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Wie wurde die Psychiatrie-Krankenschwester Mildred Ratched aus der Romanverfilmung „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu einer herzlosen Tyrannin? Dieser Frage gehtAmerican Horror Story“-Schöpfer Ryan Murphy in seiner neuen Netflix-Serie nach. Hat er spannende Antworten parat?

Ratched (TV-Serie, 2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Hübsch verpackter Kolportagereigen

Die Vorgeschichte ikonischer Bösewichte zu erkunden, erfreut sich gerade in letzter Zeit größerer Beliebtheit. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa die Fernsehserie „Bates Motel“, die das Leben des „Psycho-Protagonisten Norman Bates und seiner Mutter Norma vor den Ereignissen im berühmten Hitchcock-Klassiker skizziert, sich dabei allerdings die Freiheit nimmt, die Handlung in die Gegenwart zu verlegen. Einen Blick auf den Werdegang der unbarmherzigen Antagonistin Mildred Ratched aus Miloš Formans preisgekrönter Romanverfilmung „Einer flog über das Kuckucksnest wirft nun die neue Netflix-Produktion „Ratched“, die unter Federführung von „American Horror Story-Erfinder Ryan Murphy entstand. Eine Serie, die trotz toller Schauwerte und einiger nachhaltig verstörender Passagen nur bedingt verfangen will.

Irgendetwas führt die adrett gekleidete Psychiatrie-Krankenschwester Mildred Ratched (auch als ausführende Produzentin in Erscheinung tretend: Sarah Paulson) im Schilde. Das lassen schon die ersten Szenen erahnen, die sie im Jahr 1947 bei der Ankunft in einem malerisch gelegenen Motel im Norden des Bundesstaates Kalifornien zeigen. Hinter der kühlen Fassade der Neuangekommenen verbergen sich unheilvolle Pläne, über die man anfangs nur spekulieren kann. Ihre auf unverfrorene Weise ergaunerte Anstellung in einer örtlichen Nervenheilanstalt nutzt sie, um in die Nähe des dort einsitzenden Priestermörders Edmund Tolleson (Finn Wittrock) zu gelangen. Sehr zum Ärger der misstrauischen Oberschwester Betsy Bucket (Judy Davis) schafft es Mildred außerdem erstaunlich schnell, Einrichtungsleiter Dr. Richard Hanover (Jon Jon Briones) um den Finger zu wickeln.

Dass Murphy und Ko-Schöpfer Evan Romansky sich nicht in Zurückhaltung üben wollen, macht der Serieneinstieg unmissverständlich deutlich. Noch bevor die Titelfigur die Bühne betritt, wird der Zuschauer Zeuge von Tollesons grafisch ausgeschmücktem Blutrausch. Ohne Rücksicht auf Verluste metzelt der junge Mann in einer stürmischen Gewitternacht mehrere Geistliche nieder und setzt dabei ein etwas klischiert wirkendes teuflisches Gesicht auf, aus dem der pure Wahnsinn zu sprechen scheint. Gleich in den ersten Minuten geht Ratched in die Vollen und legt damit den Ton der Geschichte fest.

In starkem Kontrast zu der Gewalttat und später folgenden Eskalationen stehen die ausgesuchten Kostüme und das schmucke, detailverliebte Szenenbild, das die ausgehenden 1940er-Jahre zum Leben erwecken soll. Die Schauplätze und die Kleidung sind bis zum Äußersten herausgeputzt und verströmen dadurch etwas beunruhigend Aseptisches und Künstliches. Mit ihren kräftigen Farben und ihrer oft dramatisch hochkochenden Musikuntermalung wirkt die Serie fast wie ein altes Technicolor-Melodram.

