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Mit „Alice Schwarzer“ widmet Sabine Derflinger der bekanntesten Feministin Deutschlands ein Porträt ganz im Sinne der Protagonistin. Ziel des Ausflugs in die westdeutsche Geschichte der Emanzipationsbewegung liegt somit nicht unbedingt in der komplexen Diskussion feministischer Positionen.

Alice Schwarzer (2022)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Alice Schwarzer, der Galionsfigur des (west-)deutschen Feminismus, widmet die Regisseurin Sabine Derflinger ein filmisches Porträt, das nicht nur thematisch, sondern auch stilistisch an ihre Doku „Die Dohnal“ über die bereits verstorbene erste österreichische Frauenministerin anknüpft. Der feine Unterschied: Schwarzer war nicht nur eine wesentliche Akteurin der deutschen Geschichte, sondern prägt aktuelle Diskurse laufend mit — ebenso wie diesen Film über ihre Person. 

Gleich zu Beginn liefert Alice Schwarzer einen Eindruck von der humorvollen, konfrontativen und selbstbewussten Art, mit der die bekannte Journalistin seit Mitte der 1970er Jahre die Medienlandschaft mit beeinflusste. Dem Abtreibungsverbot sagte Schwarzer jahrzehntelang den Kampf an, ein wichtiger Schritt für eine Sichtbarmachung im öffentlichen Diskurs war das von ihr initiierte, 1971 publizierte Manifest, in dem sich 374 Frauen dazu bekannten, abgetrieben zu haben. Zum entscheidenden Punkt für Schwarzers Bekanntheit wurde 1975 das TV-Streitgespräch mit der Autorin Esther Vilar, das in der Folge heiß diskutiert wurde und am Beginn von Alice Schwarzer steht. Fernsehsendungen ab Mitte der 1970er stellen eine reichhaltige Materialsammlung für ein Porträt der Feministin dar. Derflinger verwebt Archivaufnahmen mit gegenwärtigen Redaktionssitzungen bei der von Schwarzer gegründeten Zeitschrift EMMA mit Interviewsequenzen, in denen Weggefährt*innen an ihrer Seite zu Wort kommen, sowie mit gemeinsamen Besuchen von verschiedenen Stationen in Schwarzers Leben, allen voran Paris.

Für die 1970er Jahre, die Geburt der längst sich im Brodeln befundenen Emanzipationsbewegung, nimmt sich der Film Zeit: Derflinger zeichnet Schwarzers Prägung während ihrer Jahre im intellektuellen und politischen Schmelztiegel Paris nach (nicht umsonst widmete Ulrike Ottinger ihrer eigenen Paris-Phase mit Paris Calligrammes einen ganzen Film, der übrigens auf der vergangenen Diagonale zu sehen war). Schwarzers Schilderungen über Aktionen der französischen MLF-Bewegung, wie etwa die Kranzniederlegung für die unbeachtete Frau des Unbekannten Soldaten oder der Austausch mit Simone de Beauvoir, die gern spontan mit ihren Zeitgenossinnen auf die Straße marschierte, verleihen Einblicke. Dass die Ansätze der französischen Schriftstellerin in ihrem bahnbrechenden Werk Das andere Geschlecht für Schwarzer essentiell waren und sind, wird deutlich. Ebenso zeigt sich, dass ihr Austausch mit einigen Weggefährtinnen zur Zeit der iranischen Revolution sowie des algerischen Bürgerkrieges ihre umstrittene, kompromisslose Ablehnung des Kopftuchs in eine Richtung leiteten, die sie selbst als Fundamentalismuskritik betrachtet, von vielen aber als islamophob wahrgenommen wird. Alice Schwarzer folgt eindeutig den Argumentationslinien und Sichtweisen seiner porträtierten Person beziehungsweise konsentierenden Weggefährt*innen und stellt nicht den Anspruch, sich von seiner Titelfigur zu distanzieren.

Darin steckt leider das Versäumnis des Films, der mit einer komplexeren Beleuchtung von Themen, zu denen sich Schwarzer in der Öffentlichkeit äußert, etwa Kopftuch, Prostitution und Transsexualität (Beate Hausbichler erklärt die Problematik), an Qualität gewonnen hätte. Durch die so entstehende Umschiffung aktueller Diskurse läuft Alice Schwarzer Gefahr, nicht zeitgemäß zu sein beziehungsweise als mangelhaft verstanden zu werden, trotz der Wertschätzung und dem Respekt gegenüber ihren Errungenschaften für nachkommende Generationen, dem Schwarzer auch von Kritiker*innen wie Margarete Stokowski zukommt. Verschiedene Sozialisierungen und Positionen oder ein Dialog zwischen Feministinnen unterschiedlichen Alters sind die großen Herausforderungen eines solidarischen emanzipatorischen Kampfes. Das Potenzial, sich dem zu öffnen, Schwarzer darin als öffentliche Persona, als weiße Frau einer dominierenden etablierten Riege gewissermaßen einzubetten, macht sich das Porträt nicht zur Aufgabe und liefert stattdessen nur kurzgegriffene Verweise, wie etwa der Schwarzer-Protest von Wiener Studierenden im Jahr 2019.

Dennoch macht Derflingers Porträt Lust, sich über den Kinobesuch hinaus eingehender mit Schwarzer als öffentlicher Persona auseinanderzusetzen und die Fülle von Archivaufnahmen mit anschließenden Diskussionen oder einem Besuch auf YouTube weiter auszuschöpfen. Die Positionen zu Themen, die Schwarzer im Film anspricht, finden sich ebenso in ihrer eigenen Zeitschrift, in der neben den Meinungstexten aber auch die Auseinandersetzung mit historischen Vorbildern und Auslassungen eine Rolle spielt. Bei einem Besuch ihres Heimatortes erwähnt Schwarzer auch, dass nach dem Niedergang der Textilindustrie in Wuppertal weniger nach wirtschaftlich tragenden Alternativen gesucht wurde, da die Arbeitenden in diesem Bereich meist Frauen waren. Schwarzers Schatz an Erfahrungen und Meinungen, zu dem die Regisseurin viel Material vorfand und drehte, musste Derflinger natürlich auch eingrenzen und erwähnte bei der Premiere auf der Diagonale in Graz, dass sie anstelle eines Langfilms auch über eine nach Schwerpunkten geordnete Miniserie nachgedacht habe. Ein wenig scheint dieser Gedanke auch zum Kompromiss von 136 Minuten* hingeleitet zu haben, die sich gegen Ende etwas zu sehr ausdehnen, einen dafür aber mit viel Informationen versorgen. Die Diagonale-Jury zeichnete Derflingers Porträt mit dem Preis für den Besten Dokumentarfilm aus.

*Anmerkung der Redaktion: In Deutschland wird eine kürzere Version mit 100 Minuten Laufzeit in die Kinos kommen.

Alice Schwarzer (2022)

Ein filmisches Portrait der Feministin und unabhängigen Intellektuellen Alice Schwarzer, die sich heute wie damals im Paris der 1970er Jahre, dem Geburtsjahrzehnt der zweiten Frauenbewegung, im Kampfmodus befindet.

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