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Ein gebrechlicher Ex-Rodeo-Held soll einen mexikanischen Teenager zu seinem Vater in die Vereinigten Staaten bringen. Ähnlich wie in seiner vorletzten Regiearbeit „The Mule“ unternimmt Clint Eastwood eine Reise, auf der es manchmal holpert, die aber mit einer erfrischenden Unaufgeregtheit gesegnet ist.

Cry Macho (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Der ewige Cowboy

Erstmals aufgefallen durch die Fernsehserie Tausend Meilen Staub alias Rawhide und zum internationalen Kinostar aufgestiegen mit Sergio Leones berühmter Dollar-Trilogie – seit seinen Karriereanfängen in den 1950er Jahren ist Hollywood-Veteran Clint Eastwood aufs Engste mit dem Westerngenre verbunden. Zu seinen zahlreichen – oft wortkargen – Cowboy-Figuren gesellt sich nun auch der Ex-Rodeo-Held Mike Milo, den der selbst im hohen Alter noch immer umtriebige Filmemacher in „Cry Macho“, seiner Adaption des gleichnamigen Romans von N. Richard Nash, verkörpert. Wie in „Der Fall Richard Jewell“ und „The Mule“, den beiden letzten Regiearbeiten Eastwoods, gehen darin gelungene und missratene Momente Hand in Hand.

Ein Westerngefühl kommt schon in den ersten Sekunden auf, wenn – wir schreiben das Jahr 1979 – Mike in seinem alten Pick-up unter den Klängen des von Will Banister gesungenen Countrysongs Find a New Home auf der Ranch seines Arbeitgebers Howard Polk (Dwight Yoakam) vorfährt. Der Titel des Lieds deutet dabei schon ein wenig an, was dem von der Zeit gezeichneten Mike bevorsteht, der im Büro seines Chefs unverhofft erfährt, dass seine Dienste nicht mehr gewünscht sind. Unzuverlässig sei er geworden nach einem zunächst nicht näher erläuterten Unfall (seine Frau und sein Sohn kamen, wie wir später erfahren, ums Leben). Zu sehr spreche er dem Alkohol zu. Und generell brauche es frisches Blut. So die Erklärungen, die der Geschasste – von Eastwood-Figuren kennt man das – stoisch aufnimmt. Eine bissige Bemerkung zum Abschluss, und dann dampft Milo ab.

Genau ein Jahr später ringt ihm ausgerechnet Polk einen delikaten Gefallen ab, der erstmals die wackelige und behauptet wirkende Konstruktion des Drehbuchs von Nick Schenk und Vorlagenautor Nash zu Tage treten lässt. Milo soll Howards Teenagersohn Rafael (Eduardo Minett), der bei seiner Mutter Leta (Fernanda Urrejola) in Mexiko-Stadt lebt und dort unter Misshandlungen zu leiden hat, in die Vereinigten Staaten bringen. Der Auftrag klingt wie eine Variation der Prämisse von Rambo: Last Blood. Im Gegensatz zu Sylvester Stallone, der zu einem stumpfsinnigen Ein-Mann-Feldzug aufbricht, hält sich Eastwood aber – schließlich hat er 16 Jahre mehr auf dem Buckel – deutlich zurück. 

Zu den nicht wenigen Ungenauigkeiten und Widersprüchen des Skripts gehört auch, dass Mike mehrfach zu hören bekommt, wie schwierig es sei, Rafael zu finden und ihn zum Mitkommen zu bewegen. Gleich zwei vor ihm entsandte Männer sind daran offenbar gescheitert. Dem greisen Pferdefreund gelingt es dann allerdings spielend leicht, den Jungen ausfindig zu machen, und hat ihn mit dem Versprechen auf ein echtes Cowboyleben sofort an der Angel. Dumm nur, dass Leta keineswegs bereit ist, ihren Sohn einfach so von dannen ziehen zu lassen. Zum Ausdruck bringt sie dies in einer Szene, die mit ihrem Fremdschamfaktor an einige Abschnitte in The Mule erinnert. Warum die junge Frau versuchen muss, Mike, der locker ihr Großvater sein könnte, ins Bett zu lotsen, bleibt wohl auf ewig das Geheimnis der Autoren. Über seine Abfuhr augenscheinlich erzürnt, schmeißt sie den alten Mann aus dem Haus und befiehlt ihrem Handlanger Aurelio (Horacio Garcia Rojas), ihn zu verfolgen. Als Milo die mexikanische Metropole längst wieder verlassen hat, entdeckt er auf seiner Rückbank Rafael samt seinem geliebten Kampfhahn Macho.

