Tödliche Bekenntnisse (2001)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine sehenswerte Wiederentdeckung

Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass dieser Film in Deutschland nie eine Chance hatte – zumindest nicht im Kino. Tödliche Bekenntnisse / Sur mes lèvres von Jacques Audiard (Ein Prophet) errang seinerzeit nicht nur drei Césars (für die Hauptdarstellerin Emanuelle Devos, den Ton und für sein Drehbuch), sondern war auch für den Europäischen Filmpreis nominiert, gewann zudem einiges an Auszeichungen auf diversen Festivals und erntete gleich reihenweise Kritikerlob diesseits und jenseits des Atlantiks. Dass der Film nach genau zehn Jahren endlich eine späte Würdigung in Form einer Veröffentlichung auf DVD erfährt, ist möglicherweise dem enorm gestiegenen Ruhm seines Regisseurs Jacques Audiard zu verdanken oder schlicht und ergreifend der Tatsache, dass sich Frankreich im letzten Jahrzehnt zu einer der besten Adressen für kluge Genre-Kost, vor allem aus den düsteren Ecken des Kinos, machtvoll etabliert hat.

Carla (Emanuelle Devos) ist schwerhörig und darüber hinaus eine graue Maus, die nahezu niemand wahrnimmt. In ihrem Job als Sekretärin in einem Immobilienbüro stellt man gerne den Kaffeebecher auf ihrem Schreibtisch ab, ignoriert sie und lästert hinterrücks über das Mauerblümchen, dem die Frustration sich förmlich ins Gesicht eingegraben hat. Was niemand weiß: Carla besitzt die Gabe, von den Lippen der anderen Menschen um sie herum deren Gespräche und Äußerungen abzulesen. Und man ahnt schnell, dass genau dieses Talent ihr eines Tages dabei helfen wird, sich für all die vielen kleinen Demütigungen zu rächen, die ihr tagtäglich widerfahren. Noch aber ist die Gelegenheit nicht da, die Zeit dafür noch nicht reif.

Das ändert sich erst, als der Ex-Knacki Paul (Vincent Cassel) als Assistent für die total überforderte Carla eingestellt wird. Schnell stellt sich heraus, dass dieser beim Einstellungsgespräch kräftig geschwindelt hat und nicht einmal die einfachsten Bürotätigkeiten beherrscht, so dass die Sekretärin nun endlich jemanden hat, dem sie Anweisungen geben kann. Als sie zudem entdeckt, dass Paul heimlich nachts im Büro schläft, hat sie ihn völlig in der Hand. Und bald schon hat sie auch eine Idee, wie sie die speziellen Fähigkeiten Pauls zu ihren Gunsten einsetzen kann – um endlich an eines der großen Projekte heranzukommen, bei denen Carla bislang immer übersehen wurde.

Die beginnende Abhängigkeit aber ist durchaus keine Einbahnstraße, wie es anfangs scheint, sondern entfaltet sich auch in der anderen Richtung – weil jede Gunst, jede Gefälligkeit Pauls nach einem Ausgleich verlangt. Zudem entwickeln sich zarte erotische Bande zwischen den beiden Außenseitern und die mühsam unterdrückten Gefühle, die Carla nun kennenlernt, erwecken ihren Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit, mehr Zuneigung, mehr Liebe. Als der Ex-Sträfling von Carlas Talent zum Lippenlesen erfährt, ist es wiederum an ihr, Paul bei einem Coup behilflich zu sein. Viele Nächte muss sie nun mit einem Fernglas bewaffnet in bitterer Kälte auf einem Hausdach verbringen, um von dem Kredithai Marchand den Ort einer Geldübergabe zu erfahren, bei der Paul kräftig mit abkassieren will. Allerdings geht der Plan, den der eher naive Paul ausgeheckt hat, kräftig nach hinten los…

Obwohl Tödliche Bekenntnisse auf den ersten Blick ein schnörkellos inszenierter und sehr konzentrierter Thriller ist, der auf ausufernde Gewaltszenen weitgehend verzichtet, gibt es vieles in diesem Film zu entdecken, der gekonnt Versatzstücke aus verschiedensten Genres unter einen Hut bringt. Dank der beiden herausragenden Hauptdarsteller erweist sich diese Vielschichtigkeit des Plots, der sich locker aus dem Film Noir, dem klassischen Thriller, der Liebesgeschichte bedient, aber niemals als überfrachtet, sondern ergibt vielmehr ein dichtes und realistisches Bilder zweier Außenseiter, die in ihrem schicksalhaften Zusammentreffen die vielleicht einzige Chance auf ein vermeintlich besseres Leben wittern. Erst die Kombination aus Carlas sensorischer Sensibilität und Pauls immer wieder ins Aggressive kippende Aktivität macht aus diesen beiden Menschen ein Ganzes, einen Organismus, der sich wie in einem vielbeschworenen Liebesideal am Ende zu einem Leib vereint, der über die Unbilden und Ungerechtigkeiten des Daseins obsiegen kann.

Neben Emanuelle Devos und Vincent Cassel, der hier wieder einmal eine Kostprobe seiner Wandlungsfähigkeit gibt, rückt im Laufe der Handlung Alexandre Desplats wundervolle Filmmusik immer mehr in den Rang eines heimlichen Haupt- oder zumindest prominenten Nebendarstellers, der der Tristesse von Mathieu Vadepieds kongenialer, mit allen verfügbaren Grautönen spielender Kamera strahlende Kontrapunkte von tiefster Schwärze und leuchtender Farbigkeit entgegensetzt. Und vielleicht soll uns gerade diese Musik ja auch daran erinnern, wie viel Emotion in einem Leben fehlen muss, das eine solche Musik nicht oder nur unter Zuhilfenahme eines Hörgeräts wahrnehmen kann.
 

Tödliche Bekenntnisse (2001)

Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass dieser Film in Deutschland nie eine Chance hatte – zumindest nicht im Kino. „Tödliche Bekenntnisse“ / „Sur mes lèvres“ von Jacques Audiard („Ein Prophet“ ) errang seinerzeit nicht nur drei Césars (für die Hauptdarstellerin Emanuelle Devos, den Ton und für sein Drehbuch), sondern war auch für den Europäischen Filmpreis nominiert, gewann zudem einiges an Auszeichungen auf diversen Festivals und erntete gleich reihenweise Kritikerlob diesseits und jenseits des Atlantiks.

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