Menashe (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Melancholie und Tradition

Joshua Z. Weinsteins Spielfilmdebüt spielt in einer kleinen, recht abgeschotteten Welt der ultra-orthodoxen hasidischen Juden von Brooklyn, New York. Es kann nicht leicht gewesen sein, hier den Zugang zu bekommen, den Weinstein letztendlich erhielt, und aus dem er den wundervollen Film Menashe machte. In diesem erzählt er von den Bewohnern und die Geschichte eines Vaters (Menashe Lustig), der nach dem Tod seiner Frau um seinen Sohn kämpft.

Das ist gar nicht so einfach, denn in dieser Gesellschaft gelten starre Regeln. Der Ruv (der Rabbi) entscheidet, was passieren soll. Er zitiert Menashe die Tora und erinnert ihn daran, was ein Mann braucht: eine schöne Frau, ein schönes Haus und schönes Geschirr. Nichts davon hat Menashe. Er ist nicht nur Witwer, er ist auch arm. Die Arbeit in dem kleinen Supermarkt ist lang, monoton und nicht gut bezahlt. Menashe hat Schulden. Die Miete für seine kleine Wohnung kann er auch nicht zahlen. Deshalb lebt sein Sohn auch beim Vetter. Der hat Frau, Kinder, ein großes Haus und Geschirr. Und er hält Menashe für einen Loser. Zu recht. Eine Frau soll er sich suchen, die den Haushalt für ihn macht und ihm das Kind erzieht, hat der Rabbi ihm gesagt. Doch Menashe kann nicht mehr. Die erste Ehe, eine Zwangsgemeinschaft, hat ihn emotional ausgemergelt. Noch so eine hält er nicht durch. Und doch, für den Sohn, trifft er sich mit Frauen, die er über einen Vermittler vorgestellt bekommen hat. „Ich weiß, was mit euch hasidischen Männern nicht stimmt!“, schreit ihn eine davon an. „Erst verwöhnen euch eure Mütter, dann übernehmen die Ehefrauen. Kein Wunder, dass ihr euch benehmt wie kleine Babys!“ Recht hat sie. Das weiß er auch.

Und so versucht er einen fast unmöglichen Emanzipationsprozess. Gegen den Rabbi, gegen die Gemeinde, gegen den Vetter und gegen das eigene bessere Wissen will er es allen zeigen. Er kann auch allein. Er kann ein Single-Vater sein. Unter Protest nimmt er den Jungen zu sich. Zumindest für eine Weile und bis er die jährliche Erinnerungsveranstaltung an seine Frau bei sich zuhause ausgerichtet hat.

Die Geschichte von Menashe mag nicht neu oder außergewöhnlich sein, die Umsetzung ist es allerdings. Nicht nur, dass der Film Einsicht in eine recht geschlossene Gesellschaft gibt, es ist vor allem die Art wie Weinstein diesen Einblick gibt. Bisher hat er nur Dokumentarfilme gemacht. Das merkt man auch hier, denn in diesem Spielfilm versteckt sich viel Dokumentarisches, das beobachtet, aus respektvollem Abstand. Vor allem die Straßenszenen zeigen das. Wenn Menashe die stark bevölkerten Straßen des Viertels hinunterläuft, geschieht um ihn herum so viel, in völlig neorealistischer Art, dass zuzuschauen eine Freude ist. Wie gern würde man mit ihm einfach einen Spaziergang machen. Diese Momente erinnern an die Filme der Dardennes oder an Vittorio de Sicas Fahrraddiebe. Bestärkt wird dies durch die Sprache: der Film ist größtenteils in Jiddisch.

Gleichsam sind solche Szenen aber auch Erzählkino. Während alle Männer dort in Mantel und mit Hut herumlaufen, trägt Menashe diese Dinge nie, was ihm viel Ärger einbringt. Trotzdem bevorzugt er hochgekrempelte Ärmel und nur Hemd und Weste. Er ist ein einfacher Mann, der mit seinen Händen arbeitet und pragmatische Kleidung braucht. Aber er braucht auch noch etwas anderes: Luft. Das Leben, so scheint es, ist eh schon so eng und eingeschränkt, da kann er nicht noch einen Mantel überziehen. Doch die Wahl dieser Kleidung macht noch etwas weiteres klar. Menashe ist ein Individuum in einer Gesellschaft, die auf Synchronität und Gleichsein aus ist. Er will nicht der Außenseiter sein, doch er ist es mit jeder Faser seines Daseins.

Und genau daraus speist sich eine feine Melancholie, die diesem Film innewohnt. In seinen Figuren, in seinen Bildern, in seinem ganzen Sein. Und in dem Fakt, dass dieser Film durchsetzt ist mit religiösen Referenzen und Ritualen, die nicht erklärt werden und für viele Zuschauer wohl ein Mysterium bleiben, aber das Lebensgefühl in einer Gemeinschaft perfekt überträgt, die viel miteinander teilt, in der man aber auch nie man selbst sein kann. In all dem steckt dieser einfache Mann, der sein Kind nicht verlieren will, der aber gleichsam gar nicht weiß, was ein Vater eigentlich so machen muss. Und so erziehen Vater und Sohn einander ein wenig gleichzeitig, auch wenn diese Momente nicht wirklich ankommen können gegen Jahrhunderte von Traditionen und Jahrzehnte von Erziehung.

Menashe (2017)

Joshua Z. Weinsteins Spielfilmdebüt spielt in einer kleinen, recht abgeschotteten Welt der ultra-orthodoxen hasidischen Juden von Brooklyn, New York. Es kann nicht leicht gewesen sein, hier den Zugang zu bekommen, den Weinstein letztendlich erhielt, und aus dem er den wundervollen Film „Menashe“ machte.

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