Blind

Eine Filmkritik von Lida Bach

Warte, bis es dunkel ist

Manche sind geboren für die ewige Nacht. Eine von ihnen ist Min Soo Ah. „Tag und Nacht sind für mich das Gleiche“, beschreibt die junge Heldin (Kim HaNeul) von Ahn Sang-hoons nervenzehrendem Psychothriller Blind die Finsternis, die neben ihrem Blick ihre Seele verdunkelt. Ein Autounfall, bei dem sie vor drei Jahren den Tod ihres Kindheitsfreundes Dong-hyun verschuldete, ließ die ehemalige Polizeischülerin erblinden. Mit der Behinderung hat sie inzwischen umzugehen gelernt, nicht jedoch mit den quälenden Schuldgefühlen.
Die Selbstvorwürfe sind der Grund, dass Soo Ah in einer regennassen Nacht lieber an einer einsamen Bushaltestelle wartet statt sich nach Hause bringen zu lassen, und in ein Taxi steigt – oder den Wagen, den sie für eines hält. Nur durch Zufall entrinnt sie dem zudringlichen Fahrer, in dem die Blinde einen gesuchten Serienmörder zu erkennen glaubt. Doch Choi Min-suk und Andy Yoon spinnen den konventionellen Anfang, an dem auch der Regisseur mitwirkte, zu einem ausgefeilten Krimigarn weiter und folgen dabei dem Handlungsfaden von Terence Youngs Genre-Klassiker Wait until Dark. Die koreanische Neuauflage beginnt mit einem beklemmenden Prolog, der den Tod Dong-hyuns als Verknüpfung unglücklicher Umstände zeigt. Die Dunkelheit, die in Blind wiederholt die Sicht des Zuschauers einschränkt und ihn so unmittelbar die Lage der Protagonistin nachfühlen lässt, ist zuerst das künstliche Dunkel eines Tanzclubs. Doch draußen lauert bereits die richtige Nacht und jene psychologische Düsterkeit, die den gepflegten Serienmörder-Streifen beherrscht.

In dem Club ertappt die ehrgeizige Soo Ah ihren Kindheitsfreund auf frischer Tat: beim verbotenen Ausgehen. Um ihm eine Lektion zu erteilen, fesselt sie ihn mit Handschellen an den Wagen. Die Konsequenzen sind tödlich, als Soo Ah ihn später aufgrund ihrer eigenen Verletzung nicht rechtzeitig aus dem Unfallauto befreien kann. Der Sprung in die Gegenwart zeigt die verschlossene Hauptfigur als einen Menschen, der in mehrerer Hinsicht von der Vergangenheit gezeichnet ist. Ihr engster Gefährte ist nun ihr Blindenhund. Seine Hilfe ist die einzige, die Soo Ah zulassen kann. Oberflächlich erscheint die Verweigerung jeder Assistenz als eine Mischung aus trotzigem Stolz und Unabhängigkeitsbeweis. Dahinter jedoch versteckt die nuancierte Heldin genau die entgegengesetzten Gefühle, nämlich Selbstbestrafung und Zwanghaftigkeit. Ihrer Versehrung empfindet die frühere Polizeianwärterin, die sich unbewusst danach gesehnt zu haben scheint, ihren Karriereweg bei der Suche nach dem Mörder privat weiterzugehen, als gerechte Strafe für ein persönliches und berufliches Versagen. Niemand darf durch Beistand diese Strafe lindern, auch nicht Soo Ahs Mutter, in deren Blindenschule sie aufwuchs.

Der familiäre Hintergrund lässt die Erblindung als grausame Ironie erscheinen. Ihre Dämonen vereinen sich in der Figur des psychopathischen Autofahrers (Yang Young-jo), der Soo Ah nachts mitnimmt. Soo Ah berichtet ihr Erlebnis der Polizei, doch Detective Jo (Jo Hie-Bong) traut den Worten der Blinden so wenig wie ihren Augen. Blind lässt jedoch auch die Protagonistin selbst stur abstreiten, dass der Lieferjunge Kwon Gi-Sub (Yoo Seung-Ho) etwas wahrgenommen haben könnte, das ihr entging. Umso empfänglicher ist sie für die Ähnlichkeit des Jugendlichen zu ihrem „kleinen Bruder“ und sorgt somit indirekt dafür, dass sich der Fokus des Mörders mit tödlicher Entschlossenheit auf die beiden einzigen Zeugen richtet. Statt Youngs Werk nachzuahmen, versucht Blind einen eigenen Suspense-Stil in Einklang mit dem der zeitgenössischen asiatischen Kriminalthriller zu schaffen. Den inszenatorischen Stil des amerikanischen Originals, der sich auf das klaustrophobische Apartment-Setting der von Audrey Hepburn verkörperten Hauptfigur konzentrierte, krempelt die Neuverfilmung von innen nach außen.

Das Straßennetz und städtische Verkehrssystem werden zu einem kalten Betonlabyrinth voller unsichtbarer Gefahren, von denen der Killer nur eine ist und nicht so heimtückisch wie die unberechenbaren Zufälle, die Täter und Opfer des raffinierten Psychokrimis zusammenführen.

Blind

Manche sind geboren für die ewige Nacht. Eine von ihnen ist Min Soo Ah. „Tag und Nacht sind für mich das Gleiche“, beschreibt die junge Heldin (Kim HaNeul) von Ahn Sang-hoons nervenzehrendem Psychothriller „Blind“ die Finsternis, die neben ihrem Blick ihre Seele verdunkelt. Ein Autounfall, bei dem sie vor drei Jahren den Tod ihres Kindheitsfreundes Dong-hyun verschuldete, ließ die ehemalige Polizeischülerin erblinden.
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