Enter the Void

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Zelluloid auf Speed, Acid für die Augen

Um eine Wahrheit zumindest kommt man nicht herum: Ob man Gaspar Noés neuen Film Enter the Void nun leiden kann oder nicht, ihn zu sehen ist jedenfalls, in welche Richtung auch immer, eine ästhetische Grenzerfahrung, ein Zerren an sonst meist stillgelegten Nerven, eine Herausforderung und ein Ärgernis.
Es beginnt mit einem Vorspann, der wie ein Filmabspann auf Speed ist, ein typographisches Feuerwerk in grellen Farben, von dem Namen nur als kurze Wahrnehmungsfetzen in Erinnerung bleiben, und um Drogen und Wahrnehmung wird es dann auch weiterhin gehen. Oscar (Nathaniel Brown) ist ein kleiner Drogendealer in Tokio, vormals hat er sich mit kleinen Jobs über Wasser gehalten, aber weil er seine Schwester Linda (Paz de la Huerta) zu sich holen wollte – die beiden teilen eine traumatische Kindheit –, brauchte er zügig mehr Geld und eine kleine Wohnung.

So jedenfalls erklärt er sich selbst und den anderen seine Welt zurecht, und natürlich sei er nicht abhängig – aber obgleich Oscar eigentlich die Hauptfigur von Enter the Void ist, oder zumindest das Zentrum, um das die Geschichte unregelmäßig herumoszilliert, geht es hier eigentlich nicht um ihn.

Das liegt vor allem daran, dass die Perspektive des Films sich so uneingeschränkt an Oscars Wahrnehmung orientiert. Der Film etabliert zunächst einen Kamerablick, der im engsten Sinne die literarische Perspektive eines Ich-Erzählers zu kopieren sucht, wir blicken auf die Welt aus Oscars Augen, als reine Kopie seines Blicks, sich schließende und öffnende Lider eingeschlossen. Das ist vor allem deshalb irritierend und desorientierend, weil es so konsequent bleibt; und während man rechts und links mehr sehen möchte, bekommt man hier keines der filmischen Mittel – Totalen, „establishing shots“ und alle diese Dinge – präsentiert, die ansonsten für Orientierung sorgen. Der Zuschauer wird ganz darauf zurückgeworfen, sich diesen Kopfbewegungen anzuvertrauen, rauscht durch die Nacht, durch einen Drogentrip und hinein in eine Nahtoderfahrung, oder vielleicht doch seinen endgültigen Tod?

Mit einem Freund philosophierte Oscar kurz vorher noch über die Wirkung von Dimethyltryptamin, das dem Körper einen Rausch mittels jener Stoffe verpasse, die der selbst im Moment des Todes ebenfalls produziere, „like dying would be the ultimate trip“. Und dann ist das alles gar nicht so; statt halb organisch, halb kristalliner Farb- und Lichtstrukturen, stets im Wandel, unscharf und überstrahlt wie im Drogenrausch vorher inszeniert (2001 – Odyssee im Weltraum lässt grüßen), hört man nun noch kurz Oscars Stimme introspektiv sprechen. Dann ist er stumm, sein Blick, unser Blick fliegt durch Wände und Hindernisse. Fetzen von Weltwahrnehmung reihen sich nun aneinander, wie Oscars Schwester, seine Freunde von seinem Tod erfahren, wie es weitergeht; das alles im Wechsel mit Erinnerungen, die nach und nach Oscars und Lindas Leben erzählen.

Für den Zuschauer wird das zu einer Übung in Geduld. Denn diese Flüge der kurvenden, sich drehenden Kamera über die Stadt wiederholen sich, und immer blickt man aus der einen Perspektive, nun meist von oben; in den Erinnerungen stets von hinten auf Oscars Hinterkopf. Das führt zu einer Seherfahrung, in die man sich hineinfallen lassen muss, weil man sich sonst fortwährend daraus befreien will. Das durch die engen Räume der Stadt Tokio eh schon produzierte Gefühl von Beklemmung wird mit filmischen Mitteln nachgerade körperlich gemacht; die Handlung hebt diese Erfahrung zugleich ins Metaphysische.

