Tiefe Wasser (2013)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Schöne im Hässlichen

In der US-Independentmovie-Szene sind in den letzten Jahren einige Werke entstanden, die sich dem sogenannten „New Wave Queer Cinema“ zuordnen lassen: Filme wie Weekend (von Andrew Haigh) und I Want Your Love (von Travis Mathews) problematisieren die Queerness ihrer Protagonisten nicht, sondern gehen ganz und gar selbstverständlich mit ihr um, sodass andere Themen fokussiert werden können. In Tiefe Wasser entwirft der polnische Drehbuchautor und Regisseur Tomasz Wasilewski indes ein sozialdramatisches Szenario, wie es in ähnlicher Form auch in Stephan Lacants Freier Fall angelegt ist: Ein Mann, liiert mit einer Frau, verliebt sich in einen anderen Mann – und sieht sich von Homophobie umgeben.

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Der junge Leistungsschwimmer Kuba (Mateusz Banasiuk) lebt mit seiner Freundin Sylwia (Marta Nieradkiewicz) bei seiner dominanten Mutter Ewa (Katarzyna Herman). Er liebt Sylwia, lässt sich aber auf rein sexuelle Begegnungen mit Männern ein. Als er den Studenten Michal (Bartosz Gelner) auf einer Vernissage kennenlernt, entwickelt Kuba erstmals tiefere Gefühle für einen Mann – und wünscht sich bald, eine Beziehung mit Michal eingehen zu können. Sylwia ist jedoch nicht bereit, Kuba kampflos aufzugeben – und auch Ewa verfolgt andere Pläne für ihren Sohn.

Tiefe Wasser ist ohne Frage ein wirkmächtiges Werk. Die Stadt Warschau wird darin mit ihren Wolkenkratzern und Wohnblöcken, Parkhäusern und U-Bahn-Stationen, Straßenüber- und -unterführungen zu einem tristen, grauen Beton-Purgatorium. Befinden sich die Figuren im Außenraum, lehnen sie sich oft gegen kahle Wände – während in den nicht minder unbehaglichen Innenräumen häufig hässliche weiße Kacheln oder ungleich hässlichere Tapeten den Hintergrund bilden. In einigen wenigen Situationen demonstriert Wasilewski allerdings, dass ein locus terribilis in Gesellschaft der richtigen Person ohne Weiteres zum locus amoenus werden kann. So sind eine nächtliche Autofahrt durch die Etagen einer Parkgarage (sowie der Morgen danach) und ein Güterzug-Trip ohne konkretes Ziel Momente der Poesie und Romantik, die Kuba und Michal ihrem unschönen Umkreis abtrotzen.

Ferner schlägt der Film durch manch ungewöhnliche Szenenauflösung und manch unerwarteten Szenenabbruch in seinen Bann. Das Zusammenspiel von Kamera und Schnitt erzeugt Irritation (einen emotionalen Zustand, in den uns das Kino mit seinen mannigfachen audiovisuellen Möglichkeiten immer wieder versetzen kann, soll und muss); zudem hat auch die überwiegend elektronische Musik eine gehörige Sogwirkung. Spätestens wenn auf einer (natürlich ziemlich trostlosen) Parkdeck-Party der Song I Feel You von Depeche Mode erklingt, ist man Wasilewskis Werk verfallen.

Man kommt gleichwohl nicht umhin zu bemerken, dass Tiefe Wasser dramaturgisch überladen ist. Statt sich auf die Love-Triangle-Story zwischen Kuba, Sylwia und Michal zu konzentrieren, wartet der Film mit einem weiteren, ebenso diffizilen Beziehungsdreieck zwischen Kuba, Sylwia und Ewa auf, in dem die beiden Frauen in der engen Wohnung (zunächst) um Kubas Gunst konkurrieren. Weitere Konfliktherde sind die Schwimmhalle, in der Kubas Trainer Hochleistung und Disziplin fordert, sowie Michals Elternhaus, in dem das Coming-out des jungen Mannes auf wenig Einfühlungsvermögen stößt. Zu dem Kritikpunkt der Überfrachtung kommt noch hinzu, dass Sylwia und Ewa in ihrem Verhalten zunehmend unglaubwürdiger werden, bis sie irgendwann nur noch fies, geradezu monströs erscheinen. Dank der hingebungsvollen Schauspieler verliert der Film dennoch nicht an Reiz – und lässt den Zuschauer schließlich, nach einem drastischen Finale, verstört zurück.
 

Tiefe Wasser (2013)

In der US-Independentmovie-Szene sind in den letzten Jahren einige Werke entstanden, die sich dem sogenannten „New Wave Queer Cinema“ zuordnen lassen: Filme wie „Weekend“ (von Andrew Haigh) und „I Want Your Love“ (von Travis Mathews) problematisieren die Queerness ihrer Protagonisten nicht, sondern gehen ganz und gar selbstverständlich mit ihr um, sodass andere Themen fokussiert werden können.

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