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Max Linz bringt eine subversive, absurde, komische, treffende, agitatorische, ratlose, unsinnige, hochintelligente, rasante, redundante, kritische, antikapitalistische, sozialbewusste, abgründige, souveräne, dreckige Akademikersatire auf die Leinwand: „Weitermachen Sanssouci“ ist ein großer kleiner Film.

Weitermachen Sanssouci (2019)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Studieren probieren

Einmal packt eine Studentin während des Seminars ihre Schildkröte auf den Tisch. Hat sie aus dem Urlaub im Urwald – ein Wortwitz, der eigentlich so platt ist, dass die Kalauerpolizei einschreiten müsste. Nur, dass eine Kategorie wie „platt“ in Max Linz‘ “Weitermachen Sanssouci“ überhaupt keinen Platz hat. Sie gilt nicht. Ist nichtig. Denn der Film ist bewusst als Farce angelegt, in der das Absurde sich mit dem Agitatorischen vermischt.

Das Absurde: Das wird hergestellt durch kleine Blödeleien am Rande; durch die Situationen, die Linz mit Lust herstellt; durch die Satire, mit der der Universitätsbetrieb und der Kapitalismus und die Intelligenzija dargestellt werden; durch die künstlichen Räume am Institut für Kybernetik und Simulationsforschung der Uni Berlin, an der der Film spielt; durch die gestellten Dialoge und das hölzerne Spiel der Akteure, und man sollte vielleicht doch extra betonen, dass das bewusste Absicht ist.

Linz entstellt zur Kenntlichkeit: Am Institut wird erstmal grundsätzlich vor sich hingewurschtelt. Die Studenten halten unbeholfen Referate, die Dozenten stellen komplizierte Formeln zum ästhetischen Zustand her, die Leiterin hält sich raus, redet aber überall mit, und Drittmittel müssen ebenfalls angeworben werden. An der Mensa hat der Kollege Alfons Abstract-Wege (auch so ein unterirdischer Gag) ein Nudging-Projekt laufen für gesündere Ernährung, im Simulationsraum wurde sündteures VR-Gerät eingebaut, das natürlich nicht funktioniert. Forschung und Lehre als Chaosbetrieb, mit Studenten, die streiken, aber keine Forderungen haben, und Dozenten, die sich vor allem auf die Jahrestagung in Danzig freuen.

Die Handlung dabei: Eine Evaluation, der sich das Institut unterziehen muss. Nur Exzellenz garantiert die Existenz, und so larifari hier alles zugeht, der Turbokapitalismus des neoliberalen Business ist noch schlimmer. Grundsätzlich könnte man sich ja fast schon sattgesehen haben an den diversen Consultants im deutschen Film der letzten Jahre, von Outside the Box und Zeit der Kannibalen über Toni Erdmann bis – jetzt im Berlinalewettbewerb – Der Boden unter den Füßen von Marie Kreutzer. Aber andererseits ist es halt immer komisch, und immer politisch, und immer absurd, wenn die mit ihrer irren Weltsicht daherkommen. Nur Kennzahlen sind wichtig, „sonst weiß man gar nicht, was ihr macht“, erklärt die Consultant-Tante, und Phoebe Phaidon, Hauptperson, antwortet lapidar: Forschung und Lehre.

Forschung ist nun mal das Suchen und nicht, schon vorher zu wissen, was rauskommt. Aber nur, wenn der Sinn und Zweck nützlich sind, gibt es Geld. Und eigentlich ist das Nudgingprojekt mit seinen Chiparmbändern vor allem dazu da, Daten zu sammeln. Und eigentlich ist die Klimaforschung, die Phoebe den Studenten beibringt, schon wichtig, aber ist es auch den Aufwand wert? Das Institut jedenfalls steht kurz vor der Schließung. Und Max Linz sieht der Panik genüsslich zu. Zwischendurch baut er prächtige Brecht-Momente ein, dann wird ein Danke-Loblied für einen (wirklich unglaublich doofen) Vortrag gesungen, und der Ohrwurm „Warum kann es hier nicht schön sein, und warum sind wir nicht froh?“ ist Episches-Theater-V-Effekt-Performance in Reinkultur.

Linz hat 2014 den fabelhaften Ich will mich nicht künstlich aufregen gemacht, in dem der Berliner Kulturbetrieb kräftig durchabsurdisiert wird. Hier geht Linz genauso ran an den akademischen Betrieb, und das Coole ist, dass jeder doof ist. Die Uni-Leute, die Studenten, die Consultants sowieso. Es gibt keine Lösung, die Linz anbieten könnte; außer vielleicht das Werk von Stafford Beer, der Anfang der 1970er Jahre in Chile unter Allende ein kybernetisches Netzwerk zur computergesteuerten Verteilungsgerechtigkeit aufgebaut hat. Was nach dem Putsch 1973 natürlich im kapitalistischen Interesse sofort in den Mülleimer der Geschichte entsorgt wurde.

Nein, Linz hat einen anderen Punkt, auf den er zusteuert, und den der Zuschauer ob der ganzen großen Schau von Absurditäten und Grotesken vielleicht fast verpassen könnte; und den der Film natürlich auch nicht ausspricht oder erklärt. Linz stellt nicht nur explizit die Gretchenfrage „Wie hältst du’s mit der Universität?“, sondern die Grundfragen „Wie leben? Was tun?“ – und das im Zusammenhang mit einer immer weiter sich durchwühlenden jungen und älteren Akademikergeneration, die mit 28%-Stellen den Verwaltungskram macht, bis irgendwann wieder irgendwo was Befristetes auftaucht. Dass hier nichts passiert, und dass Linz dieses Nichts im Absonderlichen verpackt, das ist die Botschaft: Weitermachen, ohne Sorgen. Weil ohne Probieren das Studieren nichts ist, und beim akademischen Diskutieren in der Simulationsblase zwar nichts rauskommt, aber man die Hoffnung nicht aufgeben darf.

Weitermachen Sanssouci (2019)

Phoebe Phaidon, Klimaforscherin, Institut für Kybernetik, Schließung droht. Forschungserfolge? Entgegengesetzte Interessen, prekäre Exzellenz, Zukunftsaussicht light: alles hängt von erfolgreicher Evaluation ab. Strategieberatung vs. Studentenbewegung in Virtual Reality. Die Verhältnisse tanzen.(Quelle: medienboard.de)

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