Log Line

In seinem neuen Werk „Das Haus am Meer“ setzt Robert Guédiguian auf sein bewährtes Ensemble – und konfrontiert seine Figuren sowohl mit zeitlosen als auch mit ganz klar gegenwartsbezogenen Themen.

Das Haus am Meer (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Aus- und Umbrüche

„Das Haus am Meer“ von Robert Guédiguian beginnt genau mit jenen Bildern, die uns der Titel verspricht: Wir befinden uns auf der Terrasse eines Anwesens an der Bucht von Méjean nahe Marseille, blicken mit dem grauhaarigen Maurice (Fred Ulysse) auf das Wasser und hören sanftes Wellenrauschen und die Laute von Möwen. Doch alsbald wird die Idylle durchbrochen: Maurice erleidet einen Schlaganfall. Und damit ist das Sujet des Films bereits umrissen: Es geht um die Vergänglichkeit inmitten von Schönheit.

Maurices Tochter – die Theater- und Fernsehschauspielerin Angèle Barberini (Ariane Ascaride) – reist daraufhin in ihr Heimatstädtchen, dem sie vor langer Zeit nach einer Tragödie den Rücken gekehrt hat. Und auch ihr Bruder Joseph (Jean-Pierre Darroussin), ein engagierter Gewerkschaftler und wenig erfolgreicher Autor, trifft mit seiner deutlich jüngeren Freundin Bérangère (Anaïs Demoustier) ein. Einzig Armand (Gérard Meylan) – Maurices ältester Sohn – ist stets in der Gegend geblieben und hat das Restaurant des Vaters übernommen. Das Geschwister-Trio muss nun klären, wie die Pflege des schwer kranken Maurice vonstattengehen und was mit dem Haus am Meer passieren soll.

Überdies fängt der Film ein, wie das touristische Paradies von einst zu einem Ort der Melancholie geworden ist: Viele Häuser stehen leer, etliche Leute können sich die Miete nicht mehr leisten. In Nebensträngen wird erzählt, wie der junge Fischer Benjamin (Robinson Stévenin) seinen Alltag bestreitet und diesem bei Gelegenheit zu entfliehen versucht, wie ein älteres Ehepaar (Jacques Boudet und Geneviève Mnich) sich weigert, die finanzielle Unterstützung des Sohnes (Yann Trégouët) anzunehmen – und wie Angèle, Joseph und Armand plötzlich mit einem Mädchen (Haylana Bechir) und dessen zwei kleinen Brüdern (Ayoub Oaued und Giani Roux) konfrontiert werden, die mit anderen Geflüchteten in die Bucht gelangt sind und von der Armee gesucht werden. Während eine ähnliche Konfrontation in Luca Guadagninos A Bigger Splash (2015) hauptsächlich als Irritationsmoment diente, wird der Begegnung hier mehr Raum und Tiefe gegeben.

Wie schon in seinem Langfilmdebüt Der letzte Sommer (1981) und in zahlreichen Werken in den folgenden Dekaden – darunter Geld allein macht glücklich (1993), Marius und Jeannette – Eine Liebe in Marseille (1997) und Café Olympique – Ein Geburtstag in Marseille (2014) – arbeitet der Drehbuchautor und Regisseur Robert Guédiguian auch in Das Haus am Meer mit seiner Ehefrau Ariane Ascaride als Hauptdarstellerin zusammen; hinzu kommen Stamm-Cast-Mitglieder wie Gérard Meylan und Jean-Pierre Darroussin. Das nächste Projekt mit einem Großteil der bewährten Besetzung (auch den jüngeren Gesichtern Anaïs Demoustier und Robinson Stévenin, die im Laufe der Zeit in Guédiguians Film-Familie aufgenommen wurden) befindet sich bereits in der Post-Produktion. Bei so viel Erprobtem kann sich natürlich leicht Routine einstellen und eine gewisse Energie verloren gehen. Es gelingt Guédiguian und seinem Team aber, erneut einen sehr genauen und interessierten Blick auf die Lebensumstände der gezeigten Figuren zu werfen und dabei politische Diskurse einzuflechten, ohne den Film zu einer formelhaften Milieustudie werden zu lassen. Das Haus am Meer ist durch und durch character-driven – und in seiner Erzählweise angenehm zurückhaltend.

Während (nicht nur) das zeitgenössische französische Kino die gesellschaftliche Lage des eigenen Landes und die Stimmung der Bevölkerung oft für alberne Possen mit vorgeblich tabubrechend-mutigen, nicht selten aber vor allem rassistisch-dummen Gags nutzt (so etwa Philippe de Chauverons Hereinspaziert!), lässt Das Haus am Meer in erster Linie Empathie erkennen. Guédiguians Theater-Erfahrung ist in der Konzentration auf das Gesagte und Ungesagte, auf Blicke und Gesten spürbar; zugleich legt er – unterstützt durch seinen Kameramann Pierre Milon – jedoch auch ein gutes Gefühl für Bilder an den Tag: Er verfügt über ein sowohl für die Bühne als auch für die Leinwand vorteilhaftes Talent für Komposition, für die kluge Anordnung des Personals im Raum. In Guédiguians Werk beobachten wir Menschen, die viel erlebt und erlitten haben und deren Beziehungen zueinander kompliziert sind; wir sehen keine Drehbuchgestalten, die lediglich Plot-Vorgaben zu erfüllen haben. Am ehesten eine offensichtlich konstruierte Figur ist der von Angèle geradezu besessene Benjamin, der voller Leidenschaft Theaterstücke rezitiert und in seiner Annäherung an Angèle eindeutig Grenzen überschreitet; der junge Mann verleiht der Geschichte allerdings den für Guédiguian nicht untypischen Hauch von Künstlichkeit, der als Kontrapunkt zur realistischen Schilderung gesetzt wird. Insgesamt ist Das Haus am Meer gewiss kein spektakulärer Film – aber feinfühlig gemachtes Kino und eine stimmige Fortführung von Guédiguians umfangreichem Œuvre.

Das Haus am Meer (2018)

Ein alter Mann besitzt eine wunderschöne Villa in einer kleinen Bucht nahe Marseille. Seine drei Kinder sind dort, um ihn an seinen letzten Tagen zu begleiten. Angela, eine Schauspielerin aus Paris. Joseph, der sich in eine Frau verliebt hat, die nur halb so alt wie er ist und Armand, der einzige, der in Marseille geblieben ist und dort das kleine Familienrestaurant leitet. Es scheint die Zeit für Reflektionen zu sein als plötzlich eine Gruppe von Flüchtlingen in einer nahen Höhle auftaucht und alles über den Haufen wirft.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Erich Fischer · 22.09.2022

Wieder einmal ein Film, der für die deutsche Fassung einen bereits (2001!) vergebenen (ohnehin platten, nichtssagenden) Titel benutzt - im Zeitalter von Google dürfte das nicht passieren. Gerade dieser Film (Originaltitel "La Villa") hätte genauso gut "Das Haus in der Bucht" oder "Das Haus am Hafen" oder "Das Haus der Utopien" heißen können.