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Anke Engelke in einer Solo-Rolle spricht in acht verschiedenen Originalstimmen von ganz normalem Mutterdasein: Dokumentarisch aufgenommene Lebensgeschichten werden im Playback-Verfahren mit dem Alltag einer Schauspielerin zusammengeführt.

Mutter (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Eine akustische Parallelwelt

Wenn man Kriterien anlegt wie „in eine Rolle schlüpfen“ oder „sich in einen Charakter fallen lassen“, dann ist Anke Engelke keine gute Schauspielerin. Hinter den Figuren, die sie darstellt, schaut immer irgendwo Anke Engelke hervor, gerne auch verschmitzt mit den Augen zwinkernd; oft führt sie ihre Figuren ins Karikatureske. Sie verschwindet nicht in ihnen. Das ist nicht schlimm – Hannelore Elsner hat das, auf etwas andere Art, ebenso gemacht. Und genau wegen dieser Art des Spiels – nicht die Figuren spielen, sondern mit den Figuren spielen –, genau deshalb ist Anke Engelke perfekt in Carolin Schmitz’ „Mutter“.

Anke Engelke spielt eine Schauspielerin – mithin spielerisch eine Alter-Ego-Figur. Man könnte sich vorstellen, dass Engelke in einem großen, aufgeräumten Haus wohnt, alles adrett, fast steril, dass sie ihr Handy sucht, dass sie Schnittblumen arrangiert, dass sie Reifen wechselt und Wäsche macht. Tagsüber Theaterprobe, abends mal ein Konzertbesuch, mal steht sie auf der Bühne vor vollem Haus. Es passiert nichts. Die Engelke-Figur lebt für sich, vor sich hin, in klarem Rhythmus Tag für Tag. Was dieser visuellen Ebene in ihrer Klarheit eine gewisse Künstlichkeit verleiht.

Natürlich ist Mutter kein Film über Anke Engelke. Auch nicht über eine fiktionalisierte Version ihrer selbst. Sondern über Mütter. Mütter, die Carolin Schmitz interviewt hat, die ihre Lebensgeschichte erzählen. Und der Clou ist, dass die Engelke-Figur in ihrem Alltag in Monologe ausbricht: Sie spricht, und zwar in den Stimmen der interviewten Mütter. Im perfekten Playback-Verfahren; man darf nicht vergessen, dass Anke Engelke seit Jahren schon Marge Simpson spricht, im Synchronverfahren also höchst bewandert ist (und im Sprechen einer Mutter-Rolle). Und völlig abseits zum Leben der fiktiven Engelke-Schauspielerin: eine akustische Parallelwelt.

Engelke in der Badewanne, und sie spricht über die Anfänge einer Liebe, nicht in ihrer eigenen Stimme, in der Stimme einer anderen, die von sich erzählt; über ihre anfängliche Frigidität, über einen Schürzenjäger, der sie rumkriegen will, der dies auch schafft. Der sie zur Mutter machte. Dokumentarische Aufnahmen in einem fiktionalen Rahmen, in totaler Verzahnung – das ist ein höchst reizvoller Ansatz für einen Film.

Carolin Schmitz hat Stimmen gesammelt, die vom Alltag erzählen: Acht Frauen reden über ihre Geburten, über Kinderbetreuung und Erziehung, über Beruf und Familie, über das Dasein als Ehefrau, über die Mama-Rolle, über Überforderung und Rollenverteilung. Es ist nichts Ungewöhnliches, was wir hören, wir tauchen akustisch ein in ganz verschiedene Lebenswelten, können die verschiedenen Stimmen irgendwann identifizieren, sich einfinden in die Erzählungen, in die Charaktere, die dahinterstecken, in die Schicksale: eine Richterin mit mehreren Kindern, eine Unternehmerin aus dem Fränkischen, eine Lehrerin, die nach der Scheidung ihre Kinder nur wochenends sehen darf, eine Frau mit mehreren Liebhabern, die ihre Familie dann auch mal nach Amerika hin oder nach Asien verlässt.

