Wie zwischen Himmel und Erde

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Filme machen als Überzeugungstat

Wir sehen einen fliegenden Drachen in Nahaufnahme, wie er vor Himmelhintergrund im Wind des Himalajas umhertanzt. Bereits das erste Bild von Wie zwischen Himmel und Erde passt im besten Sinne zum Titel des Films, befindet sich der Drache in diesem luftigen Bereich zwischen Himmel und Erde. „Für die meisten ist der Himalaya ein Tor zur Freiheit“, sagt Tashi (David Lee McInnis), männlicher Hauptcharakter des Films, an einer späteren Stelle des Films. Freiheit ist eben jenes Tor, welches der Mensch seit jeher im Hochgebirge zu durchschreiten sucht. Diese Freiheit kann man im tibetischen Himalaya ganz besonders gut empfinden, wenn man sich zwischen majestätischen Bergspitzen befindet, dem Himmel scheinbar ganz nah. Jene Kraft, jenes sehnsuchtsvolle Streben nach Freiheit, zeichnet die Charaktere von Wie zwischen Himmel und Erde aus, dem Spielfilmdebüt von Maria Blumencron.
Doch zurück zum Drachen des Anfangs: Plötzlich streift ein Schuss einen der beiden Jungen, die den Drachen auf dem Dach eines Klosters fliegen lassen und unterbricht jäh das fröhliche Spiel. Schnell wird klar, dass es sich um eine Verwechslung handelt. Zielscheibe war nicht der Getroffene im Kloster lebende Halbwaise Tempa (Sangay Jäger), sondern sein Freund der „Golden Boy“, als legitimer Nachfolger des Dalai Lama zum Oberhaupt Tibets bestimmt. Aufgrund der Bedrohung entscheiden sich die Mönche des Klosters für eine Flucht mit dem Golden Boy nach Indien. In diese Gemengelage stößt zusätzlich Johanna (Hannah Herzsprung) dazu, die im Kloster übernachtet und den verletzten Tempa mit nach Lhasa nimmt, wo das Flugzeug Richtung Heimat auf sie wartet. Dort trifft sie die geheimnisvolle Hotelwirtin Meto (Pema Shitsetang), die sich als Fluchthelferin entpuppt, welche Kinder illegal über die Grenze schleust. An ihrer Seite steht der schwer zu durchschauende Abenteurer Tashi, Schmuggler und Untergrundkämpfer für ein modernes, freies Tibet. Mit diesen Bekanntschaften befindet sich die junge Deutsche inmitten verschiedenster menschlicher Tragödien und einer einzigen politischen Tragödie, die ein schauriges Bild des modernen Tibets zeichnen und sowohl Johanna als auch den Zuschauer zur Stellungnahme herausfordern.

Hannah Herzsprung spielt diese stark angelegte Frauenrolle sehr zurückhaltend und kontrolliert, schafft es damit jedoch, Johanna umso ruhiger und durchsetzungskräftiger erscheinen zu lassen. Der initiatorische Wendepunkt Johannas von ahnungsloser Touristin zur zähen Aktivistin findet vor der eigentlich erzählten Geschichte statt und wird in Rückblenden geschildert: Sie fällt beim Bergsteigen im Himalaya in eine Gletscherspalte, wird gerettet, hat aber dort unten ein erfrorenes Kinderpaar gesehen, ein Bild, das Johanna im Film bereits begleitet, als der Zuschauer noch gar nichts davon weiß.

Die Beantwortung der Frage, ob der Film eher als subtile Liebesgeschichte oder politische Aussage zu verstehen ist, spielt an dieser Stelle keine Rolle, denn: Die Grenzen zwischen Persönlichem und Politischem sind in Wie zwischen Himmel und Erde stets fließend. Jedes persönliche Handeln wie das verstörende Entsenden von Kindern über die Berge nach Indien zum Dalai Lama ohne Begleitung der Mütter ist gleichzeitig politisch, da es von der Besatzungsmacht China nicht geduldet wird. Jedes politische Handeln von chinesischer Seite ist für jeden Tibeter zwangsläufig persönlich zu nehmen, da es ein Angriff auf das eigene Land und damit auch jeden einzelnen darin lebenden Tibeter darstellt. Darüber hinaus findet sich das ständige Oszillieren dieser beiden Schattierungen auch bei der Titelsuche der Regisseurin für den Film wieder. Während der Dreharbeiten lautete der Arbeitstitel des Films noch Flucht aus Tibet, eine klare politische Ausrichtung. Das wurde jedoch geändert ins finale Wie zwischen Himmel und Erde, das den Zuschauer eher auf emotional-persönlicher Ebene anspricht.

