Film Socialisme

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kein Kommentar!

Der Meister hat gesprochen. Und viele waren gekommen, um zu sehen, was Jean-Luc Godard zu sagen bzw. zu zeigen hatte. Film Socialisme, das neueste Werk des Regisseurs, wurde im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes vorgestellt, zwar nicht im Wettbewerb, aber immerhin in der Reihe „Un Certain Regard“. Und weil Godard bis heute in Frankreich einer der Säulenheiligen der Nouvelle Vague ist, war das Interesse dementsprechend groß. Dass sein filmisches Essay nun auch den Weg in die deutschen Kinos findet, ist einigermaßen erstaunlich – galten doch vor allem die späten Filme Godards als derart radikaler Abgesang auf das Kino, dass man dies dem Publikum kaum mehr zumuten konnte oder wollte.
Schaut man sich nun diesen neuen Film an, kann man die skeptische Haltung deutscher Filmverleiher zumindest aus Marketinggesichtspunkten durchaus verstehen, denn auch Film Socialisme wird allenfalls einen verschwindend geringen Zuschauerzuspruch erfahren. Allein die Handlung zu beschreiben, ist schon ein schwieriges Unterfangen. Gewiss ist, dass der Film in drei Teile gegliedert ist, deren erster („Des choses comme ça“ betitelt) auf einem Kreuzfahrtschiff spielt, das durch das Mittelmeer kreuzt. Teil 2 („Quo Vadis Europa“) ereignet sich irgendwo in der Provinz und konzentriert sich auf eine Familie, die in ihrem Alltag von einem Fernsehteam begleitet wird. Dies ist jener Teil des Films, der am ehesten an frühere, narrativere Werke Godards erinnert. Gänzlich unübersichtlich wird es hingegen in Teil 3 („Humanités“), bei dem Godard ein wahres Feuerwerk aus Zitaten und Verweisen, aus Quellen und Aussagen abbrennt, das ausschließlich im mentalen Raum angesiedelt ist und das zahlreiche der vorher sowieso schon reichlich eingestreuten und äußerst disparaten Topoi mittels Found Footage noch einmal aufgreift und miteinander kollidieren lässt. Es geht um den Zustand Europas, um den Nahostkonflikt, um den Zweiten Weltkrieg, um Raubgold und Verschwörungen, um japanische Kamikaze-Piloten und das antike Griechenland, um den Nationalsozialismus, um gescheiterte Utopien, Klassenkämpfe, um die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, um Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, um Ort und Länder wie Neapel, Odessa, Äypten, Israel und Palästina und um vieles mehr.

Zweifelsohne ist JLG, wie sich Godard selbst in den Titeln des Films benennt, nach wie vor ein Virtuose der filmischen Dialektik, ein Meister der Montage von Bildern und Tönen, die er wie kaum ein zweiter Regisseur gegeneinander stellt und daraus etwas ganz und gar Widerborstiges kreiert, das man so kaum von einem anderen Filmemacher zu sehen und hören bekommt. Sieht man einmal von den Effekten der Digitalisierung ab, von der speziellen Ästhetik der Videotechnik und DV-Bilder, haben sich seine Strategien der Vermittlung seit den späten 1960er Jahren aber kaum verändert – abgesehen von der Tatsache, dass er sich nicht scheut, mittlerweile auch mit der Handy-Kamera aufgenommene Szenen in seinen Bilderstrom zu integrieren. Bedeutsame Zwischentitel, eine Tonspur, die zwischen Fragmenten, dissonanten Tongeräuschen und bruchstückhaften intellektuellen Diskursen angesiedelt ist und seine Bilder, die teils von lupenreiner Klarheit sind und dann wieder digital bearbeitet ins Abstrakte tendieren, dazu eine Storyline, die allenfalls die Ahnung einer Geschichte, nein, vieler Geschichten gibt – Film Socialisme ist auf den ersten Blick als Godard-Film erkennbar und wird möglicherweise, so zumindest entnimmt man das Andeutungen — das letzte Werk des Filmemachers sein.

Am Ende, statt des sonst abschließenden „The End“ oder „Fin“, leuchten die Worte „No comment“ auf der Leinwand auf. Einen Reim auf JLGs Film muss sich jeder selbst machen. Der Meister hat gesprochen, mögen nun die Interpreten ihr Werk verrichten. Sofern sie dazu in der Lage sind. Formal betrachtet und durch den virtuosen Umgang mit Kamera, Ton und vor allem der Montage ist Film Socialisme ein Meisterwerk der sperrigen Art. Inhaltlich dagegen weiß man das nicht so genau.

Es ist beinahe so, als habe ein wunderlicher alter Herr seinen staunenden Nachfahren eine Art filmisches Testament hinterlassen, in das er neben steilen Thesen und irrwitzigen Assoziationen eine Unmenge an Zitate aus Literatur und Philosophie, Musik und Film (im Vorspann „Textos“, „Videos“, „Audios“ genannt) eingebaut hat, bei denen immer wieder sein grimmiger Humor durchblitzt, das aber auch ziemlich versponnen und kryptisch wirkt. Und nun stehen die Erben da und wissen nicht so genau, wie sie dieses Ungetüm lesen sollen. Und der alte Herr, der sich durchaus noch bester Gesundheit erfreut, sitzt irgendwo in seiner Villa am Genfer See und lacht sich ins Fäustchen.

Film Socialisme

Der Meister hat gesprochen. Und viele waren gekommen, um zu sehen, was Jean-Luc Godard zu sagen bzw. zu zeigen hatte. „Film Socialisme“, das neueste Werk des Regisseurs, wurde im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes vorgestellt, zwar nicht im Wettbewerb, aber immerhin in der Reihe „Un Certain Regard“. Und weil Godard bis heute in Frankreich einer der Säulenheiligen der Nouvelle Vague ist, war das Interesse dementsprechend groß.
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