Als reiner Dokumentarfilm wäre das superlangweilig geworden. Weil alles komplett unspektakulär ist. Doch wir erleben ja nicht einfach den Alltag von Müttern – oft gar von privilegierten Müttern –, sondern wir erleben die komplette Kontrastierung: Das Unspektakuläre der Mutter-Erzählungen clasht mit dem Unspektakulären des Schauspielerin-Alltags. Die Mütter, die immer für andere da sind, denen mit den Kindern (und der Ehe) ein mehr oder weniger großer Teil ihrer Selbstbestimmung weggebrochen ist, die sich in traditionelle Rollenbilder einfügen müssen, die diesen Rollen nicht entkommen können, oder nur unter großen Schmerzen: diese Erzählungen schwanken zwischen großem Glück, Kinder zu haben, bis zum zweifelnden Bewusstsein des Verlusts des Ichs. Und gesprochen werden sie von einer Frau, die nur für sich selbst in ihrem Haus werkelt, die im Schauspielberuf sie selbst ist, indem sie andere darstellt. Und die dabei größtmögliche Normalität lebt.

Achtmal ganz normale Mütter. Einmal eine künstlich konzipierte Darstellerin. Eine Frau, die monologisierend acht andere Frauen verkörpert.

Mutter (2022)

Der Film widmet sich dem komplexen Thema Mutterschaft und erzählt von Freude und Zweifel, Macht und Ohnmacht, Wut und Liebe. Die Grundlage für das Projekt ist dokumentarischer Natur: Acht Frauen zwischen 30 und 75 erzählen von ihrem Leben und Muttersein. Allen Frauen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass Mutterschaft eine höchst ambivalente Erfahrung ist. Für die filmische Umsetzung werden die dokumentarischen Aussagen optisch in einer fiktiven Figur, dargestellt von Anke Engelke, zusammengeführt. Die Schauspielerin integriert die Berichte der Frauen in die lakonische Erzählung über das alltägliche Leben einer Frau und Mutter. (Quelle: Filmfest München 2022)

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Meinungen

Kathrin · 21.05.2023

Die Geschichten der Frauen haben und die eigenwilligen Perspektiven haben mich sehr berührt. Wichtige Botschaften werden transportiert, die Veränderung der Elternrollen in den letzten Jahrzehnten und deren Herausforderungen werden subjektiv beschrieben. Leider fiel es mir schwer die verschiedenen Stimmen stets sofort richtig zuzuordnen was er mir erschwert hat dem Film zu folgen. Die Entkoppelung von zu Sehenden und zu Hörenden, die vermutlich einen gewissen Reiz haben sollte und innovativ gemeint war, kam bei mir nicht an. An der Stimmlage konnte ich schwer das Alter der Mütter bestimmen und beim Beginn der Monologe schwer die Rollen zuordnen. Mir ging so inhaltlich einiges verloren an den Geschichten der Interviewten Mütter. Das ist schade. Ich denke ich hätte die befragten Mütter lieber in einem Dokumentarfilm kennengelernt. Nun lässt mich der Film in einer Difusität zurück, aber vielleicht war es das was die Macher beabsichtigten?

Angelika M · 09.03.2023

Wer will das wissen? War froh, als der Film zu Ende war.

