Der kleine Soldat

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Liebe in den Zeiten des Algerienkriegs

Als der französische Filmemacher Jean-Luc Godard für seinen zweiten Spielfilm eine Hauptdarstellerin benötigte, gab er eine Zeitungsannonce auf, mit der er eine Schauspielerin suchte – und eine Freundin. Die Rolle ging an das junge Mannequin Anna Karina, die bereits mit dem Regisseur bekannt war. Während der Dreharbeiten zu Der kleine Soldat im Jahre 1960 wurden die beiden tatsächlich ein Liebespaar, das bald darauf heiratete, und den intensiven Schwarzweißbildern dieses Films ist deutlich anzusehen, welche Bewunderung Jean-Luc Godard für seine künftige Muse empfand, deren melancholisches Gesicht ganz eindringlich die schwermütige Stimmung unterstreicht.
Während im Algerien der späten 1950er Jahre der grausame Krieg um die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht tobt, wimmelt es im schweizerischen Genf von Geheimagenten gegensätzlicher Orientierung, die hier diesen Konflikt gewaltsam unter sich austragen. Unter ihnen ist der französische Fotograf Bruno Forestier (Michel Subor), der aus Algerien desertiert ist, des zermürbenden Kämpfens müde und insgeheim längst plant, sich nach Brasilien abzusetzen. Als Bruno dem russischen Fotomodell Veronica Dreyer (Anna Karina) begegnet und sich trotz gegenteiliger Wette mit einem Bekannten in die anziehende und ungeheuer verloren wirkende junge Frau verliebt, befindet er sich gerade in einer äußerst prekären Situation. Denn seine Verbündeten, die auf Seiten der Franzosen spionieren, verlangen als Beweis seiner Loyalität, dass er einen Rundfunksprecher ermordet, der die algerische Befreiungsfront unterstützt. Als Bruno sich energisch verweigert, gerät er selbst in die Schusslinie, und auch Veronica, die sich für die gegnerischen Agenten engagiert, bleibt nicht verschont …

Einer Collage aus unterschiedlichen Versatzstücken gleich erscheint dieses frühe Werk von Jean-Luc Godard, das sich als höchst politisch und ebenso sorgfältig wie detailliert inszeniert präsentiert. Das Kriegsgeschehen in Algerien zeigt sich hier im fernen Genf überall gegenwärtig: Als Zeitungsmeldung, im Radio, bei Attentaten, in bedrohlich aufheulenden Sirenen und idealistischen Parolen und Philosophien. Der Nouvelle Vague Regisseur hat einen illustren Schatz von Zitaten installiert, der sich auch in Gedichten sowie Buchtiteln von Lenin und Mao Zedong niederschlägt. Selbst dem Kameramann Raoul Coutard wird gehuldigt, indem auf sein „Gesetz der maximalen Sauerei“ verwiesen wird. Andererseits zeigt sich Der kleine Soldat wiederum als Liebesfilm, der seine Protagonisten mit sanftem bis derbem Zynismus agieren und selten wahrhafte Nähe walten lässt.

Die zentralen Themen Krieg, Folter und sogar die Liebe erscheinen seltsam entemotionalisiert, was letztlich im lakonischen Ende gipfelt. „Schauspieler sind Schleimscheißer, ich verachte sie“, legt Drehbuchautor Jean-Luc Godard seinem zähen Helden in den Mund, ebenso wie den häufig zitierten Ausspruch über Bilder und Filme, der seine eigene Anschauung jener Zeiten widerspiegelt: „Die Fotografie, das ist die Wahrheit, und das Kino ist 24 Mal die Wahrheit in der Sekunde.“ Es sind oftmals die großen Worte, die das intellektuelle Klima der Dramaturgie dominieren, mit geradezu greifbarem, ambivalentem Pathos von Distanz und Verweigerung.

Im französischen Kino Anfang der 1960er Jahre kam der Algerienkrieg schlichtweg nicht vor, und Der kleine Soldat fiel zunächst der Zensur durch die Regierung zum Opfer und kam erst 1963 in die Lichtspielhäuser, nachdem im Jahre zuvor die Unabhängigkeit Algeriens anerkannt wurde. Die politische Brisanz dieses Dramas, auch über das konkrete Thema hinaus, ist noch heute deutlich wahrnehmbar. Wenn der entkräftete Bruno, der während des gesamten Films als Ich-Erzähler aus dem Off monologisiert, über Folter räsoniert, die er selbst erleidet, offenbart sich das Elend der ausgelieferten menschlichen Kreatur mit einer ungebremsten Wucht, die noch lange nachhallt.

Der kleine Soldat

Als der französische Filmemacher Jean-Luc Godard für seinen zweiten Spielfilm eine Hauptdarstellerin benötigte, gab er eine Zeitungsannonce auf, mit der er eine Schauspielerin suchte – und eine Freundin. Die Rolle ging an das junge Mannequin Anna Karina, die bereits mit dem Regisseur bekannt war.
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