In all den Fragmenten, Rückblicken und Dialogfetzen entwickelt sich Enter the Void nach und nach zu einer Reflektion über Leid, Einsamkeit und physisches, nicht nur sexuelles Begehren; der Zuschauer ist ebenso dem Blick der Kamera ausgeliefert wie wir nicht umhin können, in der Welt zu sein – „Geworfensein“ in Heideggerschem Ausmaß wird hier verhandelt.

Und so aufregend und aufreibend das alles ist, es ist doch zugleich zu kühl, zu emotionslos, zu berechnend. In seiner ganzen ästhetischen Oberfläche verströmt der Film gewollte Künstlichkeit, vermischt die Farben eines Stadtmodells, das ein Freund von Oscar gebaut hat („Tokio auf Acid“) mit dem Nachtleben draußen, bis schließlich die Figuren sich zum großen Finale in einem „Love Hotel“ treffen, das es nur im Modell zu geben scheint – und dass draußen „Club Sex Money Power“ angeschrieben steht, wiederholt zwar die Motive des Films, fügt ihnen aber nichts Neues hinzu.

Denn so viel Raum für Interpretation und Genuss Gaspar Noé mit diesem Film lässt, er ist ein viel zu langes, prätentiöses, hochgradig repetitives und redundantes Stück Filmkunst, stellenweise exploitativ – ein aufgedunsenes ästhetisches Abenteuer, changierend zwischen Lust und Langeweile, das man so richtig womöglich nur im Zustand künstlich herbeigeführter Bewusstseinserweiterung würdigen kann.

Enter the Void

Um eine Wahrheit zumindest kommt man nicht herum: Ob man Gaspar Noés neuen Film „Enter the Void“ nun leiden kann oder nicht, ihn zu sehen ist jedenfalls, in welche Richtung auch immer, eine ästhetische Grenzerfahrung, ein Zerren an sonst meist stillgelegten Nerven, eine Herausforderung und ein Ärgernis.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

BJ Diggla · 09.02.2012

Da hat der Rezensent mit dem schönen Namen wirklich mal ins Schwarze getroffen:
> ästhetisch herausfordernd;
> dramturgisch vorhersehbar (an der erwähnten 1minütigen Unterhaltung zwischen Drogen/Künstlerfreund Alex und Protagonist Oscar, lässt sich der ganze Film erahnen und man ertappt sich irgendwann für die rasche Erfüllung dieser mageren Prophezeiung zu beten)
> Weder von Dialogen noch dem Schauspiel irgendetwas Herausragendes.

Wie schon von Rochus Wolff geschrieben, einfach eine einzige Idee sehr prätentiös aufgebläht - jedoch nicht die schlechteste Blähung.

D.a.l. · 05.03.2011

"Enter the Void" – ein Werk das Fragen offen lässt und grundsätzliche, (scheinbar) unversöhnliche Erkenntnistheorien durch direkte Erfahrungssimulation näherbringt

Andreas · 18.01.2011

Schade um die Zeit, die ich diesen Film gesehen habe. Eins ist mir jetzt klar: ich bleibe lieber bei Alkohol und lass die Finger von "diesen" Substanzen

don · 05.09.2010

das muss man erstmal aushalten, insofern wird 'enter the void' dem ruf eines schockierenden filmerlebnisses gerecht. die unernsthaftigkeit mit der jedoch gewisse, durchaus sehr intensiv dargestellte, schockierende und schwerwiegende erlebnisse des protagonisten wiederholt effekthaschend eingesetzt werden, hinterlässt bei mir nur unverständnis. derartige emotionen zur schau zu stellen, ohne dabei auch nur annähernd einen anderen effekt als zu schockieren erzielen zu wollen, scheint mir überflüssig. trotz der teils künstlerisch spektakulären bilder und kameraführung, ein grauer fleck auf der filmkarte ohne message.

