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Ein Jahr am einsamsten Arbeitsplatz der Welt – einer Wetterstation in der russischen Arktis.

Wettermacher (2021)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Warten auf den Eisbär und das Schiff

Alles hängt hier vom Wetter ab. Natürlich auch, wann das Schiff genau kommt – jener Kahn, mit dem einmal im Jahr die Vorräte gebracht werden in die Abgeschiedenheit am Polarmeer.

Der polnische Regisseur Stanisław Mucha wollte genauer erfahren, wie es ist, am etwas dramatisch „wohl einsamsten Arbeitsplatz der Welt“ benannten Ort zu sein, an der Wetterstation Chodowaricha – ein kleiner Flecken direkt am Rand des Polarmeers, irgendwo im „Autonomen Kreis der Nenzen“, südlich von Nowaja Semlja.

Karg ist alles hier und einsam. Im Winter liegt der Schnee so hoch, dass er bis über die Fenster der kleinen Hütte reicht, in dem Wladimir, Sascha und Alexander leben und arbeiten. Im Sommer gibt es ein wenig blasses Grün, das aus dem hellen Sand hervorschaut. Eine zweite Hütte, ein alter Leuchtturm, der sich langsam zur Seite zu neigen scheint. Überall rostende Abfälle. „Seit 100 Jahren,“ berichtet der Erzähler aus dem Off, „bringen Versorgungsschiffe Benzin und Öl in Metallfässern her. Noch nie wurde ein einziges Fass abgeholt.“

Neben den drei Meteorolog_innen lebt hier noch Wassilij, früher war er mal Elektriker auf einem Atom-U-Boot, heute möchte er sich um den Leuchtturm kümmern, sein Vater war dort Wärter, es muss schon lange Zeit her sein.

Nein, Chodowaricha ist kein menschenfreundlicher Ort, es gehört auch zu den festen Aufgaben, sich ab und an nach Eisbären umzusehen. Zu ihrem Auftauchen spricht Muchas Kommentar ein einziges Mal das Thema Klimawandel an, das sich hier sonst noch nicht offensichtlich zeigen will: Aber dass die Bären hier landen, ist eine direkte Folge – sie sitzen auf abbrechendem Packeis und treiben ans Festland, wo sie eigentlich nicht hingehören, dann aber hungrig auf Nahrungssuche gehen.

Womöglich verwundert es nicht, dass die Menschen hier wenigstens etwas seltsam werden. Sascha und Alexander jedenfalls verpacken es zunächst ganz gut, die beiden sind ein Paar – Alexander war früher bei der Armee, als Berufssoldat in drei Kriegen unterwegs, aber nach einer schweren Verletzung geht das nicht mehr. Seine Mutter hat ihm gesagt: Such Dir einen neuen Beruf in der Einsamkeit! Sie hatte Angst, seine Traumata könnten ihn dazu bringen, Amok zu laufen.

Aber Alexander wirkt wie die Ruhe selbst. Stoisch macht er auch die unangenehmen Dinge, gräbt unter einem Meter Schnee nach der Kohle, die sie jetzt im Winter brauchen, nur um festzustellen: Da ist nichts, nichts Brauchbares jedenfalls.

Irgendwie kommen sie doch durch, es gibt noch genug Holz, das sie verheizen können; und weit und breit eigentlich niemand, den Alexander gefährden könnte. Nur ab und an kommen ein paar Nenzen vorbei, Nomaden hier aus der Region; sie bringen ein Tier mit, das sie erlegt haben, das Fleisch wird gleich vor der Station im Schnee zerlegt, der Kopf abgetrennt, der Körper halbiert. „Mobile Metzger“ werden sie offenbar nicht zu Unrecht genannt. Anschließend wird gegessen, getrunken, geredet.

Mucha zeigt all das mit nur gelegentlichen Kommentaren aus dem Off; er vermeidet Bewertungen und gibt oft nur recht lakonisch einige Hintergründe. Aus allem spricht das Erstaunen, wie Menschen es in dieser Einsamkeit aushalten können, wie das geht; und wie diese Wetterstation weiter betrieben wird, mit einfachsten Mitteln. Sie waten ins eiskalte Wasser, um mit einem Thermometer die Wassertemperatur zu messen; das Gerät hängt mit Schnur an einem einfachen Stock. Die Messwerte gelangen dann per Funk in die Zentrale – dass das Satellliteninternet funktioniert, ist eher die Ausnahme.

Im Verlauf des Jahres, durch den Winter hindurch, beginnen die Probleme sich zu türmen, und der Film spiegelt das dadurch, dass vorher gemachte Andeutungen konkretisiert werden: Wladimir, der „Chef“ der Meteorolog_innen, hält es nicht nur für guten Führungsstil, wenig bis gar nicht zu sprechen, er ist auch sonst ein schwieriger Mensch. Und es wird immer deutlicher, dass er womöglich auch gefährlich ist.

Die Obrigkeit ist weit weg in der Arktis. Und ob sie sich für Wassilij oder das Schicksal der anderen wirklich interessiert, bleibt am Ende offen.

Wettermacher ist ein Blick in die Einöde, die totale Abgeschiedenheit, in eine Welt, die den allermeisten Menschen zumal im reichen Westen völlig fremd vorkommen muss. Eine Welt, wo eine Hütte voller blutverschmierter Wände anscheinend kaum ein Schulterzucken erzeugt, wo vier Menschen mit nur gelegentlichstem Kontakt zur Außenwelt zusammenleben, wortwörtlich in ihrer eigenen Welt, und sich in diesem Mikrokosmos alle existentiellen Fragen stellen: Gut und Böse, der Kampf ums Überleben, Wärme und Nahrung.

Zugleich ist Stanisław Muchas Film ein beunruhigend ruhiges Beobachtungsprojekt, das alle Ereignisse mindestens eine Armlänge auf Distanz hält und weder zu nahe noch zu tief hineingezogen werden möchte in den Sog dieser Einsamkeit, weil sich irgendwo in ihr womöglich doch menschliche Dämonen verstecken. Gut und Böse.

Wettermacher (2021)

Nahe des sibirischen Polarmeers liegt die Wetterstation „Chodowaricha“, der wahrscheinlich einsamste Arbeitsplatz der Welt. Hier beobachten die drei Meteorologen Wladimir, Sascha und Alexander das Wetter. Im Rhythmus der Jahreszeiten darf man anteilnehmen an ihrem Leben. Die andauernde Isolation fordert ihren Tribut und auch zwischenmenschliche Konflikte unter den Wettermachern bleiben nicht aus. Aber auch Schneestürme oder halbverhungerte Eisbären sind omnipräsente Gefahren. Vor dem stets greifbaren Wahnsinn bewahren sie die sporadischen Besuche einiger Nomaden, russische Popsongs und nicht zuletzt der Wachhund Jack. 

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