Bis aufs Blut

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Zupackende Milieustudie

„No Future“, so lautete in den 1980ern der Schlachtruf der Punkbewegung. Anscheinend hat sich seitdem nicht allzu viel geändert. Zumindest, wenn man das Lebensgefühl der Jugendlichen in Oliver Kienles Diplomfilm ernst nimmt. Beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken gewann die authentische Milieustudie einer Hip-Hop-begeisterten Generation drei Preise, darunter den Publikumspreis und die Auszeichnung der Schülerjury.
Dass der Film insbesondere junge Leute begeistert, hat seinen Grund. Regisseur Oliver Kienle ist Jahrgang 1982 und offensichtlich noch nah dran an den Erinnerungen an seine Jugend in und um Würzburg. Bis aufs Blut kommt schnell, laut und aggressiv daher. Er zielt auf die Emotionen von jenen, die nach dem Motto leben, „du hast keine Chance, also nutze sie“. So wie Tommy (Jacob Matschenz) und Sule (Burak Yigit). Die Freunde halten wie Pech und Schwefel zusammen, fühlen sich als Brüder. Und das umso mehr, weil in Sachen Familie bei beiden wenig läuft. Tommy, der noch aufs Gymnasium geht, kommt mit seiner alleinerziehenden Mutter schon lange nicht mehr klar. Der türkischstämmige Sule hat seine Ausbildung abgebrochen und schlägt sich als Einzelkämpfer durch, der niemandem außer Tommy traut.

Gemeinsam dealen die beiden mit „Gras“, sind fast immer bekifft und machen am liebsten Party mit einer Clique anderer Underdogs, die ebenso wenig zu verlieren haben. Das ist ein actionreiches Leben, in dem der Umgangston rau und Gewalt an der Tagesordnung ist. „Du hast ein Aggressionsproblem“, sagt Sule einmal im Spaß zu Tommy. Treffender könnte man es nicht formulieren. Die gesamte Clique vibriert geradezu in ihrer ständigen Bereitschaft, beim kleinsten Anlass total auszuflippen.

Die spätpubertäre Mischung aus Lust und Frust spiegelt sich eins zu eins in einer zupackenden Filmsprache, die mit witzigen Schnitten und videoclip-artigen Einlagen unter die Haut geht. Die Stärke dieses Films – sein emotionaler Sog – bedeutet aber zugleich, dass dem Zuschauer, der nicht von demselben jugendlichen Hormonaufruhr heimgesucht wird, einiges zugemutet wird. Er findet sich sozusagen mittendrin in der manchmal recht nervigen Gefühlswelt von Losern, die aus den verschiedensten Gründen ganz schön kaputt sind.

Aber halt, das mit den Losern stimmt nicht ganz. Eigentlich ist nämlich Schluss mit dem Außenseiterleben, seitdem Tommy wegen der Dealerei sechs Monate im Knast gesessen hat. Nun schwört er sich, mit den Drogen aufzuhören. Außerdem will er seine Freundin Sina zurückgewinnen, die die Männerfreundschaft schon seit längerem auf eine harte Probe stellt.

Von einer manchmal etwas süßlichen Lovestory bis hin zu einem grob angerissenen Mutter-Sohn-Konflikt hat Regisseur Kienle einiges hineingepackt in sein Coming-of-Age-Drama, das jedoch nie in eine bloße Sozialstudie abgleitet. Wirklich gelungen ist ihm dabei vor allem die Geschichte einer Freundschaft zweier ungleicher junger Männer. Deren Figuren sind spannungsreich herausgearbeitet, glänzend gespielt und nie berechenbar. In den vielen Brüchen und Wendungen dieser ebenso tiefen wie problematischen Bindung spiegeln sich Erfahrungen, mit denen sich auch postpubertäre Zuschauer identifizieren können. Vor allem, wenn sich herausstellt, dass der Verzicht auf die Zukunft vielleicht doch keine so gute Idee war.

Bis aufs Blut

„No Future“, so lautete in den 1980ern der Schlachtruf der Punkbewegung. Anscheinend hat sich seitdem nicht allzu viel geändert. Zumindest, wenn man das Lebensgefühl der Jugendlichen in Oliver Kienles Diplomfilm ernst nimmt. Beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken gewann die authentische Milieustudie einer Hip-Hop-begeisterten Generation drei Preise, darunter den Publikumspreis und die Auszeichnung der Schülerjury.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Michael Müller · 24.08.2010

Ich war gerade eben in diesem Film (Überraschungs-Vorstellung) und muss sagen, dass dieser Film mich sehr beeindruckt hat. Und das hat in den letzten Monaten sonst kein Film geschafft.
Er war sehr spannend, interessant und emotional.
Ich habe mal wieder richtig mitgefiebert.
Das traurige an dem Film ist, dass er schonungslos die Probleme der heutigen Teenager zeigt und das ist bittere Realität.

Von der Handlung möchte ich nicht viel verraten: Aber dieser Film lohnt sich absolut.

Als Sahnehaube gibt es einige Lacher :)