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Ein intensives Filmerlebnis: Mit Laien und langen Kamerasequenzen erzählt „In the Middle of the River“ von den Überfahrenen in New Mexico, wo Gewalt Gewalt gebiert und die einzige Zukunft in der Army liegt.

In the Middle of the River (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

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Ein junger Mann in einem engen Klo. Wütend, sauwütend. Er haut den Handtuchspender zusammen, dann raus, durch den Tankstellenshop zu den Autos, dort ein lautstarker Streit, er rasselt mit einem Älteren zusammen, steigt dann zu einer Freundin ins Auto, haut sich vor Zorn den Kopf mehrmals aufs Armaturenbrett, sie fahren, er steigt aus, betritt sein armseliges Zuhause – und das alles, fast zehn Minuten lang, ohne Schnitt, mit einer Intensität in den Bildern und in den Akteuren, die Sebastian Schippers Viktoria nur in seinen besten Momenten erreicht.

Und das Unglaubliche: Es geht so weiter. Jede Szene eine Einstellung, jede Szene von großer Härte, von großer Energie – und in den richtigen Momenten verlangsamen sich die Bewegungen der Akteure, der Kamera, es wird ruhig, nur um dann wieder heftig weiterzugehen.

In the Middle of the River ist eine deutsch-amerikanische Koproduktion: Doch es ist eine uramerikanische Geschichte, die in den diversen Unterschichten von New Mexico spielt. Breaking Bad-Country. Perspektivlosigkeit. Verlorenheit. Alkohol, Meth. Gewalt. Und tiefsitzende Aggressionen, immer und überall.

Gabriel kehrt heim. Er will herausbekommen, warum seine Schwester tot ist. Er hat einen Verdacht: Trigger-Finger, der, den er vor der Tanke zusammenschlägt. Jetzt hat er in diesem örtlichen Drogenboss einen Feind; doch er muss weiter, voran: Er will Rache, für irgendwas, wahrscheinlich für alles. Wohnt bei der Großmutter, zusammen mit der anderen Schwester, zusammen mit den Kindern der Toten. Zusammen mit dem Großvater, der abends betrunken heimkommt und die Großmutter vermöbelt. Zusammen mit seinem Bruder: Der ist jung und gerät in die Teenagergang, die es den „Buschnegern“ so richtig zeigen will. Geht doch zurück, wo ihr herkommt! Gemeint sind die Navajo vom angrenzenden Reservat. Hier wohnt Gabriels Freundin Dana. Die er verlassen hat, ohne ein Wort, vor 5 Jahren. Flucht in die Armee, in den Irak. Jetzt kriegsinvalide, Obama Care zahlt zwar für Schmerzmittel, aber nicht für Reha.

Sie sind alle abgehängt. Sie sind alle verloren. Sie gehen unterschiedlich damit um. Meistens mit Gewalt und Brutalität. Oft mit Kriminalität. Manchmal – bei der Großmutter – mit Gottesfurcht. Manchmal – bei Dana – mit kluger Kanalisierung der Aggression: Sie ist Boxerin.

Gabriel forscht weiter in diesem undurchdringlichen Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten und fixiert sogar diesen einen Gedanken in sich: Hatte die Schwester was mit dem Großvater? Hat er sie umgebracht? Und im Mittelteil wird der Film, der so radikal ist, dann tatsächlich auf subtile Art emotional: Der Großvater: Vietnam; der Enkel: Irak. Und sie sprechen, und der Junge will den Alten töten. Und die Gewalt bricht wieder los.

Damian John Harper hat seinen Film sehr klug konstruiert. Ein Beziehungsgeflecht, in das der Zuschauer geworfen wird, ein Netz, aus dem sich Publikum wie Protagonisten herauswinden wollen; es sind Geschichten, die sich aus der Lebenserfahrung von New Mexico speisen, gespielt von Laien, die ihre Persönlichkeiten einbringen, die damit ganz und gar echt wirken: Verdichtete Authentizität, inszeniert als Tour de Force. Harper ist Ethnologe, seine Erforschung der Umstände ist die Basis des Films. Die Power aber, die er seinem Film verleiht: Die kommt von seiner Kraft als Erzähler.

Und lediglich am Ende fallen zu viele der Handlungsteile allzu zweckmäßig aneinander, um abgeschlossen zu werden. Denn eigentlich, das ist klar: Einen wirklichen Ausweg aus dieser Gesellschaft am Fuße der Gesellschaft kann es nicht geben.

In the Middle of the River (2018)

Gabriel kehrt in seine Heimat im ländlichen New Mexico zurück. Er glaubt, dass sein Großvater für den Tod seiner Schwester verantwortlich ist – und hat sich geschworen, diesen zu töten. Im Moment der Wahrheit wird sein Plan jedoch vereitelt. So müssen beide einen Tag zusammen verbringen. Sowohl Gabriel als auch sein Großvater wurden, jeder auf seine Weise, vom Krieg traumatisiert. Während sie sich über ihre Erfahrungen austauschen, stellt Gabriel fest, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, und muss sich allmählich eingestehen, dass auch er eine tragende Rolle im Familienkonflikt spielt. 

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