Und nicht nur das. In vielen Momenten bauen die Macher konkrete Verweise auf berühmte Filme ein. Die geisterhaft irrlichternde Kamerafahrt zu Beginn von Stanley Kubricks Horrormeisterwerk Shining wird ebenso zitiert wie eine bedrohliche Szene samt eindringlicher Klangfolge aus Martin Scorseses Kap der Angst. Ein Nebenstrang befasst sich mit einer unbehaglichen Mutter-Sohn-Beziehung, die natürlich an Alfred Hitchcocks Psycho denken lässt. Das in Zeitlupe festgehaltene Todesballett aus Arthur Penns New-Hollywood-Klassiker Bonnie und Clyde wird in einer Folge nachgestellt. Und mehr als einmal rufen die Passagen im Zellentrakt des Mehrfachmörders Tolleson Erinnerungen an Jonathan Demmes wegweisenden Serienkiller-Thriller Das Schweigen der Lämmer wach.

Ratched pflügt sich quer durch die Geschichte des Spannungskinos und gibt sich mehr und mehr reißerischen Erzählmustern hin. Kaputte, exzentrische Figuren mit dunklen Geheimnissen tummeln sich hier zuhauf. Bei der Ausleuchtung der Traumata und Neurosen geht es allerdings nur selten über die grelle Oberfläche hinaus. Der Augenblick, in dem Mildreds grauenhafte Backstory mit einer eigentlich harmlosen Puppentheatervorstellung verschmilzt, verursacht Gänsehaut, ist in seiner plakativen Art aber beispielhaft für die gesamte Serie. Sarah Paulson spielt in der Hauptrolle überzeugend auf. Und die Drehbücher sind bemüht, die Protagonistin als komplexen, schwer fassbaren, zwischen eiskalter Berechnung und Mitgefühl oszillierenden Charakter zu entwerfen. In der zweiten Hälfte der acht Episoden umfassenden ersten Staffel verliert Mildred aber dennoch einiges von ihrer eingangs in den Bann schlagenden Aura.

Ihre langsam aufkeimende Beziehung zu Gwendolyn Briggs (Cynthia Nixon), der Assistentin eines machthungrigen, populistischen und sexistischen Gouverneurs (Vincent D’Onofrio), bringt aufrichtige emotionale Akzente mit sich und veranschaulicht, wie Homosexualität in der US-amerikanischen Nachkriegsgesellschaft stigmatisiert wird. Die von vielen Rückschlägen geprägte Annäherung der beiden Frauen tritt in den letzten Folgen jedoch immer wieder hinter knalligen, mit dem Holzhammer bearbeiteten Wendungen zurück. Um eine – bereits bestätigte – zweite Staffel auf den Weg bringen zu können, biegen sich Murphy und Co vor allem ihr vorläufiges Schlusskapitel zurecht, das mit einer denkbar absurden Volte aufwartet. Spätestens hier lassen sich die dramaturgischen Nachlässigkeiten von Ratched nicht mehr ausblenden.

Ratched (TV-Serie, 2020)

„Ratched“ erzählt die Vorgeschichte der Krankenschwester Mildred Ratched aus „Einer flog über das Kuckucksnest“ und fungiert damit als Prequel des oscarprämierten Films mit Jack Nicholson. Die Serie zeigt, wie aus einer idealistischen Berufsanfängerin eine eiskalte und berechnende Oberschwester wird, die so skrupel- wie rücksichtslose Methoden in der Psychiatrie anwendet.

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Meinungen

S. K. · 05.10.2020

Eine fesselnde Serie. Besonders im Hinblick auf die Hauptfigur (die hervorragend gespielt wird) schwankt man stets zwischen Sympathie und Antipathie. Auch der Aspekt, dass jede Entscheidung Folgen hat, wird in dieser Serie zu keiner Zeit vernachlässigt

A.N · 22.09.2020

Schade dass ihr keinen Bezug zu den wahren Begebenheiten einer Lobotomie Bezug nehmt und den sonstigen typischen barbarischen Methoden zur Bekämpfung von Geisteskrankheiten. Hier stecken wichtige und wahre Informationen dahinter!

Marc · 20.09.2020

Hammer Serie,freu mich auf Staffel 2