Damit beginnt ein recht ungewöhnlicher Roadtrip, der Bedrohungssituationen zwar andeutet, sie aber, wenn überhaupt, nur kurzzeitig konkretisiert. Spannung, wie man sie angesichts der Ausgangslage erwarten könnte, erzeugt Cry Macho nicht. Gefahren lösen sich vielmehr schnell in Luft auf. Oft sind kleine Ablenkungsmanöver ausreichend, um Widersacher auf den falschen Weg zu führen. Wenn man so will, passt Eastwood seine Geschichte den eigenen Möglichkeiten an. Als über 90-Jähriger ist er nämlich nicht mehr gemacht für die Rolle des zupackenden Actionhelden – auch wenn er an einer Stelle die Fäuste sprechen lässt. 

Ein Stirnrunzeln ruft das Roadmovie immer dann hervor, wenn es seinen einfach gehaltenen Plot vorantreiben muss. Wendepunkte und Richtungswechsel sind derart ungelenk in das Geschehen eingefädelt, dass sie regelmäßig negativ hervorstechen. Hier und da – das war in The Mule nicht anders – vergreifen sich die Macher im Ton. Beispielsweise, als Mike und Rafael über einen Vergewaltigungsvorwurf fabulieren. In manchen Situationen lässt Eastwood den alten, betont provokanten Grantler raushängen. Und leider kann sich der Film einige Mexikoklischees – Stichwort: Schmiergeld – nicht verkneifen.

Das alles klingt nach einem Rohrkrepierer. Ungeahnte Kraft entfaltet Cry Macho aber in den Momenten, in denen die Handlung stillsteht, in denen die Figuren Zeit haben, ihre Gedanken schweifen zu lassen und in denen sich eine milde Melancholie über die Bilder der staubigen Wüstensettings legt. Die Figur Rafaels erhält sicherlich nicht genug Entfaltungsraum. Und doch ist es berührend, die erwartbare Annäherung zwischen ihm und Mike zu beobachten. Gerade im Mittelteil gibt es eine ausgedehnte Passage, die ein wärmendes Gefühl der Gemeinschaft beschwört. Häufig sind es dabei flüchtige Blicke oder kleine Gesten, etwa die Hand eines gehörlosen Mädchens auf Milos zerfurchter Pranke, die zu Herzen gehen und einen anderen, weichen, empfindsamen Eastwood zeigen. 

Die Unterhaltungen zwischen dem Ex-Rodeo-Reiter und Rafael über Stärke und Männlichkeit dringen keineswegs in die Tiefe vor. An einem Punkt horcht man allerdings unweigerlich auf: „Das ganze Machogehabe wird überbewertet“, konstatiert Mike und fügt an, dass man erst spät im Leben begreife, wie wenige Antworten man wirklich kenne. Der Regisseur und Hauptdarsteller scheint hier – eine weitere Parallele zu The Mule – auch über seine eigene Karriere und sein Image zu sprechen. Angenehm selbstironisch begegnet Eastwood überdies seinem Alter bzw. dem Alter des Protagonisten, der sich mehr als einmal zurücklehnt, um ein Nickerchen zu machen. Wer will es ihm verdenken!?

Cry Macho (2021)

Clint Eastwood spielt Mike Milo, einen ehemaligen Rodeo-Star und gescheiterten Pferdezüchter, der 1979 im Auftrag seines Ex-Bosses nach Mexiko reist, um dessen kleinen Sohn nach Hause zu bringen. Weil das ungleiche Paar den Heimweg nach Texas über Nebenstraßen zurücklegen muss, entpuppt sich die Reise als überraschend beschwerlich. Und doch gelingt es dem desillusionierten Pferdefreund, unterwegs unerwartete Verbindungen zu knüpfen – und seinen eigenen Seelenfrieden zu finden.

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