Der Ornithologe (2016)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Der Ornithologe von João Pedro Rodrigues ist ein Abenteuer im doppelten Sinn. Zum einen handelt es sich, wenn man es benennen müsste, wohl um so etwas wie einen Abenteuerfilm über einen verirrten Ornithologen in der Wildnis. Zum anderen wagt der Film ein narratives Abenteuer, das mit solcher Frische und Nonchalance daherkommt, dass das Sehen des Films zu einem ganz anderen Abenteuer wird. Ein Abenteuer, das zeigt, was im Kino möglich wäre, wenn man es denn (los)ließe.

Den Film bei Vimeo schauen:

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Rodrigues gehört heute zu den aufregendsten Filmemachern der Gegenwart, der es wie kaum ein Zweiter versteht, modernistische, klassizistische und queere Sensibilitäten zu verbinden. Er nimmt eine herausragende Stellung in der extrem reichen Filmkultur Portugals ein. In der Methode von Rodrigues geht es immer darum, dass das Kino bereits in die Welt eingeschrieben ist. Es existiert in Form einer Bilder- und Wahrnehmungsgeschichte, die sich in Blicke, Musik und Mythologien in die Landschaft einschreibt. Ein Ort ist immer auch eine Einstellung und ein Bild ist immer auch die Welt. Selbst die Landschaft ist immer auch bereits ein Teil des Kinos. So drehte Rodrigues große Teile von Der Ornithologe in António Reis’ und Margarida Cordeiros (spirituelle Väter/Mütter des portugiesischen Kinos) Hoheitsgebiet Trás-os-Montes. Sein exemplarischster Film dieser Methode bleibt der überwältigende The Last Time I Saw Macao. Der Ornithologe treibt dann doch bisweilen an andere Ufer, ein Film so frei, dass man bei jedem Wort, das man darüber verlieren kann, die Limitierung von Sprache bemerkt.

Der Filmemacher selbst verfolgte als Kind obsessiv den Traum, Ornithologe zu werden. So sehen wir Paul Hamy (dessen Stimme jene von Rodrigues ist) zunächst eine Weile beim Vogelbeobachten in der Wildnis. Sofort etabliert der Film den doppelten Blick des Kinos, der auch ein ethischer ist. Das heißt: Zum einen wird beobachtet, man beobachtet die Vögel. Zum anderen blicken die Vögel zurück. Es gibt mehrere leicht verfremdete Gegenschüsse aus Sicht der Vögel, in denen der Körper von Hamy durch jenen von Rodrigues ersetzt wird. Dadurch etabliert sich etwas Unwirkliches, Bedrohliches und eben auch Moralisches, denn der Blick hat auch immer eine politische Konnotation, wie man vor allem in der feministischen Filmtheorie weiß, aber prinzipiell überall bedenken sollte. Wer beobachtet, muss damit leben, zurückbeobachtet zu werden. Das ist eine Art Faden durch den Film, der gleichermaßen in die Welt / das Kino hinausblickt und eine Art Spiegelbild der Begehren, Fantasien und Erfahrungen des Filmemachers ist. Der Ornithologe wird ein wenig zu dem, was er filmt. Nicht zu einem Vogel, aber zu einem bedrohten, beobachteten Objekt.

Selbst die Vögel beherrschen also das Kino bei Rodrigues und tatsächlich filmt er die Tiere mit solcher Eleganz und Beobachtungsgabe, dass es auch kaum stören würde, sich den ganzen Film mit Vögeln zu befassen. Als Beispiel sei nur der majestätische Flug einer in die Kamera blickenden Eule genannt. Doch Der Ornithologe hält einige Überraschungen parat. Abgelenkt auf der Suche nach einem schwarzen Storch gerät der Ornithologe in eine gefährliche Strömung und ertrinkt beinahe. Er wird von zwei lesbischen, erzkatholischen, asiatischen Pilgerinnen auf dem Weg nach Santiago de Compostela gefunden und aufgenommen. Doch die Hilfsbereitschaft der beiden erweist sich als trügerisch und eines Morgens erwacht der Mann gefesselt und zur Kastrierung vorbereitet. Es ist erstaunlich, wie locker Rodrigues das Ernste, Vulgäre, Komische und Philosophische zu einem Wahrnehmungsgebilde verbinden kann. Am ehesten vergleichbar mit einem anderen Film aus diesem Jahr ist Der Ornithologe wohl mit Rester vertical von Alain Giraudie. Zwei Filme für die Freiheit, wobei Rodrigues die deutlich spannenderen Bilder findet.

