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In seinem Spielfilmdebüt begleitet der Musiker und Filmemacher Baloji einen Mann, der einige Monate vor der Geburt seines ersten Kindes aus Belgien in den Kongo zurückkehrt. In seiner Familie entfalten sich vier separate Geschichten über unsichere Identitäten und Vergebung.

Omen (2023)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Anders leben ist Zauberei

Die Geschichte des Heimkehrers gehört längst zum Standardrepertoire für junge Filmemacher und Debütanten. Eine Coming-of-Age-Erzählung in dünnem Mäntelchen, die den Erinnerungsraum der Kindheit mit den Augen des Gereiften neu entdeckt. Dieser Blick ist erfüllt von Hass und Liebe; es hat Gründe, warum man gegangen ist, und natürlich auch Gründe, warum man gerne geblieben wäre. Die Erzählungen ähneln sich dabei immer, egal ob die Erzählenden aus Kensington, Krefeld oder Kinshasa stammen. Was Liebe und Hass verbindet ist, dass sie zur Handlung nötigen. Die Intensität der Gefühle kann die Dinge nicht lassen, wie sie sind, sondern verformt sie. In den mythischen Raum der Kindheit können wir nicht zurückkehren, so wird als Ausgleichshandlung auch die Gegenwart verzerrt und überhöht.

Ein Paradebeispiel dafür stellt Omen dar. Ein Film, der weniger den Kongo als vielmehr eine Idee des Kongos präsentiert. Der Musiker und Filmemacher Baloji wurde in der Millionenstadt Lubumbashi geboren und zog bereits als Kind mit seinem Vater nach Belgien, während seine Mutter zurückblieb. Ähnlich erging es Koffi (Marc Zinga) – der Figur, die den Zuschauer eingangs in den Film und in den Kongo begleitet.

Seine Freundin Alice (Lucie Debay) ist mit ihrem ersten Kind schwanger und die Tradition verlangt einen Besuch bei der Familie, verbunden mit einer großen Geldzahlung. Koffi wird, all seinen Bemühungen zum Trotz, wenig freundlich empfangen. Er hat fleißig Swahili gelernt und sogar seine Afro-Frisur rasiert, doch wegen eines Geburtsmals sieht ihn die Verwandtschaft als Diener finsterer Mächte – selbst seine Mutter Mujila (Yves-Marina Gnahoua). Als wären Familienfeste nicht schon von sich aus schlimm genug.

Die Feste und Zusammenkünfte präsentiert der Regisseur mit dem Szenenaufbau von Culture-Clash-Komödien und der Stimmung eines Horrorthrillers. Balojis Version der zentralafrikanischen Republik ist eine Projektion, für die er sich etwa vom Mardi Gras in New Orleans oder dem belgischen Karneval hat inspirieren lassen. Alles ist bunt und chaotisch, die Straßen sind voll von pulsierendem Leben und pittoresker Exotik. Ein nivellierender Blick, der kaum noch zwischen Bandenkrieg und Volksfest unterscheiden kann.

Der Regisseur hat zuvor bereits Musikvideos inszeniert, viele der Schauplätze haben die Strahlkraft von Videoclip-Kulissen. Stellenweise wurden sogar Drehorte aus seinem letzten Musik-Kurzfilm Zombies wiederverwertet. Doch sein Langfilm bewegt sich nie mit dem Rhythmus von Musik. Er entwickelt keine klare Vorwärtsbewegung, sondern mäandert ruhig, fast bedächtig, von Sequenz zu Sequenz. Die assoziative Bildsprache gleicht sich nie ganz der Geschwindigkeit des Lebens an, das sie begleitet. Immer wieder unterbrechen lang gehaltene Einstellungen oder langsame Überblendungen den Fluss. Matte Melancholie relativiert den Exzess, der in vielen Einzelaufnahmen angelegt ist. So beherrscht eine eigentümliche Spannung den Film – als würde bei einem Auto gleichzeitig Vollgas gegeben und das Bremspedal durchgedrückt. Die Empfindung, entkommen zu wollen (dem Land, der Tradition, sich selbst), übertragen in eine frustrierende Form.

