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Der Film erzählt von einer recht konventionellen Konstellation: Ein erfolgreicher Geschäftsmann trifft einen Lebenskünstler, der ihm den Spiegel vorhält. Dass dieser ein Mensch eine körperliche Behinderung hat, überrascht nicht unbedingt, seine philosophischen Ausführungen dagegen schon.

Glück auf einer Skala von 1 bis 10 (2021)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Ziemlich außergewöhnliche Freunde

Igor wünscht sich vor allem eins: ein Leben wie das der anderen – mit Freunden, mit denen er seine Zeit verbringen und seine Gedanken teilen kann. Er lebt allein, jobbt als Fahrradkurier für Biogemüse und besucht regelmäßig seine Mutter. Vor seiner körperlichen Behinderung schrecken nämlich viele Menschen zurück, auch Louis. Doch Igor hat sich in den Kopf gesetzt, Louis‘ Freund zu werden.

Louis (Bernard Campan) führt ein Bestattungsunternehmen und hat viel zu tun, und er mag das auch, ist quasi 24 Stunden im Einsatz und kümmert sich um alles, wenn es sonst keiner tut. Sein Beruf ist sein Leben, für mehr ist auch kein Platz, sein Privatleben hat er schon lange an den Nagel gehängt. Als Louis von einem Termin zum nächsten hetzt, ist er einen Augenblick unachtsam und fährt einen jungen Mann mit seinem Rad an. So lernen sich Louis und Igor kennen.

Igor (Alexandre Jollien) ist körperlich behindert, aber so selbständig wie möglich. Es gibt Dinge, die er nicht tun kann, zum Beispiel ein Steak kleinschneiden und mit Messer und Gabel essen, aber er weiß sich mit portioniertem Abendessen zu helfen und hat sein Leben gut organisiert. Er liebt seinen Job als Fahrradkurier, weil er dadurch mit Menschen in Kontakt kommt, denn noch mehr mag er es, sich mit anderen zu unterhalten und ihnen von seinen Gedanken und philosophischen Entdeckungen zu erzählen.

Glück auf einer Skala von 1 bis 10 zeigt einen Menschen mit Behinderung in seinem Alltag und macht deutlich, dass er ein weitgehend normales Leben führen kann, aber auch, dass er dafür kämpfen muss. Seine Mutter (La Castou) macht sich Sorgen um ihn und hat immer noch Schwierigkeiten damit, das Kümmern und den erwachsenen Sohn loszulassen. Igor wird gehänselt, ignoriert und angeschnauzt von Menschen, die genervt sind, weil er länger benötigt, um sich einen Kaffee aus dem Automaten zu holen. 

Aber natürlich gibt es auch diejenigen, die Igor helfen, die keine Berührungsängste haben und in ihm seinen Kern, seine Liebenswürdigkeit und seine Stärken sehen – so wie Cathy (Tiphaine Daviot) und ihre Freundinnen. Sie zeigen – manchmal fast auf etwas allzu pädagogische Art und Weise –, wie es geht, wie man Menschen mit Behinderungen helfen und wie man sie integrieren kann.

Louis dagegen tut sich schwer damit. Er hat keine Zeit für Igor, will eigentlich auf der Fahrt in den Süden allein sein, um sich einem früheren Kapitel aus seinem Leben zu stellen. Da kommt ihm Igor mit seiner Lebensfreude und der Haltung, den Augenblick zu genießen, gehörig in die Quere. Außerdem ist es ihm nach wie vor peinlich, Igor angefahren zu haben. Denn erstens zeigt es, dass er doch nicht so unfehlbar ist, wie er sich gerne gibt, und zweitens ist es ihm einfach unangenehm, ausgerechnet einen behinderten Menschen verletzt zu haben. Aber Louis hat eben noch einiges zu lernen.

Das Roadmovie ist recht konventionell gehalten, berührt aber dennoch, und das liegt vor allem an Darsteller Alexandre Jollien, der auch gemeinsam mit Bernard Campan das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat. Der Philosoph aus der französischsprachigen Schweiz wurde mit zerebraler Kinderlähmung geboren, hat in Fribourg und Dublin Philosophie studiert und mehrere Bücher veröffentlicht, die sich auch mit seiner Behinderung auseinandersetzen und beschreiben, wie ihm die Philosophie Kraft und Sinn gibt. Dies zeigt auch Glück auf einer Skala von 1 bis 10, mehr noch, die Worte von Jolliens Figur Igor helfen nicht nur ihm selbst, sondern bringen auch die anderen Figuren zum Nachdenken. Und vielleicht auch das Publikum.

Glück auf einer Skala von 1 bis 10 (2021)

Igor lebt allein und jobbt als Fahrradkurier für Biogemüse. Ein paar mehr Kontakte zu anderen Menschen wären schön, aber ansonsten ist der körperlich behinderte Hobby-Philosoph nicht unglücklich. Louis hingegen ist ein 24/7-Unternehmer, ein Workaholic, der vor lauter Arbeit in seiner Bestattungsfirma die Lebensfreude vergessen hat. Als er Igor auf seinem Fahrrad anfährt, ist ihm das doppelt peinlich: zum einen wegen seiner Unachtsamkeit, zum anderen, weil er offensichtlich einen Menschen mit Behinderung verletzt hat. Ein Unfall mit überraschenden Folgen, denn Igor hat sich in den Kopf gesetzt, dass Louis ein perfekter neuer Freund für ihn wäre … und Igor kann sehr hartnäckig sein. So kommt es, dass Louis und Igor zu einer abenteuerlichen Reise im Leichenwagen aufbrechen, die ihr Leben ordentlich auf den Kopf stellt.

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Meinungen

Heribert Spiegel · 06.08.2022

Danke für den Beschrieb. Eine Lazarett-Story, wie sie das bedauernswert Empathie-Publikum zu hauf vorgesetzt bekommt.

Mario Kunze · 26.11.2023

In einer Zeit wo sich Medien vorrangig mit permanenten Negativschlagzeilen zu Wort melden und man das Gefühl bekommt das Wärme und Zuversicht abhanden gekommen sind, ist dieser Film Balsam für die Seele. Ich vergebe auf einer Skala von 1-10 ganz klar 10 Punkte für diesen tollen Film.