As Time Goes by in Shanghai

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Die älteste Jazzband der Welt

Durchschnittsalter: 76 Jahre. Das Zertifikat weist sie als Guinness-Weltrekordler aus: Die älteste Jazzband der Welt. Wöchentlich spielen sie im Peace Hotel in Shanghai: Ein Hobby zum Abschalten und Relaxen. Denn die Opas – nein, man muss sagen: Ur-Opas der „Old Peace Jazz Band“ wissen, das man nicht nur zuhause rumsitzen darf. Und sie wissen: Den Jazz, den kann man nicht nur als Job ausüben, dafür braucht man Leidenschaft.
Seit vielen Jahrzehnten sind sie Musiker, sie gehören noch der ersten Generation der chinesischen Jazzer an. Nach der Befreiung von den Japanern, in der Goldenen Zeit Shanghais, als überall amerikanische Filme, amerikanische Musik und amerikanische Bands spielten, als es an jeder Ecke einen Ballroom gab, da haben sie angefangen. Bis 1953. Mit Maos Kulturrevolution wurde der amerikanische Einfluss hinausgedrängt, westliche Musik von Jazz bis Klassik verboten. Eine bittere Zeit des heimlichen Musikhörens und des heimlichen Musikspielens, eine Zeit, in der ein Jazzmusiker mit allerlei Schikanen bis hin zur Deportation zu rechnen hatte. Eine Zeit, an die sich die Jazzmusiker des Peace-Hotels ungern erinnern: Sie blicken lieber nach vorne. Denn sie wurden eingeladen, zum Rotterdamer North Sea Jazz Festival. Eine Reise nach Europa!

Uli Gaulke porträtiert uralte Jazzer, die mit Routine und Leidenschaft dabei sind; er schildert das Auf und Ab der chinesischen Kultur, die sich 1976 erst wieder dem Westen geöffnet hat; er beschreibt die ultramoderne Metropole Shanghai in faszinierenden Stadtporträts; und legt seinen Film hinein in die altmodische, gediegene, liebevoll gespielte, eingängige Musik „seiner“ Band.

Sie sind keine Spitzenjazzer. Ihr Spielstil ist aus der Mode. Die Jazzstandards stammen aus der Zeit, als sie jung waren. Genau das macht ihre Besonderheit aus: Sie sind alt, die Musik ist alt. Aber sie sind lebendig. Und sie wissen: Wer den Jazz spielt, darf sich nicht ernst nehmen. Ihre kleinen Frotzeleien am Rande sind Gold wert: Und die Aussicht auf einen Auftritt fernen, fremden Europa beflügelt sie zusätzlich. Nur nicht zuviel proben, die Langnasen werden es schon gut finden! Tatsächlich: Dort, in Holland, sitzen die Frauen im Schaufenster, und man kann sie mieten! Noch besser: In Ostdeutschland sitzen sie in der Badewanne, nackend, sichtbar für alle! Die alten Zauseln haben sich jugendliche Vitalität und Witz bewahrt, das ist sicher. Und Gaulke ist ihnen nahe genug, um diesen Witz mitzunehmen – sein Film profitiert enorm von diesen Protagonisten.

Es ist die Geschichte eines Wegs, der das Ziel ist. Eine wahrscheinlich letzte große Erfahrung für fünf Musiker; ein Anlass für wehmütige, aber nicht sehnsüchtige Blicke zurück, in die Vergangenheit, als man jung war und wild und als der Jazz die große Zukunft war. Inzwischen wurde der Jazz Teil ihrer langen Biographien, die Einladung ins Ausland ist die Chance, auch in der Heimat (wieder) eine größere Anerkennung zu erlangen. Exportieren und Re-Importieren, so nennt es ihr Manager. Gaulke beschreibt diesen Weg auf überaus sinnliche Weise, mit der Musik, die sie machen, und mit den Bildern, die er findet von einer hypermodernen Stadt, die er auf magische Weise harmonisiert mit den altmodischen Klängen. Der Rhythmus des Schnitts, das Fließende der Kamera geben dem Film die Qualität, die auch die Musik der ältesten Jazzband der Welt ausmacht, eine sanfte, traurige und hoffnungsvolle, zeitlose und angenehme Sanftheit.

As Time Goes by in Shanghai

Durchschnittsalter: 76 Jahre. Das Zertifikat weist sie als Guinness-Weltrekordler aus: Die älteste Jazzband der Welt. Wöchentlich spielen sie im Peace Hotel in Shanghai: Ein Hobby zum Abschalten und Relaxen. Denn die Opas – nein, man muss sagen: Ur-Opas der „Old Peace Jazz Band“ wissen, das man nicht nur zuhause rumsitzen darf. Und sie wissen: Den Jazz, den kann man nicht nur als Job ausüben, dafür braucht man Leidenschaft.
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Meinungen

Martin · 31.10.2013

Ich habe das Projekt damals auf Kickstarter unterstützt. Bin sehr gespannt was dabei rausgekommen ist. Liest sich gut.