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Merab studiert an der Akademie des Georgischen Nationalballetts und will es unbedingt ganz nach oben schaffen. Doch für die spezielle Form des Tanzes, der in seiner Heimat getanzt wird, ist er nicht „männlich“ genug. Und dann kommt mit Irakli auch noch ein Rivale in seine Klasse.

Als wir tanzten (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwischen Tradition und Aufbruch

In vielen Ländern Osteuropas ist die Lage für Homosexuelle nach wie vor äußerst schwierig und hat sich in einzelnen Ländern wie Polen noch verschärft. Levan Akins wunderschönes queeres Coming-of-age-Drama „Als wir tanzten“ packt die Schilderung der schwierigen Lebensverhältnisse in eine bittersüße Liebesgeschichte, die auf sinnlich-poetische Weise zeigt, was es heißt, ein Coming-out unter homphoben gesellschaftlichen Verhältnissen zu durchleben.

Als wir tanzten spielt im Milieu der Tanzakademie des Georgischen Nationalballetts, wo Merab (großartig: Levan Glbakhiani) gemeinsam mit seinem älteren Bruder David studiert, letzter aber hat es nicht so mit der erforderlichen Disziplin und steht deshalb kurz vor dem Rauswurf aus der Klasse. Merab hat Großes vor, sein Traum ist es, später einmal als Ensemblemitglied in der Compagnie zu tanzen — und eigentlich wären seine Aussichten auf einen Platz auch gar nicht so schlecht, wäre da nicht die Sache mit seiner eher schmächtigen Statur und der mangelnden virilen Ausstrahlung, die sein Professor gerne ausgiebig kritisiert. Mit seiner Tanzpartnerin Mary (Ana Javakishvili), die er schon seit Ewigkeiten kennt, verbindet Merab mehr als nur eine Freundschaft. Doch dann kommt der selbstgewisse und fasziniernde Irakli (Bachi Valishvili) neu in die Klasse — und mit ihm erwächst Merab ein harter Konkurrent. Doch nicht nur das: Die Rivalität der beiden jungen Männer schlägt irgendwann in Begehren um. Dies und die entstehende Liebe zwischen ihnen findet aber im homophoben Umfeld der georgischen Gesellschaft keinen Platz und darf nicht sein. Denn wie Merab aus eigener Erfahrung und dem Beispiel eines anderen Tänzers weiß, kann ein Outing als Homosexueller die sofortige Suspendierung und damit das Ende seines Lebenstraums bedeuten.

Der Spielfilm des aus Georgien stammenden, aber in Schweden lebenden Regisseurs Levan Akin sorgte nicht nur bei seiner Premiere beim Filmfestival in Cannes für Aufsehen, sondern schlug auch zuhause hohe Wellen. Und das nicht erst bei seiner Erstaufführung in Tiflis, wo es zu homophoben Ausschreitungen kam, sondern auch bereits im Vorfeld während des Drehs, der teilweise an geheimen Orten stattfand, um möglichen Übergriffen zu entgehen.

Wenn Merab tanzt, dann rückt ihm die Kamera ganz nah auf den Leib, erfasst sein Gesicht und lässt es nicht mehr los. Auf diese Weise offenbart sich dem Publikum ohne große Erklärungen, aber mit großer Überzeugungskraft sein Ehrgeiz, sein eiserner Wille und die Verbissenheit gepaart mit gleichzeitiger Leichtigkeit, mit der der junge Mann versucht, seinen Lebenstraum in Erfüllung gehen zu lassen. Während man seiner Partnerin Mary vor allem die über viele Jahre erarbeitete Routine der täglich einstudierten Bewegungsläufe ansieht, bemerkt man sofort, dass Merab noch etwas ganz anderes hat — das vielleicht den Unterschied zwischen guten Tänzer*innen und herausragenden ausmacht: Leidenschaft.

Und so kontrastiert der Film die eigentlich sich ergänzenden Leidenschaften des Tanzes und der Liebe, die hier qua gesellschaftlicher Konvention und Moral nicht zur Deckung kommen können. Zugleich wirft der Film bei aller Sinnlichkeit auch einen scharf analysierenden Blick auf Männerbilder und Männlichkeitskonstruktionen in einer rigiden Gesellschaft und zeigt eine junge Generation, die sich im Zwiespalt zwischen den Überlieferungen (hier in Form des sehr speziellen georgischen Tanzes, der Elemente aus Ballett und Volkstanz auf sehr eigentümliche Weise zusammenbringt) und einem globalen Aufbruch in die Moderne äußert, zwischen konstruierter nationaler Identität und einem universellen Lebensgefühl. Es ist, das zeigt Als wir tanzten deutlich, ein Spagat, den es auszuhalten gilt. Oder man zerbricht daran.

Als wir tanzten (2019)

Bereits seit seiner Kindheit trainierte Merab mit seiner Tanzpartnerin Mary im Georgian National Ensemble. Seine Welt wird auf den Kopf gestellt, als eines Tages der charismatische und unbekümmerte Irakli zu dem Ensemble stößt. Dieser wird nicht nur zu seinem größten Rivalen, sondern weckt auch ein sexuelles Verlangen in ihm.

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