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In „Die Verlorenen“ wirft uns Tomasz Wasilewski in eine abgeschiedene Welt, in der die völlige Entfremdung herrscht.

Die Verlorenen (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Hier stimmt was nicht

In seinem zweiten Spielfilm „Tiefe Wasser“ (2013) erzählte der polnische Drehbuchautor und Regisseur Tomasz Wasilewski, Jahrgang 1980, von einem Leistungsschwimmer, der mit einer Frau liiert ist, sich dann aber in einen Mann verliebt – und von Homophobie umgeben ist, unter anderem in Gestalt seiner dominanten Mutter. Wasilewski setzte die Stadt Warschau als triste, betongraue Vorhölle in Szene. Unerwartete Szenenauflösungen und -abbrüche sorgten für Irritationen und machten deutlich, dass sich die Welt des Protagonisten in einer extremen Schieflage befindet.

Auch in Wasilewskis neuem Werk Die Verlorenen wird von Anfang an ein Gefühl des Unbehagens erzeugt. Während die Konflikte in Tiefe Wasser indes recht klar zu erkennen waren, wirkt dieser Film über weite Strecken wesentlich kryptischer – bis wir gegen Ende erfahren, weshalb hier alles so seltsam verschoben und befremdlich anmutet. Das ist für uns als Zuschauer:innen gewiss eine ziemliche Herausforderung, da eine Nähe zu den Figuren ausbleibt. Als dramaturgisches und audiovisuelles Konzept, um sich mit einem sehr schwierigen Thema zu befassen, ist diese Methode allerdings durchaus bemerkenswert.

In der Eröffnungssequenz sehen wir die Hebamme Marlena (Dorota Kolak) und ihren jüngeren Partner Tomasz (Lukasz Simlat) zusammen im Bett. Intimität und Nähe sind ganz zwangsläufig gegeben – und doch stellt sich von Anfang an eine spürbare Distanz zwischen uns und den gezeigten Personen ein. Verursacht wird diese unter anderem durch das eher unübliche Bildformat 3.10:1, in dem der rumänische Kameramann Oleg Mutu, der bereits mit Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage) zusammengearbeitet hat, das Geschehen einfängt. Alles scheint irgendwie eigenartig kadriert.

Die Außenwelt hat ebenfalls etwas Unwirkliches. Das Paar wohnt an der Küste. In manchen Einstellungen wirkt es so, als befände sich die Wohnung mitten auf dem Wasser im Nirgendwo; der Himmel im Hintergrund sieht erstaunlich unecht aus. Trotz dieser Aussichten in die Ferne sind die Innenräume von einer klaustrophobischen Stimmung geprägt.

Die Beziehung zwischen Marlena und Tomasz gerät in eine Krise, als Marlena ihren bettlägerigen erwachsenen Sohn Mikolaj (Tomasz Tyndyk) aufnimmt, um ihn zu pflegen. „Ich werde ihn nicht noch einmal verlassen“, sagt sie zu Tomasz. Die Hintergründe, weshalb Marlena Mikolaj in einem Heim zurückgelassen hat, bleiben im Dunkeln. Beim Transport des stummen jungen Mannes durch das enge Treppenhaus, bei der mühsamen Pflege, die Marlena rasch an ihre Grenzen treibt, oder auch bei den unharmonischen, oft verstörenden Treffen mit Marlenas Tochter Magda (Katarzyna Herman) fühlen wir eine tiefe Belastung.

Was hat diese Figuren in diese kaum zu ertragende Düsternis geführt? Warum scheinen sie keine Worte zu finden, um ihren Zustand zu beschreiben? Und weshalb nimmt sich ihre ganze Welt so irreal aus? Die Antwort darauf liefert uns Wasilewski in den letzten Minuten – und lässt uns beklommen zurück. Die Verlorenen ist kompromissloses Kino, das schmerzt, weil es schmerzen muss, um dem gewählten Sujet gerecht zu werden.

Die Verlorenen (2022)

Marlena und ihr um einige Jahre jüngerer Partner Tomasz leben in einem einsamen Haus an der See, glücklich miteinander und dem Leben in ihrer abgeschiedenen Welt. Ihr Alltag wird auf den Kopf gestellt, als Marlena gegen Tomeks Willen beschließt, ihren (entfremdeten, nun) schwerkranken Sohn Mikolaj bei ihnen einziehen zu lassen. Nicht nur die aufreibende Pflege wirft bald schon einen Schatten auf ihre Beziehung: mehr und mehr kommen mit dem Einzug Mikolajs familiäre Geheimnisse ans Licht, die viele Jahre verborgen waren. (Quelle: eksystent)

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