Babys

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Im Kinderparadies ohne schmutzige Windeln

Auch wenn es oft nicht den Anschein hat: Die meisten Eltern sind sich ja doch der Tatsache bewusst, dass die immer neuen und tendenziell sich ins Unendliche ausfransenden Geschichten über ihre Kinder – zumal wenn diese noch ganz jung sind – die meisten kinderlosen Zuhörer schlichtweg ganz und gar nicht interessieren. Oder allenfalls oberflächlich. Spätestens wenn es um Windeln und Kinderkotze, Krankheiten und Schlafmangel geht, verzichten viele doch gerne auf allzu große Detailfreude.
Insofern ist es vielleicht nicht unklug, dass Babys, ein Dokumentarfilm von Thomas Balmès, genau diese letztgenannten vier Problemkreise weitgehend ausspart – aber befremdlich, das wiederum wissen die Eltern, ist es doch. Denn eigentlich will dieser Film wohl ein einigermaßen komplettes Portrait von vier Kleinstkindern während ihres ersten Lebensjahres sein – genau weiß man aber auch das nicht, denn der Film verzichtet auf jeglichen Kommentar zu seinen Bildern und bietet auch sonst eine nur sehr karge Einordnung des Gezeigten an.

Ganz am Anfang nämlich gibt es, zu den ersten Bildern der vier Kinder, Orts- und Namenseinblendungen. Die Kinder leben in Namibia, der Mongolei, Japan und den USA, und das heißt natürlich schon: in doch recht unterschiedlichen kulturellen wie wirtschaftlichen Kontexten. Und auch wenn der Film natürlich keinen expliziten Vergleich anstrebt, so ensteht durch den kontinuierlichen Wechsel zwischen den Schauplätzen – Babys ist, das suggeriert das Material, streng chronologisch am Alter der Kinder entlang organisiert – ein Vergleich allein als Effekt der Montage.

In der Mongolei klettert schon einmal der Hahn auf das Kinderbett von Bayar, während Ponijao vor der elterlichen Lehmhütte Steine ablutscht. Beide sind fast immer ausschließlich im unmittelbaren Kontext ihres Zuhauses zu sehen – eine Jurte in mongolischer Graslandschaft, Lehmhütte und Holzverschlag auf brauner, kahler Erde –, während Hattie aus San Francisco und Mari in Tokio beim Einkaufen dabei sind sowie in Auto, Eisenbahn und Aufzug mitfahren.

Die Kinder sind dabei wirklich die Protagonisten des Films, die Kamera bleibt immer dicht an ihnen dran und beschränkt so die Welt von Babys auf deren Erfahrungshorizont. Erwachsene kommen im Wesentlichen nur vor, wenn sie direkt mit den Kindern interagieren – und so bekommt man schon einmal den Eindruck, dass die Kinder lange ganz allein und unbeaufsichtigt sind; nicht immer wirken sie besonders glücklich darüber.

Aber das macht eines der grundlegenden Probleme von Balmès’ Herangehensweise deutlich: Denn was hat dieses Alleinsein zu bedeuten? Stehen die Eltern nur auf der falschen Seite der Kamera? Sind sie auf Toilette und betreten sie im nächsten, nicht mehr gezeigten Moment den Raum? Die fehlende Einordnung zwingt den Betrachter, sich auf die Bilder einen eigenen Reim zu machen, zugleich fördern aber die natürlich ebenfalls nicht erläuterte Auswahl der Szenen und ihre Kombination ganz bestimmte Interpretationen.

So zeigen die Bilder etwa Hattie und Mari in Eltern-Kind-Gruppen, und Hatties Mutter liest einmal im Hintergrund in einem Elternratgeber – vergleichbare Aufnahmen sieht man von den anderen Kindern nicht. Da liegt die Deutung nahe, in der Mongolei und in Namibia sei man einem vermeintlich ursprünglicheren, weniger kulturell vermittelten und überformten Umgang mit Kindern näher. Das Problem ist, dass sich hier leicht ein Verständnis von „Natürlichkeit“ im Umgang mit Kindern einschleicht, das primär als konservative Kulturkritik zu verstehen wäre. Dass Hatties Eltern in einer Elterngruppe „The earth is our mother, she will take care of us“ singen, wäre dann ein fast bösartiger, ironischer Kommentar auf die Naturferne der Wohlhabenden und Versorgten, den man zudem mit einer anderen Szene kontrastieren kann, in dem direkt neben einem Kind ein geschlachtetes Tier ausgeweidet wird. Der kulturkritische Gestus hat aber in diesem Fall auch Berührungspunkte mit rassistischen Positionen, die etwa Schwarze als „näher an der Natur“ (und damit implizit oft auch: „kulturell weniger avanciert“) beschreiben.