Koffi ist nicht der alleinige Protagonist. Seine Geschichte ist nur eine unter vielen, so soll eine Art Gesellschaftsquerschnitt entstehen. Der Film ist in vier Kapitel und einen Epilog gegliedert, und begleitet über ein Osterwochenende hinweg verschiedene Figuren aus seinem erweiterten Umfeld. Etwa seine jüngere Schwester Tshala (Eliane Umuhire). Eine moderne Frau, die im traditionsbewussten Kongo nie ganz glücklich geworden ist und sich mit den Nachwirkungen einer offenen Beziehung herumschlagen muss.

Oder Paco (Marcel Otete Kabeya), der schon in jungen Jahren in blutige Straßenschlachten verwickelt ist. Und auch Koffis Mutter bekommt im letzten Kapitel endlich Raum, um sich zu entfalten; sie ist mehr als das kalte, verhuschte Schattenwesen, als das sie ursprünglich porträtiert wird.

Die Beziehungen zwischen den Figuren bleiben oft etwas nebulös. Vieles wird externalisiert und soll anhand von Tänzen, Riten und überdesignten Protzbildern vermittelt werden. Doch die Übergänge zwischen dem Elliptischen und dem Sprachlosen sind fließend. In seiner Abstraktion wirkt der Film oft beliebig. Bunt, aber blass.

Die Abwesenheit einer klaren Struktur sorgt nicht automatisch für einen freien Film – oft gibt man sich dann einfach den hervorstehenden Erzählmustern des Zeitgeists hin. So fällt die Experimentierfreude von Omen schnell vertrauten Arthouse-Konventionen anheim. Ein vager Universalismus, der kein wirkliches Interesse an den Erfahrungswelten von Individuen hat. Was sich surrealistisch gibt, ist eigentlich nicht am Unbewussten oder Träumerischem interessiert, sondern an vertrauten öffentlichen Vorstellungen und einem Zustand lähmender Wachheit.

So werden die auf dem Papier sicher komplexen Figuren dem Zuschauer zum Fraß vorgeworfen. Erlösungserzählungen brauchen die Sünde, aber es fällt schwer, auch nur die sanftesten Gesten der Annäherung gegen Ende des Films zu akzeptieren. Die Sympathien sind etwas zu klar verteilt, die Faszination dieses Kongo-Traums kommt nie beim Publikum an. Der für Debütanten so übliche Stilwille reicht selten über das kraftvolle und originelle Kostüm-Design hinaus.

Auch wenn Baloji in Interviews erklärt, jedes Kapitel und jede Figur mit einem eigenen Stil bedacht zu haben, verliert sich der Film in einer diffusen Gleichförmigkeit. Handkamerafahrten, Schwenks und starre Bildkader werden mit einem gewissen Pflichtbewusstsein eingesetzt, als wollte man kein Werkzeug einstauben lassen. Spürbar in Beziehung zur jeweiligen Szene stehen diese Mittel leider nur selten.

Die Dynamik wird daher zum Selbstzweck, die ostentative Vitalität kippt irgendwann in Taubheit um. Quasidokumentarischer Einschübe zum Trotz wirkt die Welt stets, als würde sie direkt außerhalb des Kamerablicks enden. Es ist nicht leicht, heimzukehren. Alle Intensitäten widersprechen und neutralisieren einander, und so weckt der Film wohl weder Liebe noch Hass, sondern vor allem Gleichgültigkeit.
 

 

 

 

Omen (2023)

Koffi ist besessen. Das glaubt zumindest seine Familie, die ihn deshalb Zabolo, Zeichen des Teufels, nennt. Er kehrt nach vielen Jahren erstmals an seinen Geburtsort im Kongo zurück, nachdem er dort jahrelang geächtet wurde. Koffi will sich den Segen der Familie für seine Heirat mit Alice einholen, mit der er in Belgien lebt. Doch die alten Feindseligkeiten sind weiterhin spürbar, einzig seine Schwester Tshala steht dem kollektiven Aberglauben kritisch gegenüber. Koffi will die Gründe für seine Ächtung verstehen und stößt dabei auf ein Familiengeheimnis. Und dann ist da noch Paco, ein Junge aus einer Straßengang, dessen Schicksal mit Koffis Leben verbunden zu sein scheint … 

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