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Das Verhältnis von Mensch und Erde spielt sich an der Oberfläche ab: Die Erdkruste, in die gebohrt, gekratzt, gesprengt wird, ist der Ort, an dem Nikolaus Geyrhalters neuer Dokumentarfilm „Erde“ seine Beobachtungen macht. Entwickelt er dazu aber auch eine Haltung?

Erde (2019)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Choreographien des Größenwahns

Im Namen des Fortschritts und der Notwendigkeit werden Tunnel gegraben, Kohle und Metalle abgebaut, Atommülllager in Stand gehalten. Nikolaus Geyrhalters „Erde“ stellt gleich zu Beginn klar: Keine Naturgewalt verändert die Oberfläche unseres Planeten so sehr wie die technischen Gewalten, die der Menschheit zur Verfügung stehen.

Erde schaut, wie die unzähligen Krater und Schlunde aussehen, die von Menschen überall auf der Welt beackert werden. Sieben Schauplätze führt der strukturell streng geordnete Film zunächst über weite Panorama-Luftaufnahmen ein, bevor die Kamera hinabsinkt, zum aufgerissenen Boden und zu den Arbeiter*innen der Minen, Baustellen und Planierprojekte. In langen, beobachtenden Einstellungen folgt Erde den maschinellen Abläufen gigantischer Bagger, Bohrer, Lastwagen und räumt dabei zugleich seinen Protagonist*innen Platz ein, um über ihre Arbeit, die Natur und die Zukunft der Menschheit nachzudenken.

Ein Spannungsfeld zieht sich durch den Film und seine Schauplätze, ganz egal, wo auf der Welt sie sich befinden oder welche Form von Bodenbearbeitung an ihnen vorgenommen wird: Auf der einen Seite steht das Wissen um die Vernichtung der Natur und die langfristigen Konsequenzen, die sich daraus für die Menschheit ergeben. Auf der anderen Seite klafft die große Frage, welche Alternativen sich anbieten: Wie soll ohne den Brenner-Tunnel zwischen Österreich und Italien der Warenverkehr optimiert werden? Wie kann ohne den Abbau von Kupfer in Spanien die elektrifizierte Welt ihr Tempo halten und steigern? Wie soll Atommüll gelagert werden, sodass er für eine Millionen Jahre sicher ist?

Dieses Sprechen von der Alternativlosigkeit der Vernichtung natürlicher Ressourcen, das zahlreiche Protagonist*innen des Films zur Erklärung und Rechtfertigung ihrer Arbeit heranziehen, nimmt Erde in den konkreten Bildern auf, die er von eben dieser Alternativlosigkeit einfängt: Die imposant-schrecklichen Sprengungen, die brachiale Gewalt eines Braunkohle-Baggers, die unendlich-weiße Eleganz unterirdischer Hallen im Marmor-Bergwerk. Der Film selbst spannt sich zwischen schierer ästhetischer Überwältigung und dem Horror dessen, was sich in dieser Überwältigung ausdrückt – zwischen der abstrakten Choreographie der Maschinen und dem Größenwahn der Idee, tatsächlich so etwas wie einen Kampf gegen den Planeten führen und gewinnen zu können.

Man kann dem Film vorwerfen, nicht genug Haltung zu entwickeln. Er macht es sich nicht zur Aufgabe, Antworten zu liefern oder eine Welt zu erschaffen, in der es Eindeutigkeit darüber gibt, wer die Schuld für das Fiasko der Ressourcenverschwendung trägt. Stattdessen besucht er die Orte, an denen sich dieses Grauen ereignet, befragt die Menschen, die daran beteiligt sind, folgt aufs Genaueste den kleinen Bewegungen zersprengter Steinsplitter ebenso wie den großen logistischen Dynamiken der Transporter und Förderbänder. Die aktive Reflexion, welchen Menschen an welchen Orten der Film Raum gibt, bleibt dabei gelegentlich zu sehr zurück. Doch so ist auch das eine Aufgabe des Kinos: zunächst eigene Bilder für die Vorgänge zu finden, die sich jenseits der alltäglichen Wahrnehmung ereignen, und den Zuschauer*innen dann eigene Urteile zuzutrauen.

Erde (2019)

Mehrere Milliarden Tonnen Erde werden durch Menschen jährlich bewegt — mit Schaufeln, Baggern oder Dynamit. Nikolaus Geyrhalter beobachtet in Minen, Steinbrüchen, Großbaustellen Menschen bei ihrem ständigen Kampf, sich den Planeten anzueignen.

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