Nun soll damit Babys keine rassistische Darstellung vorgeworfen sein – der Film arbeitet offensichtlich zugleich auch daran, die in reichen Ländern gern vertretene Meinung zu zerstreuen, „arme Kinder“ in Afrika hätten es zwangsläufig schlechter. Ponijao etwa wird in einem Kontext gezeigt, der frei von Gewalt und Hunger ist und stattdessen von Sorge und Aufmerksamkeit geprägt – damit durchbricht der Film schon die eher schlichten Afrikadarstellungen vieler Massenmedien. Zugleich schreibt er aber auch Stereotype fort, indem er Kinder aus armen, bäuerlichen Familien in Namibia und der Mongolei zeigt (die im Übrigen alle auch Geschwister haben), während die Einzelkinder der „Ersten Welt“ in wohlhabenden Stadtkontexten aufwachsen.

Und selbst wenn dies die Lebensverhältnisse in den jeweiligen Ländern einigermaßen repräsentativ abbilden sollte (worüber wir allerdings im Film nichts erfahren), so ist es doch auch Effekt einer bewussten Auswahl der Protagonisten, die die Filmemacher getroffen haben, jedoch weder mit Text noch im Bild thematisieren oder durchsichtig machen. Wie es überhaupt Balmès sehr daran gelegen scheint, alle Spuren der Herstellung des Films aus dem Endprodukt zu tilgen: Kamera wie Filmteam sind stets unsichtbar und unhörbar; wie stark ihr Einfluss auf das Kind und seinen Kontext ist, lässt sich nicht einmal erahnen.

Das Problem daran ist, dass auf diese Weise Authentizität und Objektivität suggeriert werden, während der Film seine Konstruiertheit fortwährend verschleiert. Eltern fällt das, wie eingangs angedeutet, spätestens dadurch auf, dass die gerade für dieses Alter so wesentliche Verdauung (sowie die Mühen, sie überhaupt erst einmal zu entwickeln) im Film praktisch keine Rolle spielt; auch Szenen, in denen die Eltern ihre Kinder einfach nur streicheln und liebkosen, sind weitgehend auf den Abspann beschränkt.

Das ist umso bedauernswerter, weil sich aus dem, was man da noch zu sehen bekommt, ein vorher nur vage aus dem Film entwickelter Verdacht erhärtet: Dass doch tatsächlich hinter all den kulturell und finanziell begründeten Unterschieden die Erkenntnis lauert, dass liebende Eltern auf der ganzen Welt, Kulturtechniken hin, Plastikspielzeug her, alle ganz ähnlich und zärtlich mit ihren Kindern umgehen.

In seiner gloriosen Schlusseinstellung übrigens, noch kurz bevor der Abspann einsetzt, macht Babys alles ein bisschen anders: Da richtet sich, mit Stolz im Gesicht, Bayar zumindest für die Kamera das erste Mal ganz gerade auf seinen Beinen auf; das ist von unten gefilmt gegen die Weite des Himmels über der Mongolei, zu triumphaler Musik. Da glauben wir uns ganz tief in den Emotionen dieses Kindes, und verstehen doch ob all der filmischen Signale: Es ist zuallererst Kino.

Babys

Auch wenn es oft nicht den Anschein hat: Die meisten Eltern sind sich ja doch der Tatsache bewusst, dass die immer neuen und tendenziell sich ins Unendliche ausfransenden Geschichten über ihre Kinder – zumal wenn diese noch ganz jung sind – die meisten kinderlosen Zuhörer schlichtweg ganz und gar nicht interessieren.
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Meinungen

Paulina · 20.09.2010

Schade dass das Kino so unflexibel ist aber sich beklagt über einen schlechten Umsatz.

Paulina · 20.09.2010

Warum läuft der Film in keinem Kino zur Abendszeiten, damit sich auch die, die arbeiten den Film angucken können. Leider werde ich den Film nicht sehen, da bei uns in Bargteheide im ( Das Kleine Theater Kino) läuft der Film nur zur Kinderzeit :-(