Julia · 28.10.2022

Vorab:
Ich denke glückliche Mütter haben glückliche Kinder!
Ich finde es manchmal schade, dass in Deutschland das Muttersein oft als Belastung gesehen wird. So geht Familie nach und nach verloren in Deutschland. Obwohl Kinder die Zukunft sind.
Schade, dass heutzutage in einer zunehmenden egoistischen Gesellschaft oft Nur die Überforderung oder das Muttersein mit einem unangenehmen Unterton betrachtet wird.
Statt das Muttersein mit Liebe und Erfüllung gleichgesetzt wird- das liegt an jeder Mutter selber.
Ich denke eine Mutter die ALLES MIT LIEBE UND HERZEN und macht was ihr und dem Kind gut tutut und NICHT WIE SO OFT WAS ANDERE ODER DIE GESELLSCHAFT VON EINEM ERWARTEN Um auch später im Leben erfüllt zufrieden auf ihr Leben zurückblickt und im Alter nicht einsam ist.
Neue Virus wird wohl durch Egoismus dann die EINSAMKEIT dieser Generation (Geburtenstarke Generation). KINDERLIEBE & LIEBE IST DER SCHLÜSSEL ZUM GLÜCK.
Heute herrscht oft ein belastender Unterton in der deutschen Gesellschaft durch Egoismus, Ignoranz Geiz/Gier bezüglich Kinder und das Eltern/Muttersein etc.das ist sehr fraglich und sicher keine gute Entwicklung für Zukunft und Perspektiven in dem Land. Das Miteinander und Generationenvertrag sollte eher gefördert werden statt mit solchen Filmen eine gewissen Verfall der Familienwerte zu fördern indem man ein paar Geschichten und Einzelschicksalen erzählt das Muttersein sei grösstenteils anstrengend und belastend... Das liegt auch immer an der Mutter und was für Wert sie auf Kinder oder eher nur auf Geld/ Arbeit legt! Kinder Kosten richtig aber das Glück die Freude die sie bringen sind einfach unbezahlbar wer das als Mutter nicht erfährt tut mir einfach nur Leid und traurig der hat als Mutter wenig Liebe in sich selbst und vielleicht zu wenig Liebe erfahren !
Woanders ist alles familiärer und kinderliebe wir zum Beispiel in der Schweiz und Spanien (daher Leben wir jetzt auch im Ausland).
Man sollte lieber die Freude, Liebe, Spass und das grosse Glück welches Kinder ( trotz manchmal etwas Anstrengung alles unter einen Hut zu bekommen) in den Focus gerückt werden.
Denn eines ist das wichtigste die Kinder sind die Zukunft.
Stichwort: Generationengerechtigkeit Unterstützung Förderung Kinder /Familie darüber sollte man ein Film machen!

Dieser Film macht mich sehr nachdenklich über die heutige Gesellschaft und "allgemeine" Erfahrungen /Ansichten (offenbar) und ist sehr langatmig..

HS · 11.11.2022

Alleine den Frauen den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen, kann jedoch auch nicht richtig sein!
Meiner Meinung nach werden nicht unbedingt die Frauen egoistischer, sondern die Zeiten sind (zum Glück!) auch andere und Frauen möchten sich auch selbst verwirklichen und arbeiten gehen.
Dazu kommt, dass leider die Kinder, geprägt durch gesellschaftliche Veränderungen, immer schwieriger werden.
Ich arbeite als Lehrerin und erlebe unglaubliche Dinge…Kinder, die ständig bespaßt werden müssen und nicht fünf Minuten stillsitzen, geschweige denn zuhören können…
Ich möchte in der heutigen Zeit nicht unbedingt junge Mutter sein, um ehrlich zu sein, und würde mich deswegen nicht als egoistisch bezeichnen…

BC · 13.04.2023

Ich verstehe nicht was dieses Aufgeregtsein soll. Frauen wollten unabhängig werden und sollten doch glücklich damit sein. Wenn man nicht den traditionellen Weg wählen will, dann muss man eben auch die Konsequenzen so nehmen wie sie sind. Männern wird der schwarze Peter zugeschoben, nicht den Frauen. Männer sind ja an allem schuld. Das wird zumindest Tag für Tag in den Medien - und auch durch diesen Film - projeziert. Verstehe nicht warum Frauen überhaupt heute noch rumjammern, denn sie haben doch sogar mehr Freiheiten und Möglichkeiten als das andere Geschlecht. Zudem bekommen sie heute mehr denn je Zuspruch von der Gesellschaft. Frauen sind nicht mehr die Opfer und sind trotzdem unglücklich. Man sollte sich mal fragen was da nicht stimmt. Die Verlierer sind nicht die Frauen. Es ist einfach traurig oder fast schon lächerlich dass wieder ein Film rauskam der die Frau als benachteiligt präsentiert. Ich glaube man sollte in diesem Film zwischen der Frau in der Gesellschaft und der Frau als Mutter unterscheiden. Es würde sicherlich nicht verkehrt sein, auch mal die andere Seite wahrheitsgerecht aufzuzeigen. Anderseits muss ich betonen: Das Muttersein ist eine wertvolle Aufgabe, vielleicht die wichtigste für diese Gesellschaft. Wer was anderes behauptet hat leider nicht verstanden. Von der Warte ist dieser Film sehr wichtig. Denn Mütter (und auch Väter) sollten in der Gesellschaft viel mehr wertgeschätzt werden. Ich hoffe, dass auch mal ein Film zum Thema Vatersein herauskommt.