Spätestens mit den beiden Asiatinnen driftet das Narrativ in eine wilde Mischung aus religiösen, mythologischen, kinematographischen und persönlichen Motiven, die sich wohl eher über eine Traumlogik verstehen lassen, als über psychologische oder philosophische Ideen. Der Realismus wird Teil einer Fantasie und andersherum. Aber es wäre fatal, wenn man nach Logik suchen würde. Vielmehr handelt es sich bei Der Ornithologe um einen CinemaScope-Spiritualismus, ein Kino der rauschenden Erfahrungen. Dabei tauchen immer wieder Ikonen der Schuld und Reinigung im Film auf. Als wäre das Kino selbst in dieser Spannung zwischen Verführung und Ethik verfangen. Jeder Blick kennt eine Strafe und jede Strafe kennt eine Erlösung. Diese katholische Auseinandersetzung mit Bildern wird aber keineswegs in strengen Bildern bearbeitet von Rodrigues. Reinigung heißt hier auch, von einem kostümierten Geist vollgepisst zu werden und Verführung heißt zum Beispiel, Sex mit einem stummen Hirten mit dem Namen Jesus am Ufer des Flusses zu haben. In diesen Kreislauf fügt sich auch die Welt der Wiedergeburt und Geister, die wie selbstverständlich das Treiben rund um den Fluss heimsucht. Der Selbstfindungstrip ist hier also nicht nur eine Frage des Protagonisten, sondern des ganzen Films. Es wird klar, dass die Identifikation bei Rodrigues (wie bei allen großen modernen Filmemachern) nicht mit den Figuren, sondern mit dem Auge der Kamera passiert. Dieses Auge gehört nämlich in die Welt des Protagonisten.

Und es ist ein Auge des Kinos, denn die stilistischen Mittel, derer sich Rodrigues bedient, erinnern bisweilen an große Bilder vergangener Filme. Vor allem einige Überblendungen brennen sich ins Bewusstsein ein. So treibt ein Fluss durch ein eigentlich statisches Bild oder Figuren verschwinden in einer Orchidee. Vielleicht ist man heute nicht mehr ganz so empfänglich für diese komplexen Wunder des Kinos, aber Rodrigues führt sie zurück zu einer solchen Kraft, dass man ihnen einfach verfallen muss. Das liegt daran, dass sein Gestus letztlich der eines Zeigenden und Beobachtenden ist. Der Zeigende macht Bilder, Fiktionen, thematisiert sich selbst und damit auch die Schuld. Der Beobachtende reagiert, geht in die Welt, dokumentiert und lässt sich verführen. Diese beiden Herzen schlagen immer in Der Ornithologe, ein Film, der beständig von Gegensätzen erzählt, bis sich diese in eine einzige Sehnsucht auflösen. Es ist die abenteuerliche Sehnsucht der Verbindung mit etwas, das Finden von menschlicher Nähe in der Obsession, die Sehnsucht der Träume und die Ängste vor dieser Sehnsucht. All das ist so unwirklich wie das Leben selbst.
 

Der Ornithologe (2016)

Eine Neu-Interpretation des Lebens des Heiligen Antonius. Der 40jährige Ornithologe Fernando fährt auf der Suche nach seltenen schwarzen Störchen mit seinem Kajak einen Fluss entlang. Die Schönheit der Landschaft lenkt ihn ab und sein Boot kentert. Am Ufer finden zwei fanatische chinesische Frauen den blutigen, bewegungslosen Körper von Fernando.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 19.09.2019

Zumindest nach dem Anschauen des Films weiß der Zuschauer, dass ein Ornithologe was mit Vögeln zu tun hat: Geier, Störche, Haubentaucher etc. Dieser Fernando (Joao Pedro Rodriges: Regie, Drehbuch und die Hauptrolle) paddelt allein durch eine menschenleere Gegend in Norden der iberischen Halbinsel. Dabei erlebt er zahlreiche Abenteuer, die den Zuschauer an die Vita des Heiligen Antonius erinnern sollen. Zwei sadistischen bzw. fundamentalistischen, chinesischen Lesben, die nach Santiago pilgern wollten, kann er entkommen. Die wollten ihn kastrieren. Einen schwulen Ziegenhirten ersticht er und eine Gruppe Amazonen (oben ohne) weist ihm den Weg. Sie nennen Fernando plötzlich Antonius. (Ein Wunder!)
Er predigt mal den Fischen (sic!), sieht eine weiße Taube in seinem Zelt, trifft am Ende auf den Bruder des erstochenen Ziegenhirten, der einen Blutsturz erleidet, aber nichtsdestotrotz mit ihm Hand in Hand in eine Stadt wandert (2. Wunder!). Im Beipack wird an das Leben des Heiligen Antonius von Padua erinnert. Selbst bei längeren, angestrengten Nachforschungen ist kein vernünftiger Zusammenhang auszumachen. Und selbst für Bewanderte in hagiographischen Werken, ist es unmöglich aus diesem kryptischen Konglomerat einen Sinn herauszulesen. Drum kann es nur um Nachempfinden nicht um Nachvollziehen gehen. Und das gelingt auch nur, wenn man auf nackten, männlichen Genitalien steht. Ein Film fürs Schwulenfestival. Bestenfalls, wenn man den Schwulen damit nicht Unrecht tun würde. Bleiben nur die schönen Naturaufnahmen. K.V.