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Vergessen, verdrängt, ungeliebt — ein nicht unwesentlicher Teil des deutschen Filmerbes erfreut sich bis heute eines eher zweifelhaften Rufs. Völlig zu unrecht, finden Dominik Graf und Johannes F. Sievert und unternehmen eine Reise ins bundesdeutsche Genrekino.

Offene Wunde deutscher Film (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Bergen deutscher Filmschätze

Bei Offene Wunde deutscher Film handelt es sich um die filmhistorisch wichtige Aufarbeitung eines Teils des derzeit wegen konservatorischer Dringlichkeit ins Gerede gekommenen nationalen Filmerbes — und zwar jenen Teil, der in der offiziellen Filmgeschichtsschreibung gerne unter den Tisch fällt. Nach Verfluchte Liebe deutscher Film widmen sich Dominik Graf und Johannes F. Sievert in zweiten Teil ihrer Betrachtungen der schmuddeligen Randgebiete des Kinos den Genrebeiträgen und schlagen dabei den Bogen in die Gegenwart, die uns derzeit die Hoffnung auf eine kleine Renaissance jener Gattung beschert.

Mit Grafs selbst eingesprochenen und angenehm zurückhaltenden Off-Kommentar, vielen Filmausschnitten und schönen Interviewpassagen, bei denen vor allem jene mit Olaf Möller herausragen, ist Offene Wunde deutscher Film eine pralle Materialsammlung geworden, ein Hybrid aus Dokumentarfilm, Essay und filmhistorischem Reader, den den Nukleus zu einer weitergehenden Beschäftigung mit dem deutschen Genrekino der Nachkriegszeit bilden könnte. Denn trotz der Weiterführung des ersten Teils gibt es nach wie vor viel Unentdecktes zu bergen: Die Sexfilme der späten Sechziger und Siebzigerjahre etwa, der Aufbruch des queeren Kinos oder das No-Budget/Low-Budget-Underground-Kino West-Berlins bis zum Mauerfall sind noch Leerstellen, die allenfalls eingefleischten Cinephilen ein Begriff sind. Aber wie bereits gesagt: Als Ausgangspunkt geht von Grafs und Sieverts Duo ein in vielfacher Hinsicht wichtiger Impuls aus: Er lenkt nicht nur den Blick weg von der Dominanz des Neuen Deutschen Films, sondern weitet ingesamt den Blick auf das Kino als einen Ort des Nebeneinanders verschiedenster Strömungen und Experimentierfelder.

Nicht immer ist Offene Wunde deutscher Film dabei trennscharf, gerade zu Beginn und durch den Auftritt von Akteuren der sogenannten Münchner Gruppe (Werner Encke, Klaus Lemke etc.) hat man den Eindruck, dass es hier Doppelungen, Überlappungen und Redundanzen gibt, die aber andererseits auch dafür sorgen, dass der Film auch dann einen Einsteig bietet, wenn der Besuch von Verfluchte Liebe deutscher Film schon etwas zurückliegt.

Es fällt schon auf, wie sehr sich derzeit die verschiedenen Aufarbeitungen deutscher Filmgeschichte häufen. Zuerst die exzellente Aufarbeitung durch die hervorragende Retrospektive im letzten Sommer in Locarno, dann die beiden, den großen Siegfried Kracauer paraphrasierenden Filme von Rüdiger Suchsland Von Caligari bis Hitler und Hitlers Hollywood und nun der Graf-/Sievert-Doppelpack — als nächstes wird man sich wohl auf eine cineastische Aufarbeitung des Heimatfilms der 1950er und 1960er Jahre freuen können — zumindest wäre das der nächste logische Schritt.

Der Film soll im Laufe dieses Jahres gemeinsam mit einem Vorgänger und — so ist es zumindest geplant — einem Beiprogramm aus in den beiden Werken erwähnten Filmen auf Reisen durch die deutschen Lichtspielhäuser gehen. Nicht nur für Kuratoren, sondern auch für Cinephile und Fans des abseitigen Films ein wahres Fest.

Offene Wunde deutscher Film (2017)

Bei „Offene Wunde deutscher Film“ handelt es sich um die filmhistorisch wichtige Aufarbeitung eines Teils des derzeit wegen konservatorischer Dringlichkeit ins Gerede gekommenen nationalen Filmerbes — und zwar jenen Teil, der in der offiziellen Filmgeschichtsschreibung gerne unter den Tisch fällt.

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