Dorschbert · 02.09.2010

Habe den Film gestern in Düsseldorf gesehen und fand ihn sehr gut. Natürlich ist " Enter the Void" kein konventionelles Popcorn Kino mit Wohlfühl Effekt, sondern ein verstörendes Werk, bei dem Gaspar Noe erneut beweist, dass er der einzig legitime Nachfolger von Regisseuren wie Jodorowski oder Lynch ist. Durch seinen meditativen Charakter erfordert der Film vom Zuschauer die vollste Konzentration, was natürlich etwas anstrengend sein kann, keine Frage! Dennoch lohnt es sich, bis zum grandiosen Ende auszuharren. Ein Film, auf den man sich einlassen muss und der einem Aufgrund seiner Radikalen Bilder, noch lange beschäftigen wird.
Leider waren im Bambi Kino auch einige Amöben anwesend, die anscheinend vom " voll krassen Drogenfilm" gehört haben und wahrscheinlich eine Art " Cheech und Chong" Fortsetzung erwartet hatten. Die "Kommentare" dieser Astrophysiker haben das Kinoerlebnis leider etwas getrübt.

Nikolay · 01.09.2010

Hallo,
Ich möchte fragen ob der Film mit OV (Englisch) ist oder nicht :)

Nikolay · 01.09.2010

Hallo,
Ich möchte fragen ob der Film mit OV (Englisch) ist oder nicht :)

Sonnenblume · 31.08.2010

Langweilig und weichgespült ist der Film. Und schnell vergessen. Es gab schon besseres, intensiveres und nachdenklicheres im Kino. Die zwei Protagonisten kriegen ihr Leben absolut nicht auf die Reihe und hätten mal nachdenken sollen, bevor Sie handeln. Die letzte halbe Stunde gibst nur Soft Sex in der Dauerschleife - na danke, auch überflüssig... (Unproduktive) Bewustseinserweiterung hätte ich mir mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten eine große Spur phantasievoller vorgestellt. Sorry, aber das war nix.

Sonnenblume · 31.08.2010

Langweilig und weichgespült ist der Film. Und schnell vergessen. Es gab schon besseres, intensiveres und nachdenklicheres im Kino. Die zwei Protagonisten kriegen ihr Leben absolut nicht auf die Reihe und hätten mal nachdenken sollen, bevor Sie handeln. Die letzte halbe Stunde gibst nur Soft Sex in der Dauerschleife - na danke, auch überflüssig... (Unproduktive) Bewustseinserweiterung hätte ich mir mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten eine große Spur phantasievoller vorgestellt. Sorry, aber das war nix.

Bounce · 30.08.2010

Ich habe den Film gesehen und mich irgendwann zu Tode gelangweilt, dass ich dass Ende gar nicht mehr sehen wollte, weil die ständige Wiederholung dieser banalen Story mit der blöden Schwester und ihrem japanischen Zuhälterfreund aus der Perspektive des Geistes mir nur noch auf den Sack ging, dass ich das Kino eher verliess. Die ersten 30 Minuten sind ganz gut, aber warscheinlich nur in Orginalsprache zu ertragen und nicht diese dämlichen Synchrodialoge.
Viel Spass

Andy · 29.08.2010

Ich komme soeben aus dem Kino. Ich verstehe die Leute, die während dem Film raus sind irgendwie, verstörend ist er allemal. Trotzdem ist es wohl DER FILM, der mir noch eine ganze Weile im Kopf bleiben wird.

Ich würde keinem empfehlen, diesen Film unter "künstlich herbeigeführter Bewusstseinserweiterung" anzusehen ;)

xander · 28.08.2010

Ich hab den Film vor kurzem gesehen und muss sagen : ich kann mich bis jetzt noch nicht entscheiden ob ich mich ärgern oder doch freuen soll ihn gesehen zu haben. Eines ist klar: er regt mich immernoch zum denken an!

Julia Göppert · 05.07.2010

Der Film kommt am 26. August 2010 in die deutschen Kinos!
Capelight Pictures ist der Verleih.

palast · 28.05.2010

danke für diesen schönen artikel.
gibt es schon neuigkeiten, wann und vor allem wo der film zu sehen sein wird, denn scheinbar hat der film immer noch keinen verleih gefunden.
beste grüße aus dem palast