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In ihrem neuen dokumentarischen Werk „Das Hamlet Syndrom“ begleiten Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski eine Gruppe von jungen Schauspieler:innen aus der Ukraine.

Das Hamlet Syndrom (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Die Wunde ist immer noch offen…“

Das Regie-Duo Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski stammt aus Polen. Die beiden leben und arbeiten seit vielen Jahren in Berlin. In „Domino Effekt“ (2014) zeigten sie Menschen in Abchasien, einer kleinen Kaukasusrepublik am Schwarzen Meer, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen Neuanfang versuchen. In „Der Prinz und der Dybbuk“ (2017) widmeten sie sich dem 1904 als Moshe Waks geborenen Regisseur und Produzenten Michał Waszyński, der ein Leben mit diversen Geheimnissen (und wechselnden Identitäten) geführt hat.

In beiden Fällen schauten Niewiera und Rosołowski ganz genau hin, um sich auf die Spuren der Porträtierten zu begeben. Auch ihr aktuelles Werk Das Hamlet Syndrom zeichnet sich durch diese hohe Präzision und Empathie aus. Diesmal geht es um die junge ukrainische Generation, die erst nach dem Zerfall der Sowjetunion zur Welt kam und von der Maidan-Revolution 2013/14 geprägt wurde. Der Dokumentarfilm wurde wenige Monate vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine 2022 gedreht. In einer abschließenden Texteinblendung erfahren wir, dass drei der fünf Personen, die das Regie-Duo begleitet hat, inzwischen in den Reihen der ukrainischen Armee kämpfen.

Wir lernen hier drei Männer und zwei Frauen kennen, die unter der Leitung der 1987 geborenen Regisseurin Rosa Sarkissjan an einem 40-tägigen Theaterprojekt teilnehmen. Ihre Erfahrungen mit dem Krieg, ihre Trauer und Traumata sollen in einer Inszenierung verarbeitet werden. Als Bezugspunkt dient das berühmte William-Shakespeare-Stück Hamlet aus dem beginnenden 17. Jahrhundert und die darin verhandelte zentrale Frage: „Sein oder Nichtsein“? Wie es etwa auch dem Dokumentarfilm 1001 Nights Apart (2022) von Sarvnaz Alambeigi über eine junge Generation von iranischen Tänzer:innen gelang, die mal künstlerischen, mal sehr persönlichen Auseinandersetzungen innerhalb einer Gruppe einzufangen, vermitteln uns auch Niewiera und Rosołowski in Das Hamlet Syndrom diesen schwierigen Prozess, indem sie in ihrer Funktion als Beobachter:innen die richtige Balance aus Nähe und Diskretion finden.

Welche (lebens-)wichtigen Entscheidungen mussten diese fünf Leute (allzu) früh schon treffen? Und inwiefern hat sie das physisch und psychisch beeinflusst? Welche Gefühle haben diese Situationen hervorgerufen und welche Wunden hat das Erlebte hinterlassen? So war etwa Slawik als Soldat im Krieg und in Gefangenschaft. Rodion floh aus dem Donbas und wird immer wieder mit extremer Homophobie konfrontiert; Roman musste ohne Vorkenntnisse als Sanitäter auf dem Schlachtfeld dienen. „Du bist ein normaler Mensch, der plötzlich in den Krieg gerissen wurde“, wird an einer Stelle zu Roman gesagt, der nach wie vor darunter leidet, damals im Umgang mit Verwundeten völlig hilflos gewesen zu sein. Der Krieg ist etwas, was diesen Menschen, die von der Schauspielerei und von der Verwirklichung ihrer Ziele träumten, von außen angetan wurde – und was sich nun, in genau diesem Moment, wiederholt.

Bemerkenswert ist auch eine Aussage von Rodion während einer Probe, in der er darauf eingeht, dass Leute ihm im Zuge seines Kampfes gegen Hass und Gewalt sagen würden, wie stolz sie auf ihn seien: „Sorgt lieber dafür, dass man in diesem Land kein Held sein muss!“ Solche Szenen heben hervor, dass Pathos der falsche Weg ist, um auf Leid und Krieg zu reagieren.

Das Hamlet Syndrom (2022)

Eine junge ukrainische Theaterregisseurin nimmt uns mit auf eine dokumentarische Reise: Sie begibt sich auf die Suche nach dem modernen Hamlet. Ihre Theaterinszenierung ist der Ausgangspunkt für das pulsierende Porträt einer jungen ukrainischen Generation, die durch den Krieg und den politischen Umbruch im Land gekennzeichnet ist und trotz aller Widrigkeiten ihr Land verändern will. (Quelle: Neue Celluloid Fabrik)

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