The Lovers and the Despot

Die Schattenseiten der Cinephilie

Wie schön wäre es doch, wenn ausgeprägte Cinephilie die solchermaßen Befallenen gleichzeitig und en passant auch zu besseren Menschen machen würde. Leider — und das habe ich schon manchmal befürchtet — ist dem nicht so, wofür Rob Cannans und Ross Adams Dokumentarfilm The Lovers and the Despot ein eindrückliches Beispiel ist. Immerhin sorgt der ebenso unterhaltsame wie unglaubliche Film für den Beweis (falls es eines solchen noch bedurft hätte), dass das Leben immer noch die besten Geschichten schreibt.

In diesem Drama, das von dem Leben selbst, den großen Geschichten und kleinen (Film)Leidenschaften (die ja in Wirklichkeit immer „bigger than life“ sind) geschrieben wurde, wirken mit: Eine berühmte südkoreanische Schauspielerin namens Choi Eun-hee, ein ebenso bekannter und geschätzter Filmregisseur und -produzent namens Shin Sang-ok und der damalige nordkoreanische Diktatorensohn und spätere Machthaber Kim Jong-il. Letzterer war zeit seines Lebens ein besessener Cineast und hatte das ehrgeizige Ziel, sein von der Außenwelt hermetisch abgeschottetes Land zu einer der führenden Nationen des Kinos zu machen. Allerdings mangelte es im Land an Talenten ebenso wie am Mut, neue Wege zu gehen, weshalb Kim neidvoll auf den verfeindeten südkoreanischen Nachbarn blickte, wo vor allem Choi und Shin, die auch privat ein Paar waren, große und auch internationale Erfolge feierten. Ende der 1970er Jahre war es dann soweit: Zuerst ließ Kim die Schauspielerin mittels nordkoreanischer Agenten aus Hongkong entführen, wenige Monate später folgte unter mysteriösen Umständen der mittlerweile von Choi geschiedene Shin. Was nun folgte, war ein beständiges Umwerben und Umschmeicheln, waren ausgedehnte Indoktrinationen und der Versuch einer Gehirnwäsche, Zusagen über nahezu unbegrenzte Mittel und vollste Protektion von oberster Stelle, aber auch Kerkerhaft für Shin — alles mit dem Ziel, mit seiner Hilfe und der Mitwirkung von Choi Nordkorea ganz oben auf die cineastische Landkarte zu hieven. Ein Ansinnen, das dann endlich zu gelingen schien: Shin und Choi willigten ein und taten alles, um sich fortan als linientreue und geläuterte nordkoreanische Staatsbürger zu erweisen, und drehten mit Kims Hilfe einige spektakuläre Filme, bis sie 1986 während eines Aufenthaltes in Wien (wo sonst?) die Gelegenheit für ihre heimlich von langer Hand vorbereitete Flucht nutzten und sich in die US-amerikanische Botschaft flüchteten.

The Lovers and the Despot ist eine jener Storys, die — würde man sie als Script für einen Spielfilm lesen — wohl kaum jemand als besonders glaubwürdig erachten dürfte. Und doch ist sie wahr, das beweisen allein schon die heimlich von Choi und Shin mitgeschnittenen Aufnahmen von ihren Gesprächen mit Kim Jong-il. Rob Cannan und Ross Adam haben sichtlich Spaß an diesen unglaublichen Plot und ziehen alle Register, um ihre Geschichte mit viel Drive und etlichen Tricks zu versehen, gerade so, als wollten sie dem Zuschauer signalisieren: „Das hier ist so absurd, dass wir genau diese Aspekte einfach weiter auf die Spitze treiben.“ Ein gelungener Schachzug ihrer Herangehensweise ist beispielsweise, dass sie die Elemente der Story, für die es kein authentisches Bildmaterial gibt, einfach mit passenden Szenen und Ausschnitten aus Shins und Chois filmischem Œuvre unterlegen, wodurch sich gewitzte Kommentierungen und etliche komische Momente ergeben. 

Auch die Musik ist von Anfang an nicht gerade zurückhaltend gestaltet, sondern forciert das Geschehen auf der Leinwand noch zusätzlich. Was normalerweise eher mit Skepsis zu betrachten wäre, erweist sich hier gleich doppelt als richtige und kluge Entscheidung: Die genuin eher im fiktiven Kino angesiedelten gestalterischen Mittel, derer sich die Filmemacher bedienen, eröffnen neben der so erreichten Effizienz und dem gewaltigen Unterhaltungswert des Gezeigten noch einen Metadiskurs, der das heimliche Thema dieser Farce noch einmal trefflich auf die Spitze treibt: die Nähe von Film und Politik, die Verführbarkeit von Kunst und die Selbstverständlichkeit, mit der die Politik, zumal in absolutistischen Staaten, sich der Mittel der (auch cineastischen) Inszenierung bedient. Dabei bewegen sie sich fast tänzerisch auf einem schmalen Grat, auf dem sie mehr als nur einmal straucheln und vom dem sie beinahe abzugleiten drohen, denn schließlich erliegen sie bisweilen der kritisierten Vermischung von Film und Leben ebenso wie der Filmfanatiker Kim Jong-il. Und noch ein kleiner Wermutstropfen bleibt bei diesem ansonsten überaus sehenswerten dokumentarischen Lehrstück bestehen: In der Lust an der Übertreibung geraten die tragischen Einzelschicksale und die menschlichen Dramen fast ein wenig in Vergessenheit, auch wenn sich die beiden Regisseure vor allem am Ende sichtlich bemühen, dies wieder in den Fokus des Films zu rücken. 

The Lovers and the Despot

In den Fünfzigerjahren waren der Regisseur Shin Sang-ok und die Schauspielerin Choi Eun-hee das Traumpaar der südkoreanischen Filmindustrie. Ihre gemeinsame Karriere endete 1978 mit der Scheidung. Auf einer Geschäftsreise nach Hongkong wurde Choi vom nordkoreanischen Geheimdienst entführt – und zwar im Auftrag des filmbegeisterten Präsidenten Kim Jong-il. Auch Shin wurde wenig später gekidnappt und für einige Zeit inhaftiert. Als er sich schließlich kooperationswillig zeigte, wurde er zum obersten Chef der nordkoreanischen Filmbehörde und drehte gemeinsam mit seiner Ex-Frau zahlreiche Filme im Auftrag des Regimes. Allerdings hatten die beiden einen filmreifen Plan, wie sie aus Nordkorea fliehen wollten.

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