Der Prinz und der Dybbuk (2017)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Ein chamäleonartiges Leben

Wer war Michal Waszynski? Wenn man den Film Der Prinz und der Dybbuk auf eine Frage bringen müsste, dann wäre es diese. Auf den ersten Blick lässt sie sich leicht beantworten: Michal Waszynski war ein polnischer Regisseur, der im Rom der 1950er Jahre Erfolge feierte, mit den Reichen und Schönen befreundet war und selbst sogar einen italienischen Prinzentitel trug — eine schillernde Figur jener Zeit, deren Geschichte oder Namen heute jedoch kaum noch jemand kennt.

Auf den zweiten Blick ist alles jedoch etwas komplizierter. Wie Detektive begeben sich die beiden polnischen Filmemacher Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski auf die Suche nach der eigentlichen Person, die in Rom unter dem Namen Michal Waszynski berühmt wurde. In Italiens Hauptstadt hat er viele Jahre seines Lebens verbracht. Hier erhalten die Filmemacher von einer mit ihm befreundeten Adelsfamilie die Fotografie des Regisseurs als jungen Mann. Auf dem sepiafarbenen Abzug steht hinter ihm eine Frau. „Das muss seine Mutter gewesen sein“, sagt die römische Adlige, die Waszynski noch selbst kannte. Die Notizen auf der Rückseite der Fotografie führen die Dokumentarfilmer jedoch nicht nach Polen, sondern in die heutige Ukraine, in eine kleine Stadt, in der sich tatsächlich noch Einwohner an die Familie des Regisseurs erinnern. Dort ist er aufgewachsen, allerdings trug er damals noch den Namen „Mosche Waks“ und war jüdisch. Frühzeitig soll er die Familie verlassen haben, sei zum Katholizismus konvertiert und existierte für die streng orthodoxen Eltern danach nicht mehr, so erzählen es die Nachfahren der Familie Waks, die die Filmemacher in Tel Aviv treffen. Und so geht die Spurensuche weiter: Amerika, Italien, Spanien, Israel – jede Station des umtriebigen Lebens des Regisseurs besuchen sie, überall kommen Weggefährten, Freunde, Bekannte zu Wort und jeder gibt einen kleinen Hinweis, der sie weiterführt, tiefer hinein in die Psyche dieses Menschen, der so oft floh und sich immer wieder neu erfand.

Dass Der Prinz und der Dybbuk dabei kein klassischer linearerzählter Biographiefilm wurde, verdankt man wohl Piotr Rosolowski, der bereits in seinem oscarnominierten Dokumentarfilm Mauerhase (2010) bewiesen hat, dass er einen sehr essayhaften Erzählstil verwendet und gern kleine Randerscheinungen der Geschichte in den Fokus nimmt, um auf die großen Themen der Menschheit zu verweisen. Mauerhase war ein Film über die Kaninchenpopulation im Niemandsland zwischen Ost- und Westberlin, erzählte jedoch auf der Metaebene die Geschichte von Freiheit, Unterdrückung und Propaganda im Kalten Krieg. Ähnlich verhält es sich auch mit Der Prinz und der Dybbuk, den er gemeinsam mit der Dokumentarfilmerin Elwira Niewiera als spannende Spurensuche inszeniert, wie man sie sonst aus Kriminalfilmen kennt. Wie bei einer Matrjoschka-Puppe birgt jede neue Entdeckung eine weitere unerwartete Wendung in sich: Warum konvertierte Waszynski? Woher stammte sein Prinzentitel? Hatte er ihn durch Heirat oder als Ehrung erhalten? Auf jede Frage gibt es mindestens zwei Antworten und nie gleichen sie sich. Mit der Wahrheit verhält es sich hier wie in Kurosawas Rashomon, sie existiert nicht endgültig, jeder hat seine eigene.

Der essayistische Erzählansatz rettet diese offene Recherche vor der Unübersichtlichkeit. Durch vielfältiges Archiv- und Spielfilmmaterial unterstützt, entsteht so ein Filmessay, das anhand der Geschichte dieses Mannes auch die Geschichte Europas erzählt. Holocaust, Flucht, Vertreibung, Traumata, Homosexualität und Freiheit werden thematisiert, mit einer Subtilität wie sie zuletzt wohl nur Dominik Graf in seinen Essayfilmen über den deutschen Film gelungen ist.

Immer wieder kommt dabei der Film Der Dybbuk (1937) vor. Er war das Werk, an dem sich Waszynski zeit seines Lebens abarbeitete. Mit ihm hatte er einen wichtigen Meilenstein jiddischer Kinotradition geschaffen. Der Film zeigt nicht nur das reiche kulturelle jüdische Leben vor dem Holocaust, er sollte auch viele Jahrzehnte einer der letzten Filme bleiben, die komplett auf Jiddisch gedreht wurden. (Erst in diesem Jahr traute sich das der Film Menashe wieder, um ihn zu produzieren, mussten jedoch erst mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs vergehen.) Der Dybbuk prägte Waszynski, auch wenn er zu der Zeit schon zum Katholizismus konvertiert war. Der Geist, der in diesem Film aus der Totenwelt heraufbeschworen wird, soll auch ihn symbolisch für den Rest seines Lebens verfolgen. Seinen Wurzeln und Neigungen kann er nie recht entfliehen, egal wie oft er den Narrativ seiner eigenen Geschichte überarbeitet.

Der Original-Dybbuk ist dementsprechend auch für den Dokumentarfilm Referenzmaterial Nummer eins. Beim Gang über den Friedhof in Rom auf der Suche nach Waszynskis Grab etwa sind Szenen seines Films aus dem Jahr 1937 zwischengeschnitten: ein Gespenst wandelt zwischen Grabsteinen. Ein Traum? Ein Albtraum? Der Geist des Regisseurs, als Antwort auf die Suche nach seinen Überresten? Es sind diese Szenen, die beim Zuschauen für kleine Glücksmomente sorgen, denn sie verlangen dem Zuschauer ab, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen, sich auf den Erzählstil einzulassen und bei der Reflexion über das chamäleonartige Leben dieses Regisseurs auch über den Narrativ des eigenen Lebens nachzudenken. Wie oft kann man das schon von einem Film behaupten?

Der Prinz und der Dybbuk (2017)

Wer war Michal Waszynski? Wenn man den Film „Der Prinz und der Dybbuk“ auf eine Frage bringen müsste, dann wäre es diese. Auf den ersten Blick lässt sie sich leicht beantworten: Michal Waszynski war ein polnischer Regisseur, der im Rom der 1950er Jahre Erfolge feierte, mit den Reichen und Schönen befreundet war und selbst sogar einen italienischen Prinzentitel trug — eine schillernde Figur jener Zeit, deren Geschichte oder Namen heute jedoch kaum noch jemand kennt.

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Meinungen

Claudia · 20.06.2018

Eine unglaubliche Reise eines menschlichen Chamäleons! Wie Zelig von Woody Allen nur echt...