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„Faggots“ präsentiert sich als ein bildgewaltiger Exzess, der die restriktive Politik der polnischen Regierung anprangert. Doch er scheitert letztlich leider an seinem eigenen, hoch ambitionierten ästhetischen Programm.

Faggots (2021)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Post-pandemische Exzesse

Ätherische Klänge umfangen die Zuschauer*innen direkt zu Beginn des Films: In hoch kontrastierendem Schwarzweiß ziehen Wolkenformationen vorbei, die dann von einem Kleid tragenden Mann (Dominik Krawiecki) auf der Flucht durch hohes Gras abgelöst werden. Während dieser Passage mischen sich Dissonanzen in den Sound, der friedliche, sakrale Eindruck verschiebt sich hin zu auditiver Gewalt, die dann exzessiv in die Urin-Taufe des am Boden liegenden Mannes kulminiert. Und nicht nur er, sondern die Zuschauer „werden nass“: „Faggots“, so machen die ersten Einstellungen klar, changiert zwischen sakralen Höhen und körperlichem Exzess. Damit ist das Programm des Films gesetzt.

Die Ouvertüre vereint in kleiner Form die Ästhetik und invertierende wie expandiere Eskalationspirale des Films. Man könnte versuchen, so etwas wie eine Handlung in dem Debüt von Patrycja Płanik and Dominik Krawiecki auszumachen: Ein befreundetes Quartett homosexueller Männer lyncht zu Beginn des Films gemeinsam einen Freund, dessen von den Toten auferstandener Körper dann im Zuge der Totenwache für „Pink Mama“ zurückkehrt. Diese ist nicht nur die letzte Überlebende Frau des Virus, das alle Menschen bis auf homosexuelle Männer auslöschte, sondern war auch eine Alliierte im Kampf der Männer um Freiheit, Anerkennung und Menschenwürde. Doch schon mit dieser Prämisse drängt sich die unangenehme Frage ein: Warum die Idee, nur homosexuelle Männer und nicht andere queere Personen überleben zu lassen? Es ist dann auch diese Beobachtung, die den Gesamteindruck nachhaltig prägt.

Ästhetisch präsentiert sich der Film in einer losen Reihung teils bildhaft tableau-artig organisierter Szenen, die sowohl direkte Zuschaueransprache als auch Dia- und Monologe nutzen. Faggots wartet mit einer Bildgewalt auf, die von Heiligendarstellungen bis Orgie reicht. Sakrale Motive und der christliche Glaube an sich durchziehen dabei den Film auf mehreren Ebenen. Es wird außerdem versucht, mittels Ekel und expliziter Sexualität, die Zuschauer*innen zu schockieren. Obwohl mich zu Beginn die klare Bildsprache in ihren Bann zu schlagen wusste, verfestigte sich aufgrund der mangelnden ästhetischen Stringenz nach und nach der Eindruck eines Films, der zu viel will. Und dem man mit fortlaufender Spielzeit, aufgrund der versucht progressiven Mischung von christlichen Motiven, Camp, Subkultur und Ekel ästhetisch nicht mehr recht folgen kann.

Einige Monologe scheinen aus der Handlung absichtlich auszubrechen: Immer wieder wird die Fiktion mittels brisanter Aussagen auf die sehr reale politische Situation in Polen bezogen. Damit positioniert sich der Film klar politisch, von der ersten Minute an. Faggots ist der Versuch einer Anprangerung der restriktiven Politik der Regierung, die offensiv gegen LGBTQI+-Personen hetzt. Und damit wird die Frage nach der mangelnden Allianz zu anderen Queeren umso drängender. Denn nicht nur Gays sind von der Politik betroffen, jegliche Personen, die frei ihre Sexualität, ihr selbst leben wollen stehen klar unter Druck. Damit hat der Film eine Chance verschenkt. Und wenn der Film die eigene Beschränktheit der Community anprangern soll, dann schafft er es nicht, diese Message überzeugend genug zu vermitteln. Somit hinterlässt Faggots den Eindruck von etwas, das hätte ganz groß sein können. Schade.

Faggots (2021)

Nach ihrer Hauptrolle in »Lillian«, der in Cannes uraufgeführt wurde und für den sie den Seymour Cassel Award als beste Darstellerin in Oldenburg gewann, wagt Patrycja Planik mit ihrem Schauspielerkollegen Dominik Krawiecki den Schritt hinter die Kamera mit diesem verspielt-genialen Frontalangriff auf alle Sinne. In einer dystopischen post-pandemischen Realität überlebt nur eine Schar von gender-fluiden Charakteren. Eine groteske Beerdigung der letzten Frau der Erde, Maria Magdalena Wysocka, auch bekannt als Pink Mama, offenbart die wahre Natur der modernen Gesellschaft und leitet eine neue Ära ein. Planik und Krawiecki entwerfen eine Utopie, die wie der ultimative Albtraum rechtsextremer Fantasien anmutet. Diese furchtlose Attacke gegen Intoleranz, die von Planik mit betörend schöner Kameraarbeit ins Bild gesetzt und vom preisgekrönten Filmemacher und Komponisten Andreas Horvath kongenial vertont wurde, ist nicht nur in Polen mutig und visionär. (Quelle: Filmfest Oldenburg)

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