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Auch der Nachwuchs in einem entlegenen Kloster Bhutans besitzt heutzutage Handys. Die Interessen der Kinder und Jugendlichen, die dort eine mönchische Laufbahn einschlagen, ähneln denen Gleichaltriger rund um den Globus. Der junge Held dieses Dokumentarfilms gerät so in einen dramatischen Konflikt.

Sing Me a Song (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Beten mit Blick aufs Smartphone

Klagen über Jugendliche, die aufs Smartphone starren, statt zu lernen, gehören wohl zum Alltag auf der ganzen Welt. Aber dass selbst in einem buddhistischen Kloster auf 4000 Meter Höhe in den Bergen Bhutans das Handy zum wichtigsten Utensil im Leben junger Menschen geworden ist, verblüfft. Die Beobachtungen des französischen Dokumentarfilmers Thomas Balmès im klösterlichen Areal des Bergdorfs Laya widersetzen sich eklatant den im Westen gepflegten Klischees vom abgeschiedenen spirituellen Leben buddhistischer Mönche. Im Zentrum des Films steht der seit Jahren im Kloster lebende Teenager Peyangki, der auf WeChat mit der jungen Sängerin Ugyen aus der Hauptstadt Thimphu flirtet und auf ein Liebesdrama zusteuert.

Peyangki war schon in Balmès Film Happiness ein Protagonist. Da wohnte er als 8-jähriges Kind bereits im Kloster seines Heimatdorfs Laya, erlebte aber auch den Einzug des Fernsehens in seine Familie mit. Seit 1999 sind auch in dem von der Außenwelt lange abgeschotteten Bhutan, das als Land des Bruttonationalglücks berühmt wurde, Fernsehen und Internet erlaubt. Doch ihr Weg bis nach Laya sollte noch länger dauern. Am Anfang des Films stehen Szenen mit dem Kind Peyangki, das Balmès für Happiness interviewte und begleitete. Der Junge erzählt, dass er sich auf die Straße freut, die das Dorf mit der Außenwelt verbinden wird, und auf den Stromanschluss.

Dann gibt es einen zeitlichen Sprung und Peyangki ist nun der 18-jährige Mönch, um den es im aktuellen Film geht. Er besitzt ein Smartphone, von dem er sich im Morgengrauen wecken lässt, um den großen Gong zu schlagen. Balmès beobachtet ihn fortan nur noch, ohne ihn zu interviewen. In seiner Studiengruppe ist Peyangki der Älteste, was ihm der Lama auch vorhält, wenn er ihn ermahnt, nicht mit Schießgewehren vom Basar auf der Wiese zu spielen. Er sei doch kein Kind mehr. Schweigend lässt Peyangki auch den Vorwurf über sich ergehen, zu viel mit dem Smartphone beschäftigt zu sein. Im Gespräch mit einem jüngeren Gefährten, dem er Fotos der schönen Ugyen zeigt, wird aber deutlich, dass sich Peyangki von der mönchischen Laufbahn innerlich distanziert. Seine Mutter hingegen sagt ihm, wie glücklich es sie machen würde, wenn er seine Zukunft im Kloster sähe.

Die Kamera fängt sehr widersprüchliche Szenen ein. Da ist zum einen das karge Klosterleben vor dem imposanten Panorama der Himalaya-Bergketten. Oft regnet es und die jungen Mönche in ihren roten Gewändern stehen, um sich die Beine zu vertreten, draußen unter einem Regenschirm. Dann wieder proben sie für traditionelle Tanzzeremonien. Peyangki geht manchmal hinauf auf die grasbewachsenen Hänge, um nach den medizinischen Pilzen zu suchen, die sich gut verkaufen lassen. Er will sich etwas gönnen und auch Ugyen besuchen. Wenn die Kinder und Jugendlichen in Peyangkis Gruppe auf dem Holzboden des Gebetsraums hocken und die mantraartigen Sprüche im Kollektiv erklingen, schaut praktisch jeder auf sein eigenes Smartphone. Der eine daddelt, der andere sieht sich Fotos oder Videos an. Oft beobachtet die Kamera, wie Peyangki, wenn er allein ist, mit Ugyen chattet und sie bittet, ihm ein Liebeslied zu singen.

Dann wechseln Aufnahmen aus dem Leben Peyangkis mit denen der jungen Frau in Thimphu ab. Ugyen hat eine kleine Tochter, was sie Peyangki bislang verschwiegen hat. Sie verkauft Gemüse auf dem Markt, tritt abends in Bars als Sängerin auf und offenbar auch als Animierdame. Sie will mit Kolleginnen für eine Weile nach Kuwait ziehen, um richtig Geld zu verdienen. Als Peyangki die Frau seiner Träume zum ersten Mal besucht, fühlt er sich getäuscht. Stur schaut er zum Fenster hin, vermeidet Blickkontakt, wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Seine Liebe scheint echt zu sein, er bleibt vorerst in Thimphu, kauft sich nicht-klerikale Kleidung, geht mit Ugyen aus. Das Kloster schickt seinen jungen Freund, um den Abtrünnigen zur Rückkehr zu bewegen. Die erhabene Bergwelt seines Dorfes und die lärmende Geschäftigkeit der Hauptstadt, mit den Spielhallen, Bars und Clubs, in denen sich blinkende Leuchtmittel in ihrer Künstlichkeit überbieten, stellen einen dramatischen Kontrast dar. In ihm spiegelt sich Peyangkis persönlicher Konflikt.

Peyangki ist kein Freund großer Worte, aber seine Traurigkeit und Enttäuschung sind oft mit Händen zu greifen. Wenn Ugyen im Gespräch vorfühlt, wie er zum Heiraten steht, verstummt er schnell. Gut, dass er sein Smartphone dabei hat, sonst wüsste er manchmal nicht, wohin er gerade schauen sollte. Balmès’ Film berührt, weil er so treffend beobachtet, wie ein junger Mensch merkt, dass er seiner Bestimmung überhaupt nicht sicher ist. In dieser Phase, in der – virtuelle — Träume in der Realität aufschlagen, fühlt sich der hoffnungsvolle Protagonist ganz schön verloren. Aber er holt Erfahrungen nach in der neuen Welt.

Sing Me a Song (2019)

Der 16jährige Peyangki lebt seit früher Kindheit als Mönch im Kloster in den Bergen Bhutans. Sein Smartphone ist die Verbindung zur Welt, darin hat er die ganze Welt gesehen – und er hat sich verliebt. Er hat Nguen auf WeChat kennen gelernt, dem chinesischen facebook. Seit Monaten nun tauschen die beiden Tag und Nacht Nachrichten aus, Peyangki singt für sie, sie verrät ihm ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft. Es ist diese erste, totale Liebe, die alles verändert und das Leben eines Teenagers auf den Kopf stellt. Er hat vergessen, dass er den Sommer nutzen wollte, um Geld zu verdienen; vergessen, dass er aus dem Kloster zu seiner Familie zurück kehren wollte. Nun will er in die Stadt, und Nguen treffen – denn bisher kennt er sie nur virtuell. „Sing Me a Song“ wird den jungen Mönch auf seiner Reise in die Hauptstadt und bei seinem ersten Zusammentreffen mit Nguen begleiten.

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