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Das Schicksal, das Abdellatif Kechiche in seinem zweiten Teil der Mektoub-Trilogie beschwört, er scheint es vor allem in den Hintern junger Frauen zu vermuten. Zumindest filmt er diese beständig ab. Wird er sein Schicksal dort finden? Wir meinen: ja.

Mektoub My Love: Intermezzo (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Arschrosa ist eine warme Farbe

Es wäre leicht, Abdellatif Kechiches zweiten Film der Mektoub-Reihe, „Mektoub, My Love: Intermezzo“ mit einer Reihe von Arschwitzen zu versehen (man verzeihe mir die Überschrift, es war zu verlockend) und ihn dann abwinkend und kopfschüttelnd mit Wortsalven zu zermalmen. Doch das wäre so redundant wie Kechiches Film es ist und man will ja nicht langweilen, lieber Leser, liebe Leserin. Wer den ersten Teil Mektoub, My Love: Canto Uno nicht gesehen hat, dem sei gesagt: es ist egal. Hier geht es eh nicht wirklich um eine Geschichte.

Denn diese ist bei Kechiche in beiden Teilen so dünn wie ein Blatt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass beide Filme über drei Stunden Laufzeit haben. Sei’s drum, wir fassen es zusammen: Die Clique um Ophélie (Ophélie Bau) und ihre Freunde, die allesamt in Séte, Südfrankreich leben und dort den Sommer zwischen Strand und Disco verbringen, sind noch immer in Séte, noch immer am Strand, noch immer in der Disco. Auch Amin (Shaïn Boumédine), die Hauptfigur des ersten Teils, ist wieder mit von der Partie. Allerdings reduziert sich sein Einsatz hier in den Promillebereich. Er, der Fotograf und Drehbuchautor, ist der Trübsal blasende Beobachter, der Party-Pooper, dem sich trotzdem alle Frauen der Clique an den Hals werfen. Dies erklärt sich aber vor allem mit der sonstigen Auswahl. Aimé (Roméo De Lacou) vögelt alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist, sein Cousin Tony (Salim Kechiouche) ist noch schlimmer. Und Ophélie, die in drei Wochen den noch immer nicht aufgetauchten Clément heiraten soll, ist schwanger von Tony. Wie in Teil 1 gabelt man am Strand noch ein Mädchen auf, diesmal ist es die junge Marie (Marie Bernard), die dem Himmel sei Dank zufällig gerade 18 Jahre alt geworden ist. Das war’s.

Kechiche beginnt den Film mit einem Gesicht, das in Amins Kamera lacht. Er macht Fotos, Nacktfotos versteht sich. Für die Kunst. Doch keine Minute kann Kechiches durstige Kamera warten, bis sie das erste Mal nach unten gleitet und dort verweilt, wo sie quasi den Rest des Filmes bleiben soll: am Arsch der jungen Frau. Dann Schnitt und wir sind am Strand. Was soll nur folgen auf solch schönen Hintern? Da gibt es nur eins: vier Hintern. Es sind Ophélie und Co. im Wasser am Meer, dann draußen am Strand, Sie trocknen sich ab und die Kamera filmt ihnen blank auf den Hintern, zwischen die Beine. So offensichtlich voyeuristisch, dass das sonst so gediegene Publikum in Cannes lachte und pfiff, wie man sonst den schönen Mädchen auf der Straße hinterherruft — wenn man so ein Mann ist.

Doch Mektoub, My Love: Intermezzo ist nicht umsonst ein Intermezzo, ein Zwischenteil. Und diese sind bekanntlich ja immer damit beschäftigt, vom ersten großen Höhepunkt zum zweiten zu geleiten. Und so ist nach einer dreiviertel Stunde, also dem ersten Viertel, damit dann auch Schluss. Für den Rest der Zeit geht es in die Disco. Ja, wirklich. Zwei Stunden Disco und drei Abba-Alben wird es nun dauern, dieser Film, der einen durch das Wummern des Basses und das Wackeln der Ärsche in eine Trance versetzt, die einen zu mürbe macht, um aus diesem Werk zu kriechen. Mal abgesehen davon, dass man als cinephiler Geist nicht glauben mag, dass das dann alles ist und ewiglich darauf wartet, dass da noch was kommt. Und kommen tut da was. Es ist Ophélie, die sich dreizehn Minuten lang oral befriedigen lässt in einem dreckigen Discoklo, das so eng ist, dass man das Gefühl hat, Kechiche hält ihr dabei die Haare aus dem Gesicht. Demnächst dann auf Pornhub zu sehen, gleich nach der Sexszene aus Blau ist eine warme Farbe.

