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Es ist eine kleine Welt, und doch sind wir viel zu weit weg: Eine Geschichte von Freundschaft, Flucht und Neuankunft.

Zu weit weg (2019)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Eine große kleine Freundschaft

Seien wir ehrlich, ein Umzug ist für etwas ältere Kinder meistens richtig scheiße. Auf einmal sind die Freund_innen alle weg, an der Schule kennst du niemanden, und selbst im Fußballverein nimmt dich, den Starstürmer aus Niederkirchbach, erst einmal niemand für voll.

Ben (Yoran Leicher) kriegt wirklich das volle Programm. Eigentlich dachte der 11-Jährige doch, er habe noch Glück gehabt: Sein altes Dorf wird für den Kohlebergbau plattgemacht und umgegraben. Aber während alle seine Kumpel nach Niederkirchbach Neu umziehen, wagt seine Familie einen Neuanfang in Düren. Ben freut sich auf den besseren Verein, der sogar einen Kunstrasenplatz hat, und geht ziemlich selbstbewusst in die neue Schule. Und natürlich geht das alles schief. In der Klasse machen sich die Großmäuler über den Typen vom Dorf lustig und der neue Trainer (Mohamed Achour) will ihn höchstens als Verteidiger spielen lassen.

Regisseurin Sarah Winkenstette erzählt in Zu weit weg zunächst eine sehr deutsche Geschichte von Aufbruch und Ankunft in der Fremde; und ihr Hauptdarsteller Yoran Leicher spiegelt in seinem offenen Gesicht sehr präzise die Gefühle von Freude und Enttäuschung wider, er reagiert auf die Zurückweisungen mit subtilen Signalen, dass es eine Freude ist. Um sein Gesicht und das seines Co-Stars Sobhi Awad rotiert dieser Film.

Awad spielt Tariq, mit dem das von Susanne Finken geschriebene Drehbuch eine zweite Geschichte mit Bens verwebt und verwindet. Tariq kommt aus Aleppo, als unbegleitetes Flüchtlingskind mit Deutschkenntnissen wohnt er in einem Heim in Düren und kommt in Bens Klasse.

Die Annäherung zwischen den beiden Jungs inszeniert Winkenstette behutsam und schrittweise; einmal findet Ben den syrischen Jungen bei einem Feueralarm verängstigt in einer Ecke hocken. Die letzte Annäherung findet dann aber über den Fußball statt, Ben organisiert, dass Tariq auch in seiner Mannschaft mitspielen darf.

Fußball ist hier aber nicht einfach der große „Völkerverbinder“, dafür ist Zu weit weg zu differenziert und zu genau beobachtet. Denn so sehr Ben sich darüber freut, dass Tariq mitspielt – ein wenig stolz ist er durchaus auch auf sich selbst, das organisiert zu haben –, es gibt dann doch die kleinen Zurücksetzungen, die ihn in seiner Ehre kränken, ihn eifersüchtig machen: Tariq darf Sturm spielen, er aber muss sogar auf der Bank bleiben. Als alle Kinder der Mannschaft für Tariq Sportausrüstung zusammentragen, hat dieser schon alles beisammen, als Ben mit seinen Schienbeinschonern dazukommt.

Die Stärke von Finkens Buch besteht allerdings genau daraus, dass es die Kombination von Zuneigung und Eifersucht genau beobachtet und beschreibt – als Lernprozess, als Teil einer wachsenden Freundschaft und zweier sich entwickelnder Kinder. Bens Unsicherheit, Tariqs Traumata, die immer wieder zum Vorschein kommen: All das bekommt hier viel Platz, wird eingebettet in einen realistischen Rahmen. In der Klasse gibt es Großkotze und Zicken, aber keine dramatisierten Zickenkriege, die Erwachsenen (vor allem Anna König und Andreas Nickl als Bens Eltern) sind ernsthaft, liebevoll und besorgt – aber manchmal auch streng und genervt. Und sogar Bens ältere Schwester Isa (Julia Hirt), die erst als ständige Antipode zu Ben präsentiert wird, entwickelt sich dann auf einmal zu einer Verbündeten der besonderen Art.

Zu weit weg ist bei weitem nicht perfekt. Die Art und Weise, wie das Publikum über Aleppo und den Bürgerkrieg in Syrien informiert wird – beim Essen von Bens Familie in einem syrischen Restaurant –, wirkt gestelzt und ungelenk. Tariqs Kriegserfahrungen werden zugleich übersteigert und in ihren nachhaltigen Auswirkungen womöglich untertrieben, sein Umgang damit, sein Sprechen davon wirken nie ganz echt.

Der Film entschädigt dafür mit einigen sehr berührenden, genau beobachteten Momenten. Ben kehrt immer wieder in sein altes Dorf zurück, ein wenig auf der Suche nach den vertrauten Räumen und Menschen seiner alten Heimat; und sein großes Bedürfnis ist es dann, seinem neuen Freund diese Heimat zu zeigen. Und so sitzen die beiden dann in einer Nacht verbotenerweise neben einem Zelt an einem Lagerfeuer, rösten Stockbrot und singen schließlich beide, weil Tariq das von seiner Deutsch sprechenden Großmutter noch ein wenig kennt, mit falschem Text und schiefen Tönen lautstark und voll Inbrunst Der Mond ist aufgegangen.

Eine Jungenfreundschaft, die ohne dumme Mädchenklischees auskommt, die komplexe und widersprüchliche Gefühle dennoch mit Fußball und Blutsbrüderschaft zusammenbringt – können wir solche großartigen Filme bitte öfter im deutschen Kinderkino sehen?

Zu weit weg (2019)

Da sein Heimatdorf einem Braunkohletagebau weichen soll, müssen Ben (12) und seine Familie in die nächstgrößere Stadt umziehen. In der neuen Schule ist er erst mal der Außenseiter. Und auch im neuen Fußballverein laufen die Dinge für den talentierten Stürmer nicht wie erhofft. Zu allem Überfluss gibt es noch einen weiteren Neuankömmling an der Schule: Tariq (11), Flüchtling aus Syrien, der ihm nicht nur in der Klasse die Show stehlt, sondern auch noch auf dem Fußballplatz punktet. Wird Ben im Abseits bleiben – oder hat sein Konkurrent doch mehr mit ihm gemeinsam als er denkt?

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Meinungen

Philipp · 07.01.2020

Was ein schöner, emotionaler und gleichzeitig lehrender Kinderfilm! Ich bin von der Story und der Aufmachung sehr begeistert!!! :)

Chris · 27.10.2019

Ein wirklich äußerst sehenswerter Film über Freundschaft, Flüchtling und Fussball!

Danni · 18.09.2019

So toll
Wann kann man es denn in den USA sehen ?
Und auch auf Video ?