Zwei weitere Bereiche, die sich bei diesem untrennbar überlappen, sind Fakt und Fiktion. Regisseurin Blumencron verarbeitet im Film persönliche Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren in Tibet gemacht hat. Sie hat sich als Dokumentarfilmerin bereits mit dem selben Thema auseinandergesetzt, Bücher dazu geschrieben und die Initiative Shelter108 e.V. gegründet, die hilfebedürftigen Kindern und heimatlosen Menschen weltweit praktisch zur Seite steht. Sie ist also eine Überzeugungstäterin im besten Sinne, die nun zum ersten Mal die für sie neue Erzählform des Spielfilms wählt, um sich damit dem bekannten Thema zu widmen. Johanna ist die idealisierte Version der Filmemacherin, sie kann weiter gehen als Blumencron sich real traute, Johanna befindet sich in einer fiktionalen Geschichte, die wiederum vor einem realen Hintergrund stattfindet. Durch diese Vermischung bekommt der Film eine zusätzliche Kraft. Die Filmemacherin nennt das „mit Fiktion die Realität erweitern“, eine in diesem Fall durchaus erfrischende Methode. Im Film kann das wahr gemacht werden, was Blumencron sich von sich in der Realität gewünscht hat, nämlich den Flüchtlingstrek zu begleiten. Auf diese Weise schreibt sie, die sich auch für das Drehbuch verantwortlich zeigt (unterstützt von Karl-Dietmar Möller-Nass), ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Geschichte, um.

Wie zwischen Himmel und Erde versucht etwas Essentielles zu erzählen, nämlich sich einer zutiefst humanistischen Frage mit Hilfe einer Geschichte zu nähern. Die Frage ist, inwiefern angesichts bestimmter politischer, patriotischer bzw. (anti)religiöser Überzeugungen immer noch Menschenwürde, Toleranz und Freiheit für jeden einzelnen Menschen gewährleistet sind. Johanna dient als geeignete Identifikationsfigur, da ihr und dem Zuschauer einige Handlungsweisen der Tibeter rätselhaft erscheinen. Sätze Tashis wie „Die Götter werden siegen!“ hinterlassen wohl in fast jedem säkularisierten, kritischen Bewusstsein einen mulmigen Beigeschmack. Obwohl die Rahmengeschichte Johannas etwas hölzern konstruiert wirkt und es an Details mangelt, überzeugt der Film insgesamt mit seiner emotionalen Wucht und Rigorosität.

Der erfahrene Kameramann Schmidt-Reitwein (Zusammenarbeiten mit Herzog, Kluge, Schroeter und Achternbusch) liefert beeindruckende Bilder von archaisch-anmutigen Gebirgslandschaften. Gedreht wurde in Ladakh/Indien und in der Schweiz, Tibet schied als offizieller Drehort aufgrund der angespannten politischen Situation aus, dort konnten nur einige Undercover-Aufnahmen der Hauptstadt Lhasa gedreht werden, die auch im Film zu sehen sind. An diesem Punkt bekam das Team wohl eine reale Ahnung von dem, was sie gerade im Film erzählen: vom Zwang zur ständigen Vorsicht vor potentiellen Gefahren allerorten. Schmidt-Reitweins Bilder der verschneiten Bergwelt strahlen unterschwellig auch eine andere Seite des vermeintlichen weißen Idylls an: dort lauert unter bzw. hinter jeder Schneewehe der Tod, seien es Gletscherspalten oder chinesische Soldaten. So ist wohl auch das letzte Bild zu deuten: Eine Gruppe von Menschen läuft von oben gefilmt über eine freie, weiße Schneefläche. Sie sind in der Freiheit angekommen, doch ihr Weg war gesäumt mit dem Tod, der stummen Kehrseite der Freiheit, die auch weiterhin andere Flüchtlinge heimsuchen wird. Frei wollen die Tibeter sein, gleich den Drachen, mit denen der Film beginnt. Sie müssen ihr Äußerstes geben, damit sie nicht als tätowierter Vogel auf Tashis Körper enden. Die stehen nämlich für alle, die sich immer noch durch die Kälte konserviert in den Bergen befinden, erfroren oder getötet.

Wie zwischen Himmel und Erde und die vielen anderen Arbeiten der Regisseurin und Autorin schaffen ein emotionales Bewusstsein für die tragischen Schicksale dieser Menschen und die Notwendigkeit der Veränderung. Maria Blumencron scheint ihre Rolle gefunden zu haben.

Wie zwischen Himmel und Erde

Wir sehen einen fliegenden Drachen in Nahaufnahme, wie er vor Himmelhintergrund im Wind des Himalajas umhertanzt. Bereits das erste Bild von Wie zwischen Himmel und Erde passt im besten Sinne zum Titel des Films, befindet sich der Drache in diesem luftigen Bereich zwischen Himmel und Erde. „Für die meisten ist der Himalaya ein Tor zur Freiheit“, sagt Tashi (David Lee McInnis), männlicher Hauptcharakter des Films, an einer späteren Stelle des Films.
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Meinungen

Ella · 17.03.2015

Das ist einer der Filme, die nicht nur zum Zuschauen und Entspannen sind, der bleibt kleben. Für immer.

Manfred Mayer · 29.05.2014

Habe nur eine Frage, warum der Linksverkehr. Ich war selbst in Tibet, da sind alle rechts gefahren. Das ist mir aufgefallen. Sonst war der Film identisch.

gabriel bornstein · 02.05.2014

Das Drehbuch hat Maria Blumencorn zusammen mit Charlie Müller-Naß geschrieben. Wenn man das ignoriert, (Cast & Crew) ist es eine Verletzung des Urheberrechts.

strolchi · 23.07.2012

Das ist ein sehr beindruckender Film, der zum Nachdenken anregt!!!

Informant · 23.06.2012

FSK 12 steht da ... ganz oben unterhalb von "Kinostart"

Marian Bichler · 30.05.2012

Ab wieviel Jahren wird der Film empfohlen? Das steht leider nicht bei den Informationen dabei.