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Die neue Regiearbeit von Kida Khodr Ramadan lässt eine Familie jäh in eine Krise schlittern, wie Eltern sie aus ihren schlimmsten Albträumen kennen. Nach einer harmlosen Operation ist die Tochter blind. Der Vater will Antworten und glaubt, dass er sie wegen seiner türkischen Wurzeln nicht bekommt.

Égalité (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Familienglück in Scherben

An diesem Morgen sind Attila Aydin (Burak Yiğit), seine schwangere Frau Aya (Susana AbdulMajid) und ihre beiden Kinder noch eine ziemlich unbeschwerte Familie. Wenige Stunden später ist ihre Welt völlig auf den Kopf gestellt. Bei der als harmloser Eingriff geltenden Mandeloperation der 14-jährigen Tochter Leila (Dunya Ramadan) ist offenbar etwas schiefgelaufen. Als Leila im Aufwachraum zu sich kommt, kann sie nicht mehr sehen. Die behandelnden Ärzte leugnen einen Zusammenhang mit der Operation, aber das ändert nichts am Ergebnis.

Nach der Regie bei In Berlin wächst kein Orangenbaum aus dem Jahr 2020 inszeniert der in Berlin aufgewachsene Schauspieler Kida Khodr Ramadan hier das Drama einer bürgerlichen Familie, die unversehens in eine tiefe Krise schlittert. Der Film ist das erste Projekt der neuen Produktionsfirma Macadamia & Mothermilk von Kida Ramadan und Frederick Lau.

Schon als die Krise beginnt, beim stundenlangen Warten in der Klinik auf das Ende der OP, die sich unerklärlich verzögert, bricht den Aydins viel von ihrem Halt und Selbstverständnis als Mitglieder der deutschen Gesellschaft weg. Attila fühlt sich vom Personal übergangen, ausgegrenzt, gar rassistisch beleidigt, wegen seiner türkischen Wurzeln. Wenn er später seinen Namen am Telefon sagt, muss er immer „mit Doppel-T“ und „mit Ypsilon“ sagen, aber mit dem gewünschten Arzt wird er doch nicht verbunden. Dass Attila emotional reagiert, wird gegen ihn verwendet, ihm als Unbeherrschtheit und schlechtes Benehmen angekreidet.

Ist das völlige kommunikative Versagen, das die Aydins in ihrer Not in und mit der Klinik erleben, auf Fremdenfeindlichkeit zurückzuführen, auf kulturelle Ausgrenzung? Steht man diesem Mann nicht wie jedem Familienvater die Verzweiflung, die Angst und das Recht auf Aufklärung zu? Die Aydins erleben, wie diffus das Gefühl der Diskriminierung sein kann, wie wenig es sich hier, wie sonst auch oft im Alltag, an eindeutigen Kriterien festmachen lässt. Das abblockende Verhalten der Ärzte und der Helfer*innen könnte vielleicht jeden treffen, als ein menschliches Ärgernis, ein Mangel an Professionalität.

Das Drehbuch, das Constantin Lieb (Co-Autor von Fabian oder Der Gang vor die Hunde) nach einer Vorlage von Ramadan schrieb, streut viele Fährten. Sobald die Dinge nicht reibungslos laufen, tun sich diverse Gräben im gesellschaftlichen Miteinander auf. Menschen versteifen sich auf ihre Rollen, Zugbrücken werden hochgezogen. Der Chirurg Dr. Mühlendorf (Volker Meyer-Dabisch) und der Anästhesist Dr. Weber (Jean-Philippe Adabra) benehmen sich, als hätten sie etwas zu vertuschen. Und bei den Aydins, die die blinde Tochter erst einmal gegen ärztlichen Rat mit nach Hause nehmen, herrscht blankes Entsetzen und tiefe Ratlosigkeit. Am besten gelingt es allerdings, sich auf diese Geschichte einzulassen, wenn man sich nicht daran aufhängt, dass sich diese Eltern wiederholt ziemlich unplausibel verhalten. Eher geht es wohl parabelhaft darum, dass man oft erst im Augenblick des Verlusts erkennt, wie viel Glück und Chancen man im Leben doch hatte.

Während sich die Tochter in ihr Zimmer zurückzieht, verwandelt sich Familienvater Attila zunehmend in den eigentlichen Patienten. Der Schmerz wird ihm unerträglich. Wenn er durch die dunklen Straßen zieht, aber auch sonst kann die Musik geradezu herzzerreißend aufdrehen. Falls jemand nicht mitbekommt, wie schlecht es Attila geht, schleudern die Melodien lieber etwas mehr als zu wenig Seelenpein in die Welt. Am Morgen vor der OP waren die Aydins noch ein modern anmutendes Paar, das zärtlich miteinander umging wie jung Verliebte. Aber unter der fröhlich-harmonischen Oberfläche zeigten sich bereits Anzeichen für Attilas patriarchalisches Rollenbild. Er bevorzugte den kleinen Sohn gegenüber der Tochter, wie Väter es in so vielen Familien tagtäglich tun. Später, in der Krise, herrscht er seine Frau an, sie solle sich raushalten, als sie mäßigend auf ihn einwirken will.

Der Film hat also eine Botschaft speziell für junge Männer wie Attila, die sich noch nicht ganz vom traditionellen orientalischen Verständnis der Geschlechterrollen, das sie vorgelebt bekamen, befreit haben. Zugleich steuert er auch recht bald auf einen regelrechten Krimi zu. Am Schluss wartet er mit einer großen Überraschung auf. Die Inszenierung mag immer wieder etwas hölzern anmuten, aber die Aussage ist klar und von zeitloser Wichtigkeit: Jeder Mensch mit Verantwortung sollte wachsam und selbstkritisch sein, um Fehler mit ungeahnten Folgen zu vermeiden.

Égalité (2021)

Nach einer scheinbar ungefährlichen Mandeloperation wacht die vierzehnjährige Leila blind auf. Keiner der Ärzte kann sich erklären, wie dies möglich ist. Leilas Vater Attila ist verzweifelt. Er glaubt, dass es sich dabei um einen Ärztepfusch handelt und gerät innerhalb weniger Tage in eine emotionale Abwärtsspirale. Die Familie entfremdet sich zusehends und Attila trifft eine folgenschwere Entscheidung, um die Wahrheit zu erfahren… 

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