Mudbound

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Im Rassimus-Sumpf

Mudbound ist ein wundervolles englisches Wort, das so viel bedeutet, wie im Schlamm stecken bleiben oder auch dem Schlamm zugehörig sein. Und genau so ist es für die Jacksons und die McAllans. Die beiden Familien beackern zusammen ein unwirsches Stück Dreck in Mississippi während des Zweiten Weltkrieges. Henry McAllan (Jason Clarke) ist der weiße Patriarch, der all sein Geld in seinen Traum von einer Farm gesteckt hat, die jetzt im Schlamm der Realität unterzugehen droht. Seine Frau Laura (Carey Mulligan) musste gezwungenermaßen dem Farmer-Traum ihres Mannes folgen und ist nun statt Pianistin eine Bäuerin. Keine guten Voraussetzungen, kein gutes Leben. Aber noch immer Welten besser als das der Jacksons.

Denn die Jacksons sind Afroamerikaner in den Südstaaten der USA zur Zeit der Jim-Crow-Gesetze, einem umfassenden System zur Aufrechterhaltung der Rassenhierarchie, die sich direkt aus der Sklavenzeit entlehnt. Und so lebt die Familie nur einen Hauch besser als ihre Vorfahren. Auf dem Papier sind sie frei, doch in der Realität leben sie als share cropper, das heißt, sie sind Pächter eines Stückes des verschlammten Lands der McAllans und müssen dafür einen Teil ihrer Ernte an ihn abtreten. Und so arbeiten Florence (Mary J. Blige) und ihr Mann Hap (Rob Morgan) Tag und Nacht, um ihre vier Kinder durchzubringen. Dabei müssen sie auch immer wieder kostenlose Arbeiten für die McAllans verrichten, die wenig Empathie und viel Ahnungslosigkeit über ihre eigene privilegierte Stellung haben, und sich zusätzlich vor dem alten McAllan (Jonathan Banks) hüten, dessen offener und aggressiver Hass auf Afroamerikaner schnell gefährlich werden kann.

Doch die Moderne macht auch vor den Südstaaten nicht Halt. In Mudbound kommt sie durch den Krieg und dessen Ende. Der älteste Sohn der Jacksons, Ronsel (Jason Mitchell), hat in ihm gedient und bringt nicht nur ein ausgeprägtes posttraumatisches Stresssyndrom mit nach Hause, sondern auch Erfahrungen, wie es ist, nicht konstant Mensch zweiter Klasse zu sein und nur nach seiner Hautfarbe eingeschätzt zu werden. Umso schrecklicher für ihn, dass der Krieg seinen Emanzipationsprozess und seine Freiheit radikal beendet und den Jungen wieder in die Hölle der Südstaaten schickt, in der er ein Nichts ist und nicht einmal zur Vordertür des Geschäftes hinausgehen darf. Zu ihm gesellt sich ein weiterer Veteran: Henry McAllans junger Bruder Jamie (Garrett Hedlund), der im Krieg von afroamerikanischen Soldaten gerettet wurde – eine Erfahrung, die auch ihn plötzlich außerhalb der rassistischen Gesellschaft verankert, in der er so fortan nicht mehr leben kann. Jamie und Ronsel finden schnell Halt aneinander, denn niemand in Tennessee versteht ihre Erfahrungen. Doch genau diese Freundschaft bringt die Familien auf beiden Seiten in große Bedrängnis, die gar nicht anders kann, als in einer Katastrophe zu enden.

Mudbound ist nicht nur eine große, elegische Erzählung ganz im Stil des klassischen Hollywoodkinos der Nachkriegsära. Es ist vor allem ein Film, der in doppelter Spiegelung über den tief verwurzelten Rassismus der USA sinniert. Dieser geht sogar so weit, dass der Film selbst darunter zu leiden hatte. Als er Anfang 2017 in Sundance seine Premiere feierte, war er sofort ein Festivalliebling und wie in Sundance üblich, erwartete jeder sofort einen Bieterkrieg darum, welcher Verleih die Rechte für ihn bekommt. Doch nichts geschah. Trotz seiner Brillanz fasste ihn niemand an – ein sehr ungewöhnlicher Vorfall, der, so die Vermutung vieler, vor allem damit zu tun hat, dass der Film mit diesem Inhalt in Zeiten eines Donald Trumps als Präsident und damit eines sich gerade verschärfenden ethnischen Konflikts ein zu heißes Eisen wäre. Am Ende erbarmte sich Netflix, zahlte einen fairen Preis und hat nun einen Film in seinem Portfolio, der eigentlich auf die große Leinwand gehört, ganz wie Spielbergs Die Farbe Lila oder der große Vom Winde verweht, an den Mudbound mit jeder Unze seines Daseins in Sachen Elegie und große Bilder erinnert. Doch solche Genialität, wie sie die Regisseurin Dee Rees hier beweist, bleibt nicht still. Der Film hat in den vergangenen Monaten durch Festivals ein Stadium erreicht, in dem er, völlig zurecht, als Oscar-Kandidat gehandelt wird. Hier spiegelt sich doch auch eigenartig die Thematik des Filmes in seiner Rezeptionsgeschichte wider, was dem Werk selbst noch eine weitere Schicht von Wichtigkeit gibt. Nicht, dass der Film das nötig hätte.

Doch genug vom Politischen, denn Mudbound ist viel mehr als das. Er ist vor allem ein wirklich genialer Ensemble-Film, in dem jeder Handgriff sitzt und jedes Gewerk zur Perfektion arbeitet. Er ist ein Werk, dessen Handlung mit seiner Ästhetik in Perfektion verschmilzt wie die nackten Füße der Jacksons mit dem Schlamm, der ihre Existenz sichern soll und sie doch gleichsam verschlingt. Seine warmen braunen Farben vereinen die Hitze des Südens mit seiner Erde und das in Kadrierungen (Kamera: Rachel Morrison), die gleichzeitig die Enge des Lebens und die Weite des Landes zeigen. Rees kreiert hier einen poetischen Realismus, wie es das amerikanische Kino lange nicht mehr getan hat. Die Narration webt sie aus mehreren Stimmen, die poetisch aber stets mit scharfem Blick für die Realität von ihren Erfahrungen berichten. Mal spricht Laura, dann wieder Ronsel. Die Erzählerstimmen sind vielfältig, beinhalten doch absichtlich nur die, die oftmals keine Stimme haben.

Mit diesem Film etabliert sich Dee Rees endgültig als große Regisseurin. Man kann nur hoffen, dass sie nicht weiterhin vom Hollywood-System ignoriert wird, weil sie nicht weiß, nicht männlich und nicht hetero ist. Denn solch ein Talent zu verschwenden, wäre ein kapitales Verbrechen.
 

Mudbound

„Mudbound“ ist ein wundervolles englisches Wort, das so viel bedeutet, wie im Schlamm stecken bleiben oder auch dem Schlamm zugehörig sein. Und genau so ist es für die Jacksons und die McAllans. Die beiden Familien beackern zusammen ein unwirsches Stück Dreck in Mississippi während des Zweiten Weltkrieges. Henry McAllan (Jason Clarke) ist der weiße Patriarch, der all sein Geld in seinen Traum von einer Farm gesteckt hat, die jetzt im Schlamm der Realität unterzugehen droht. Seine Frau Laura (Carey Mulligan) musste gezwungenermaßen dem Farmer-Traum ihres Mannes folgen und ist nun statt Pianistin eine Bäuerin. Keine guten Voraussetzungen, kein gutes Leben. Aber noch immer Welten besser als das der Jacksons.

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