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Zum Mythos Venedigs gehört schon immer die melancholische Atmosphäre der Vergänglichkeit. Auch der essayistische Dokumentarfilm von Giovanni Pellegrini fängt sie ein, versucht aber auch die besondere Überlebensgabe dieser Stadt zu ergründen, die unter den Touristenströmen und dem Klimawandel ächzt.

Lagunaria (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die schwer geprüfte Serenissima

Es gibt diese grauen Tage in der Lagune von Venedig, an denen Wasser und Himmel ineinander überzugehen scheinen. Die Landschaft der Salzmarschen oder Barenen mit ihren mäandernden Kanälen mutet wie verlassenes Brachland an, ein einsamer Fischer, der seine Netze und Reusen anbringt, wie der letzte seiner Art. Eine gedämpfte weibliche Stimme erzählt aus dem Off von einer legendären Stadt, die es hier einmal gegeben haben soll. Sie erklingt aus einer unbestimmten Zukunft und erwähnt die Sage vom Meeresgott, der sich mit der geliebten Stadt vereinen wollte, welche sich jedoch vor ihm zu verstecken trachtete. Die Kamera befindet sich in einem Gegenwartsraum, den sie offenbar im Verlauf mehrerer Jahre inspiziert. Sie gleitet lautlos durch die Kanäle, über die Dächer der Serenissima, die Stadt der Sehnsucht für Millionen Touristen aus aller Welt. Starkregen überflutet den Markusplatz.

Der Dokumentarfilm von Giovanni Pellegrini huldigt in traumwandlerisch entrückter Atmosphäre dem Mythos, aber auch der heutigen Realität der Stadt Venedig. Den Hochwassern, die der Scirocco regelmäßig aus der Lagune hereinfegt, trotzte die altehrwürdige Stadt über Jahrhunderte hinweg. Sogar ein aufwändiges neues System mobiler Sperren gibt es nun in der Bucht, um das historische Zentrum vor Sturmfluten zu schützen. Aber der Meeresanstieg im Zuge des Klimawandels und weitere Faktoren wie der absinkende Boden unter den Bauwerken führen zu pessimistischen Prognosen, wonach Venedig schon zu Ende dieses Jahrhunderts dauerhaft unter Wasser stehen könnte. Dieses Schicksal droht früher oder später vielen Städte auf der Welt.

Wie gehen die Venezianer mit der Krise um, suchen sie das Weite oder bleiben sie standhaft und finden neue Lösungen? Die fantasievolle Erzählung mäandert sanft von einer fiktional rückblickenden Interpretation zur nächsten. Sie wirkt dabei stets kontemplativ angesichts eines Rätsels. Was bleibt vom Wunder einer auf Inseln erschaffenen Stadt? Sollten die Menschen wirklich die Kraft verloren haben, ihre Schönheit zu bewahren? Die Kamera nimmt der Reihe nach die großen Probleme ins Visier, mit denen Venedig zu kämpfen hat, fahndet aber auch nach den Momenten, in denen das Alltagsleben unverzagt zum Vorschein kommt.

Restaurateure kümmern sich um den Mosaikboden einer Kirche nach dem Hochwasser. Rudermannschaften ziehen hinaus in die Lagune, junge Menschen lernen von der älteren Generation, wie man die Boote auf venezianische Art, im Stehen mit dem Ruder durch die Kanäle manövriert. Ein alter Mann transportiert mit zwei Helfern sein kleines Segelboot über eine Gasse und durch einen engen Hauseingang, für die er das Wegerecht besitzt, zur Kanalseite und lässt es zu Wasser. Künstler und Künstlerinnen malen für das Projekt der Red Regatta Segel in Rottönen an, in Anlehnung an das berühmte „Venezianische Rot“. Der Kinofilm bringt am Schluss die beeindruckende Ausdruckskraft dieser Kunstaktion zur Geltung, wenn die roten Segel zahlreicher Boote in der Lagune wie Kerzen leuchten. Wer dieses Bild sieht, weiß, dass Hoffnung für die Stadt besteht, solange es Venezianer gibt, die sie nicht aufgeben.

Die Kamera registriert, wie die Menschen bei Hochwasser auf Stegen die überfluteten Plätze queren, in Gummistiefeln oder Plastikgamaschen durch die Stadt waten. Sie nimmt einen der berüchtigten Ozeanriesen ins Visier, der sich an den Markusplatz heranpirscht, und die Touristenströme, die täglich anlanden. Dass in der Altstadt ganze Straßenzüge nur noch aus Touristenunterkünften bestehen, kommt in wenigen Szenen kursorisch zur Sprache. Abends brennt nur in wenigen Fenstern Licht. Stichpunktartig listet der Film die Probleme auf, prägnant, aber beiläufig. Gespräche werden aufgeschnappt, die Tonspur gehört Alltagsgeräuschen, einer sphärisch klingenden Musik oder der geheimnisvollen Erzählerin.

Pellegrinis Film hat im Corona-Lockdown auch die Chance genutzt – ähnlich wie Andrea Segres Moleküle der Erinnerung -, den Anblick der menschenleeren Stadt ausgiebig einzufangen. Ihre ikonischen Plätze und Brücken, aus dem Wasser ragenden Häuserzeilen werden zu einem Freilichtmuseum, das seine Tore noch nicht geöffnet oder schon geschlossen hat. Diese fast überirdische Schönheit ist aber verbunden mit den beklemmenden Gefühl von Verlassenheit und Abschied. So könnte dem Film zufolge auch die Zeit der Pandemie eine Mahnung nicht nur an die Bewohner dieser Stadt sein, sich neu auf ein besseres Zusammenleben, die Kraft der Gemeinschaft zu besinnen. Noch sind die Venezianer nicht verschwunden, mit ihrem über Jahrhunderte kultivierten Talent zum Navigieren, zum Ausgleich zwischen den Elementen Wasser und Erde, zwischen Natur und Menschenwerk.

Lagunaria (2023)

Eine Stimme aus einer fernen Zukunft erzählt von einer verschwundenen Stadt, die einst zu den berühmtesten der Welt gehörte: Venedig. Inmitten von Legenden, Ritualen und Hörensagen beschreibt der Erzähler ihr tägliches Leben, das aus Booten besteht, und ihre tiefe Beziehung zur Lagune, die sie umgibt. Hat diese Stadt jemals existiert? War sie jemals bewohnt, oder war sie ein Touristenpark? Hat sie die Überschwemmungen und Plagen überlebt? Ist es ihren Bewohnern gelungen, eine neue Form des Zusammenlebens zu finden? Das Ergebnis ist eine Geschichte einer einzigartigen und zerbrechlichen Stadt, die auf eine bestimmte Weise von jeder Stadt der Welt spricht.

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