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Frankreichs Altmeister Jean-Luc Godard wühlt für seinen neuen Film tief in den Archiven. Was er zutage fördert, kann man schwer ansehen.

Bildbuch (2018)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Der alte Mann und das Schnittprogramm

Ist das jetzt große Kunst oder großer Schund oder einfach großer Schund, der sich als große Kunst tarnen will? Bei Godard schwanken Filme ja gern irgendwo zwischen Genie und prätentiöser Nervigkeit. Überwog in seiner Frühphase noch der Eindruck des ersteren, so kippt er in den vergangenen Jahren hin zu letzterem.

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Le Livre D’Image ist mal wieder so ein Beispiel. Natürlich wird der ein oder andere Kritiker nach diesem Film jetzt das große Spätwerk des alten Meisters hochloben. Und das ist auch einfach, denn Le Livre D’Image ist ziemlich interpretationsoffen, gleicht es doch mehr einer Kunstinstallation.

Wie schon in seinen letzten Filmen Film Socialisme oder Adieu au Langage reiht Godard hier wieder Bilder und Töne aneinander, bastelt also aus der Filmgeschichte, diesem kollektiven Gedächtnis des 20. Jahrhunderts, seine eigene Collage, die mehr an eine Kunstinstallation erinnert, als an einen Film — und nein, das ist nicht sein Weg, das Medium voranzubringen und in eine neue Dimension zu führen, das ist einfach nur schwer zu ertragen.

Aber worum geht es ihm denn eigentlich? Godard macht sich hier als gottgleiche Voice-over, die mal von rechts, mal von links verzerrt und versetzt aus den Boxen klingt, Gedanken zur Lage der Welt. Er hat sein Werk dafür in so etwas wie Kapitel unterteilt. Die heißen dann „Remakes“, „Unter den Augen des Westens“ oder „Die verlorenen Paradiese“. Und auch die gehen durcheinander, verschlingen und wiederholen sich — er dekonstruiert ja so gern.

Die Bilder handeln also vom Krieg, von der Gewalt, von Toten. Vietnam wird dabei neben den Zweiten Weltkrieg und Aufnahmen von IS-Hinrichtungen gestellt. Die aktuelle soziale Ungleichheit wird angeprangert. „Die Reichen verschmutzen die Natur, weil sie es können und die Armen verschwenden die ihnen gegeben Ressourcen, weil sie keine andere Wahl haben“, sagt Godard aus dem Off über überblendeten Bildern von schwappenden Kreisen, die man sich als Müll auf den Weltmeeren denken kann. Und dann darf natürlich auch ein bisschen Kommunismus nicht fehlen, den streut Godard mit zwei Zitaten, einem Verweis auf Marx und Engels und einem Bild des Grabs von Rosa Luxemburg, dazwischen. Vor allem aber geht es ihm besonders in der zweiten Hälfte immer mehr um den Nahen Osten, „Arabien“, wie er es nennt. Hier erzählt er sogar so etwas wie eine Geschichte, vom erfundenen Königreich Dofa, das kein Öl besaß und daran scheiterte. 

Wenn man sich auf das Experiment Le Livre D’Image einlässt, kontempliert man dabei dann ganz hervorragend über Flucht, Vertreibung, Ungerechtigkeit und die drohenden Krisenherde unserer Zeit. Godard liefert dazu aber keine neuen Denkanstöße. Er gibt nur den Raum und die Zeit vor, in der man sich Gedanken dazu machen kann. Will er zu all den angestoßenen Themen etwas sagen? Mahnend den Finger zur Politik unserer Tage heben? Mit seinen springenden Bildern und den versetzten Tonschienen gar auf Fake News anspielen? Alles interpretationsoffen.

Nur ein Satz hat es während des Films ins Notizbuch geschafft: „Jeder will heute König sein, keiner mehr Faust.“ Auch das wieder eine Einladung, sich an möglichen Auslegungen abzuarbeiten. Ist das jetzt Bedauern über die Machtbessenheit der Menschheit? Prangert es einen Mangel an Wissensdurst an? Wieso ausgerechnet Faust und welcher überhaupt, der Goethes, der Marlowes, der Manns? Wie bei allem, was Godard auf der Ton- und Bildebene so einwirft, will er sich auch hier nicht festlegen, keine definitiven Antworten geben.

Insofern ist Le Livre D’Image dann doch Kunst, denn man interpretiert schon während des Schauens daran herum. Allerdings sollte es eher als Installation denn als Film betrachtet werden. Godard hat dies dann tatsächlich vor und will die Ausstellung zum „Film“ in Paris, New York, Madrid und Singapur zeigen.

Damit stellt sich die Frage: Warum läuft so etwas im Wettbewerb von Cannes? Ja, klar, Godard ist immerhin so etwas wie der Großvater des modernen französischen Kinos. Aber hätte ein „Außer Konkurrenz“ oder eine Nebenreihe nicht auch gereicht? Wie es mit den Großvätern so ist, manchmal sollte man sie in den Ruhestand entlassen und jüngeren Filmemachern die Chance geben, gesehen zu werden.

Bildbuch (2018)

Gewohnt verrätselt gibt sich Jean-Luc Godard in der Synopsis zu seinem neuen Film „Le livre d’image“. Der, so heißt es in der Beschreibung, erzähle in fünf Kapiteln von der arabischen Welt in dokumentarischen wie fiktionalen Bildern.

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