannungsstreifen nun am Publikum vorbeizufliegen droht, ist allerdings nicht weiter schlimm, da er sich als ebenso unglaubwürdiger wie greller Rachereißer entpuppt.

Wie so oft im US-Thriller-Kino ist es die herausgeputzte, wohlgeordnet erscheinende Welt der Vorstadt, die hier unvermittelt ins Wanken gerät und ihre dunklen Seiten präsentiert. Wo Meister des mysteriös-untergründigen Nervenkitzels – als Beispiel sei David Lynch mit seinem Suburbia-Albtraum Blue Velvet genannt – originelle Ideen zu Tage fördern, suhlt sich der auch für das Drehbuch mitverantwortliche Adler (Ko-Autor: Ryan Covington) jedoch in plakativer Offensichtlichkeit. Welche Richtung The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit einschlagen wird, lässt sich schon nach einer Viertelstunde erraten. Und das nicht nur, weil einem bereits sehr früh die inhaltlich ähnlich gelagerte Theaterverfilmung Der Tod und das Mädchen im Kopf herumschwirren könnte.

Dass es im Folgenden eher selten subtil wird, unterstreichen schon die ersten Einstellungen einer großen Seifenblase, die in der Luft zerplatzt. Das schöne, heile Familiennest, das sich die gebürtige Rumänin Maja (Noomi Rapace) nach ihren grauenhaften Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg mit ihrem US-amerikanischen Ehemann Lewis (Chris Messina) und ihrem Sohn Patrick (Jackson Dean Vincent) in den Staaten aufgebaut hat, ist in Gefahr, als sie auf einen Hundebesitzer (Joel Kinnaman) aufmerksam wird, den sie für einen früheren SS-Soldaten hält, der mit seiner Truppe einst über sie und ihre ermordete Schwester herfiel.

Aus dieser Prämisse ließe sich eine doppelbödige Abhandlung über Trauma, Schuld und Sühne stricken. Adler, der zuletzt mit dem wohltuend unaufgeregten Spionagefilm Die Agentin in deutschen Kinosälen vertreten war, geht aber ohne große Umschweife in die Vollen. Statt Majas Befürchtungen Schritt für Schritt zu verdichten und sich ausführlicher mit ihren seelischen Verletzungen und ihren Erinnerungen auseinanderzusetzen, macht er sie gleich zur wild entschlossenen Entführerin. Wenngleich sie es nicht über sich bringt, den vermeintlichen Nazi zu töten, zögert sie nicht, ihn im Keller ihres Hauses einzusperren, um ihm auf eher rabiate Weise ein Geständnis zu entlocken.

Die Plausibilität der weiblichen Ein-Mann-sieht-rot-Variante leidet spätestens ab dem Moment, an dem Lewis ins Spiel kommt. Wie leicht er zum Mittäter wird, ist nämlich allemal erstaunlich. Versuche, das Verhältnis der Eheleute zu erschüttern und Majas Vermutung in Zweifel zu ziehen, sind denkbar halbherzig. Das Schicksal der Sinti und Roma während der Nazi-Diktatur, das in der Figur der rumänischen Einwanderin anklingt, möchte der Regisseur als gewichtige Dramakomponente verstanden wissen. Tatsächlich dient dieser thematische Hintergrund aber nur als reißerischer Aufhänger für das stetig eskalierende Duell zwischen Maja und ihrem Gefangenen. Ehrliches Interesse sieht definitiv anders aus!

Während die bedauernswerte Noomi Rapace ihrer Rolle kleine Facetten abzuringen versucht und die Musik auf Teufel komm raus ein Gefühl der Spannung kreieren soll, was nicht richtig gelingen will, schleichen sich regelmäßig Ungereimtheiten ein. Strapaziert wird die Glaubwürdigkeit vor allem in einer Szene, in der plötzlich ein Polizist bei Maja und Lewis auf der Matte steht, der offenbar seinen Beruf verfehlt hat. Derart fahrig und verdächtig, wie sich das Paar verhält, grenzt es an ein Wunder, dass der Beamte nicht genauer nach dem Rechten schaut. Praktischerweise dringen ausgerechnet in diesem Augenblick die Schreie des gefesselten „Kellergastes“, die sonst bestens im Erdgeschoss zu hören sind, nicht nach oben.

The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit ist mit seinen liebevoll ausgestatteten 1950er-Jahre-Bildern sicherlich schön anzuschauen. Kaschieren kann die hübsche Fassade allerdings nie, dass der Film plumpe Rachemuster bedient und unterkomplexe Charakterprofile entwirft.

The Secrets We Keep - Schatten der Vergangenheit (2020)

Im Amerika der Nachkriegszeit entführt eine Frau ihren Nachbarn, um sich für die Kriegsverbrechen zu rächen, von denen sie überzeugt ist, dass er sie ihr angetan hat.

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