Nun, nichts gegen Oralsex, Discos oder twerkende Hintern, liebe LeserInnen, auch diese Kritikerin ist keine Kostverächterin. Im Gegenteil, es ist immer spannend, so distinguiert körperliches Kino zu erfahren, das faktisch kaum Geschichte oder Dialoge hat. Doch auch wenn Kechiche im Grundsatz die Mechaniken des Körperkinos nutzt, so stimmt hier etwas nicht. Mit viel, viel Freundlichkeit kann man hier noch etwas aus der Trancehaftigkeit gewinnen, in die der Film durch seine epische Länge und seine unendlichen Wiederholungen von wackelnden Hintern einen versetzt. Es ist fast eine Hypnose, die hier geschieht, doch fühlt sich diese eher versehentlich als gewollt an. Eindeutig gewollt und bis auf den letzten Tropfen ausgekostet ist jedoch die Art, wie die Kamera Kechiches Körper einfängt. Nach genau dieser Kameraarbeit befragt, erklärte Kechiche die Frauenkörper (denn die Männer in diesem Film werden nie so kadriert und gezeigt) seien für ihn die große Kunst. Sie seien wie Statuen, die man eben auch von unten sieht und so ist seine Kamera auch stets in der Untersicht. „Upskirt“ nennt man diese Art der Kameraarbeit übrigens im Porno- und Voyeuristensprech und bei allem Respekt — hier zeigt sich, wie problematisch diese Arbeiten des Regisseurs doch sind. Was Kechiche als Würdigung der Kunst verkauft, ist eindeutig in seiner Formsprache voyeuristisch und geifernd. Wie ein alter Mann im Ärscheparadies wandert dieser Protoyp des „männlichen Blicks“ von Hintern zu Hintern, zu Brüsten, zurück zu Hintern und seine Untersicht ist zufällig nur immer dann zu haben, wenn er dadurch einen bessern Winkel und Blick auf das Geschehen hat. Ansonsten bevorzugt er doch den ganz direkten, möglichst nahen Schuss direkt ins Herz der Dunkelheit und das so penetrant, dass man der Meinung ist, dass noch ein bisschen näher in einer Rektaluntersuchung enden würde.

Und ganz ehrlich, selbst in seinem Fetisch/Kunst-Diskurs überschätzt sich der Macher in Sachen Innovation und Kreativität: Die Fetischisierung des derriéres hat Tinto Brass um einiges besser und interessanterweise mit viel mehr Respekt und Würde gemacht. Das Nutzen des Pos in der Kunst ist schon von Yoko Ono in Bottoms (1967) in nur 80 Minuten um einiges besser abgehakt. Und selbst die Idee, dass junge Frauen zu objektivieren ein Akt der Liebe zur Kunst und zur Form wäre, weil sie dem Anbetenden, dem Künstler Vorbild und Musen sind, ist schon vergeben. Diesen Irrtum gibt es schon seit Hunderten von Jahren und spätestens Nabokov und Co. wären nicht entzückt, ihre Ausreden auch noch mit Kechiche zu teilen.

Zumal eine solche Anbetung, wie er sie beteuert, nur schwer mit der Demütigung und Entwürdigung seiner Schauspielerinnen in Einklang geht, derer er schon mehrmals bezichtigt wurde. Dass Léa Seydoux sich beim Dreh zu Blau ist eine warme Farbe wie eine Prostituierte fühlte, spricht genauso wenig für Kechiches „Kunstgedanken“ wie die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen Vergewaltigung. Die Idee, den Künstler und die Privatperson auseinanderzuhalten, wird spätestens hier eigentlich unmöglich.

Mektoub My Love: Intermezzo (2019)

Das zweite Kapitel der neuen Trilogie von Abdellatif Kechiche.

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