Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Eine Filmkritik von Anna Wollner

"Pack die Badehose ein"

Was für ein Traumpaar der jüngeren deutschen Kinderfilmgeschichte: Da ist der tiefbegabte Rico, der gerne mal Bingokugeln im Kopf hat, und der hochbegabte Oskar, der aus reinen Vorsichtsmaßnahmen nur mit Kopfbedeckung – erst war es ein Helm, dann eine Mütze – das Haus verlässt. Die beiden eint seit Rico, Oskar und die Tieferschatten eine innige Freundschaft, die mit Rico, Oskar und das Herzgebreche ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Nun also der dritte und letzte Teil der Buchverfilmung nach Vorlage von Andreas Steinhöfels gleichnamigen Erzählungen. Die beiden großartigen Hauptdarsteller Anton Petzold und Juri Winkler werden von Jahr zu Jahr größer, haben zum Glück noch immer den signifikanten Größenunterschied, aber schon bei Anton sind die ersten Anzeichen von pubertärer Veränderung deutlich erkennbar.
Das macht aber erstmal nichts, denn auch das dritte Abenteuer, eine klassische Detektivgeschichte mit Anleihen beim Who Dunnit-Motiv ist erwachsener geworden. hat sich aber dank der unbeschwerten Vertrautheit von Regisseurin Neele Vollmar, die nach Babypause und Aussetzen des letzten Films wieder dabei ist, die kindliche Leichtigkeit bewahrt. In Rico, Oskar und der Diebstahlstein wird die geliebte Dieffe 93, das bekannt- und liebgewonne Eckhaus in der Dieffenbachstraße 93 (gedreht übrigens in Neukölln und nicht in Kreuzberg) gegen die Ostsee eingetauscht.

Der Ausflug ans Meer bringt frische Seeluft in die Trilogie. Aber erstmal zurück auf Anfang, oder „Zurückspulen bitte“, wie Rico sagen würde. Der Film beginnt nämlich, und auch das ist für einen Kinderfilm eher ungewöhnlich, mit einer Beerdigung. Der kinder- ach was menschenhassende Nachbar Fitzke (knarzig gespielt von Milan Peschel) ist verstorben und hat Rico seine Steinsammlung vermacht. Der griesgrämige, in seiner Wohung zurückgezogen lebende Fitzke war zu Lebzeiten Steinsammler und macht Rico zu seinem Nachfolger. In der zugemüllten Altbauwohnung sind nicht nur ein sehr seltener Kalbstein und Dokumente über die Herkunft der Steine, sondern auch ein Diamant, der in einem spektakulären Einbruch entwendet wird und verscherbelt werden soll. Am Meer.

Rico und Oskar packen also ihre Koffer. Allerdings aus unterschiedlicher Motivation. Rico geht als pflichtbewusster Erbe voll und ganz im Detektivspiel auf, während Oskar in erster Linie von zu Hause weg will. Sein Vater ist zurück. In Jogginghose und Feinripphemd sitzt er auf der Plastikledercouch und treibt seinen eh schon angeknacksten Sohn buchstäblich in den Wahnsinn, liefert gleichzeitig die dramaturgische und bis dato noch offene Erklärung, warum Oskar ein so hochneurotisches Kind mit Verlustängsten ist, der er in den letzten zwei Filmen war.

Oskar, aus emotionaler Hilflosigkeit und Konfrontation mit seinem Vater, ist auch an der Ostsee weiter der Klugscheißer. Eine Schutzfunktion, denn eigentlich hat er den Helm ja schon längst gegen eine Pudelmütze getauscht, provoziert mit seinem arroganten und ich-bezogenen Verhalten aber auch den ersten großen Streit zwischen den beiden Freunden. Rico fühlt sich von Oskar manipuliert — gutes Herz gegen schwache Nerven, ein Manko in seiner emotionalen Bilanz, das er selbst erkennt. Ein weiterer Beweis dafür, dass Rico und Oskar sich weiterentwickelt haben. Ihre Freundschaft erreicht durch den Streit ein neues Niveau. Es ist ein Aufbrechen ihrer festgelegten Rollen. Oskar ist emotional tiefbegabt, während der empathische Rico einen Riecher für Gefühle hat.

Rico, Oskar und der Diebstahlstein
ist erneut ein Sammelsurium an verschrobenen Menschen und herzensguter Menschlichkeit. Der abwechslungsreiche Cast mit vielen kurzen (Gast-)Auftritten um Detlev Buck, Henry Hübchen, Karoline Herfurth, Ronald Zehrfeld, Heike Makatsch, Ursela Monn, Fahri Yardim und Katharina Schüttler zeigt den Stellenwert der Reihe in der deutschen Kinderfilmlandschaft. Dabei sind alle drei Filme immer auf Augenhöhe der Kinder, erzählen die Geschichte aus ihrer Perspektive, mit Zeichentrickeinschüben und Ricos charmant-naiven Worterklärungen. Damit sind die Filme nicht nur nah dran an den Protagonisten, sondern auch an der Zielgruppe. Wie selbstverständlich werden gesellschaftsrelevante Themen wie Patchworkfamilien, Vater-Sohn-Konflikte, Einsamkeit im Alter und Tod mit eingebaut. David Kross und Jacob Matschenz als schwules Nachbarspärchen machen Knutschurlaub an der Ostsee und werden zu Komplizen. Eine Beiläufigkeit, die gut tut.

Die beste Szene allerdings: In die Ermittlungen vertieft, müssen Rico, Oskar und Sven, der stumme Weggefährte aus Teil Zwei, den schmierigen Hehler und seine Freundin am Strand observieren. Am FKK-Strand wohlgemerkt. Mit einer rotzfrechen Selbstverständlichkeit zieht Rico blank: „Nackte fallen unter Nackten weniger auf.“ —  „Aber die Mütze bleibt auf“ erwidert Oskar ihm gleichmütig. Da sitzen also drei Halbwüchsige wie Gott sie schuf im Sand und beobachten mit dem Fernglas Verbrecher. Die Rico, Oscar-Trilogie findet hier ihren krönenden Abschluss und beweist einmal mehr, dass sie das Beste ist, was der deutsche Kinderfilm in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Was für ein Traumpaar der jüngeren deutschen Kinderfilmgeschichte: Da ist der tiefbegabte Rico, der gerne mal Bingokugeln im Kopf hat, und der hochbegabte Oskar, der aus reinen Vorsichtsmaßnahmen nur mit Kopfbedeckung – erst war es ein Helm, dann eine Mütze – das Haus verlässt. Die beiden eint seit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ eine innige Freundschaft, die mit „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ ihren vorläufigen Höhepunkt fand.
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