Anja Fröbel · 20.10.2022

Ich fand den Film sehr gut. In eingen Details sicherlich streitbar, z.B. das Thema der "Langatmigkeit" einiger Passagen ohne Text oder das, für mich, unerwartete Ende, sowie die schwierige Zuordnung, welche der 8 Frauen-Charaktere nun gerade spricht... aber insgesamt eine großartige schauspielerische Leistung von Anke Engelke und vor allem auch ein wirklich ergreifendes Spektrum an mütterlichen Gefühlen und Gedanken in denen man entweder sich selber, eine Freundin, Bekannte oder die eigene Verwandschaft, die eigene Mutter oder Oma wiedererkennt.
Die streitbaren Dinge haben sich mir, im Nachhinein, als stilistisches Mittel gezeigt, welche die Verschwommenheit und das Ineinandergreifen von Gefühlen, die Ambivalenz darstellen sollen und die diesen Effekt, für mich, auch genau erzeugt haben.
Ich kann den Film sehr empfehlen, für Frauen (und Männer), die offen genug sind, die Dramaturgie und das Thema zu verstehen.

Sabine B. · 05.10.2022

Ich habe mich gefragt, warum mich der Film wenig berührt hat und warum ich, trotz der lediglich 88 Minuten Filmlänge ein Gefühl von Langatmigkeit bekam? Aber zuerst, was ich sehr gut fand: Die Idee, 8 Frauen durch eine Einzige sprechen zu lassen. Weiterhin fand ich die gesamte Ästhetik sehr gut - ein Genuss. Was in der Kritik von Herrn Mühlbeyer positiv gelungen geschildert wird, dass Anke Engelke die real existierenden Frauen mit ihren Geschichten ins "Karikatureske" befördert, hat sicher zu meinem emotionalen Abstand beigetragen. Wie auch Herr Mühlbeyer betont, ist Anke Engelke nicht in ihre Figuren "reingeschlüpft", sondern ist Anke Engelke geblieben, die ganze Zeit. Ihre Mimik, ihre souveräne Stärke, die auch Kühle und viel Distanz ausstrahlt, für mich war das in jedem Augenblick gefühlt präsent. Wie ein interlektuelles Kammerspiel - leicht übertrieben. Bei Carolin Schmitz habe ich mich gefragt, warum sie nicht die Gelegenheit genutzt hat, wirklich etwas über die ambivalenten Gefühle von Müttern zu zeigen. Auch hier in der Regie für mich zu viel Distanz im "von außen" betrachtet. Gerade, wenn es ein wenig interessant wurde, kam ein Schnitt. Da hätte man noch einiges aufblättern können. Und zum Schluss noch etwas über den aktuellen filmischen Trend, die Figuren in ständig wechselnde Outfits zu packen und sie in ständig wechselnde Umgebungen zu verfrachten. Dieser "Gag" kommt mir wie der Gag am Theater, dass Schauspieler aus einem anderen Raum fernab der Bühne per Videoschalte weiter mitspielen. Wenn man ein paar Mal gesehen hat, ermüdet es.

Sabine · 04.08.2022

Also ... ich bin ja sehr gespannt auf diesen Film!

Marita Grau · 16.10.2022

Einfach nur schrecklich habe vor Wut danach nicht geschlafen Anke braucht Geld