Nico, 1988 (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Abgesang auf eine Ikone

„Nenn mich Christa! Oder hast du was dagegen, dass ich deutsch bin?“, fährt Christa Päffgen ihren Manager an; der ist Jude und wiegelt ab: Er hat nichts gegen sie, wird er bis zum Ende nicht haben. Dabei tut sie alles, um ihre Mitmenschen zu verstören. Christa Päffgen ist eine gebrochene Frau, zerbrochen am frühen Ruhm und an der Fremdbestimmung. Hat sie sich in ihrer kratzbürstigen Rolle als Menschenfeindin spät, in ihren letzen Lebensjahren, vielleicht doch gefunden? Oder zumindest eine Form des Umgangs mit sich selbst, wenn schon nicht mit der Welt? Nico, 88 von Susanna Nicchiarelli beleuchtet in einem grandiosen Biopic die letzten Jahre von Nico, né Christa Päffgen, die einst Sängerin bei Velvet Underground war und davon nichts mehr wissen will.

Trine Dyrholm versinkt vollkommen in dieser Figur. Eine unglaubliche Leistung: Jede Bewegung, jede Nuance ihrer Stimme sitzt. Dunkel und rau und sehr tief ist die Stimme, so zielstrebig wie schwankend sind die Bewegungen. Etwas Ähnliches an zerschundener Körperlichkeit kennt man von Ozzy Osbourne. Dyrholm spielt stets am Rande des Abgrunds, Nico scheint stets high zu sein, ihr Knöchel ist blau vom regelmäßigen Fixen. Bei Auftritten blüht sie manchmal auf, wenn sie nicht düster hinter ihrem Keyboard sitzt; da geht sie auch mal aus sich raus, Dyrholm singt die Songs selbst, auf eine Weise, die die Konzertszenen allein schon zu einem Ereignis macht. Insofern ist Nico, 88 ein Musikfilm.

Es geht um die Jahre von 1986 bis 1988, Nico versucht, mit sich, der Welt, mit ihrer Kunst und ihrem Sohn klarzukommen. Das gelingt ihr mal mehr, mal weniger. Sie ist auf Tour mit einer kleinen Band, kleine Auftritte, kleine Gage, aber immerhin etwas zu tun. Nico, 88 ist auch ein Roadmovie, er erzählt vom Unterwegssein ohne Ziel, vom Zusammenraufen und Auseinanderbrechen von Beziehungen, davon, was man auf dem Weg verlieren und finden kann.

Vor allem ist Nico, 88 aber ein Porträtfilm, eine Charakterzeichnung einer schwierigen Frau, die faszinierend ist, mit der man aber lieber nicht gemeinsam in einem Raum sitzen würde. Die einen anblafft, vielleicht auch nur anschweigt, die von den negative vibrations zu leben scheint, die sie erzeugt. In ihrer Kunst weiß sie das auszudrücken, mysteriös, isoliert, exotisch, zornig, depressiv erscheinen ihre Musik und ihr Gesang, auf keinen Fall auf populär getrimmt, eine eigenartige Mischung aus Psychedelic, Punk, New Wave. Sie hat ihre Fans – die sie gerne mal vor den Kopf stößt. Sie hat ihre Musiker – die sie gerne mal auf offener Bühne zusammenscheißt. Sie hat einen Sohn: Mit dem will sie wieder zusammenkommen, er sitzt in der Psychiatrie, sie hat ihn nicht aufwachsen sehen, sein Vater – Alain Delon – erkennt ihn nicht an, irgendwann gibt es einen Suizidversuch auf dem Klo.

Ein Film auch für die, die nie etwas von Nico oder von Velvet Underground gehört haben – auch Christa Päffgen will nichts mehr von ihrer Vergangenheit wissen, das Schlimmste sind Interviews, die sich um den Ruhm früherer Tage drehen, als Nico schön war, eine Ikone, Muse von Andy Warhol, Partnerin von ungefähr jedem, der die 1960er so cool machte – „wir haben damals vor allem LSD geschluckt“ ist ihr Kommentar auf die Glorifizierung.

Susanna Nicchiarelli hat sich intensiv mit Nicos letzten Jahren auseinandergesetzt, die Jahre, in der sich so etwas wie eine Selbstfindung zu ereignen scheint, ohne dass sie als künstlerischer oder menschlicher Höhepunkt einer Entwicklung zelebriert würde, wie es das übliche Vorgehen in einer Musikerbiographie ist. Nicchiarelli erzählt knapp, aber effektiv von Nico/Christa, die sich in ihrer Unausstehlichkeit suhlt – ein unglaublich intensiver Trip ist dieser Film, ambivalent, nichts beschönigend, immer mittendrin, aber stets zugeneigt: Ein Abgesang auf eine Ikone.
 

Nico, 1988 (2017)

„Nenn mich Christa! Oder hast du was dagegen, dass ich deutsch bin?“, fährt Christa Päffgen ihren Manager an; der ist Jude und wiegelt ab: Er hat nichts gegen sie, wird er bis zum Ende nicht haben. Dabei tut sie alles, um ihre Mitmenschen zu verstören. Christa Päffgen ist eine gebrochene Frau, zerbrochen am frühen Ruhm und an der Fremdbestimmung.

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