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Klaus Härö schildert in „My Sailor, My Love“ eine konfliktreiche Dreieckskonstellation mit spannenden Schauspielleistungen.

My Sailor, My Love (2022)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Eine hoffnungsfrohe und eine enttäuschte Liebe

Die Krankenschwester Grace kümmert sich trotz privater Probleme aufopferungsvoll um ihren grantigen Vater Howard, einen pensionierten Kapitän. Als der Witwer sich in die einfühlsame Haushälterin verliebt, die Grace für ihn eingestellt hat, brechen schmerzhafte Wunden auf, die das gestörte Vater-Tochter-Verhältnis schon lange belasten. Der finnische Regisseur Klaus Härö hat damit seinen ersten englischsprachigen Spielfilm über zwei fragile Liebesbeziehungen an malerischen Schauplätzen an der rauen irischen Westküste inszeniert. 

Der ehemalige Seemann Howard (James Cosmo) lebt allein in einem großen alten Haus an der Küste Irlands. Seit seine Frau vor Jahren im Meer ertrunken ist, hat er sich weitgehend zurückgezogen und ist zu einem mürrischen Einzelgänger geworden. Weil er kaum noch im Stande ist, den Haushalt zu bewältigen, denkt seine fürsorgliche Tochter Grace (Catherine Walker) bereits daran, ihn in einem Heim unterzubringen. Weil er das aber ablehnt und ohnehin kein Platz frei ist, heuert sie die bescheidene Witwe Annie (Brid Brennan) als Haushälterin an. Zunächst zeigt sich Howard ihr gegenüber sehr unhöflich und abweisend, besinnt sich jedoch und entschuldigt sich. 

Annie kann gut kochen, sorgt liebevolle für Howard und lässt ihren Charme spielen. Es dauert nicht lange, bis die beiden vertraut werden und romantische Gefühle zeigen. Die überarbeitete Grace reagiert gereizt und eifersüchtig auf die neue Konstellation, zumal ihre Ehe mit dem Redakteur Martin (Aidan O’Hare) kriselt und sie ihre anstrengende Stelle in einem Krankenhaus verliert. Während sie mitansehen muss, wie sich Howard bei Ausflügen und Feiern Annies weitläufiger Familie um sich schart, brechen alte Wunden auf und treten traumatische Erfahrungen zu Tage, die ein neues Licht auf den Witwer werfen.  

Der versierte finnische Regisseur Klaus Härö, dessen Filme wie Elina (2003) oder One Last Deal (2019) auf Festivals weltweit mehr als 60 Preise gewonnen haben, und das Drehbuchautorenduo Kirsi Vikman und Jimmy Karlsson erzählen gleich zwei Geschichten über die Liebe: eine späte Liebe unter Senior/innen und eine beschädigte Eltern-Kind-Liebe. Bemerkenswert ist bei der Charakterisierung der Hauptfiguren, dass Howard und Grace weitreichende Entwicklungen durchlaufen, während Annie geradezu statisch bleibt. 

Die Witwe, die offenbar eine unglückliche Ehe hinter sich hat, dient dabei quasi als Katalysator: Sie befreit Howard aus der selbstgemachten Isolation und bewirkt indirekt, dass er und seine Tochter sich mit der verdrängten Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Vorangetrieben wird das geradlinig erzählte Liebes- und Familiendrama zugleich durch Howards Gesundheitszustand, der sich rapide verschlechtert. Während die späte Romanze eher im Konventionellen verharrt, entwickeln die schrittweise enthüllten Spätfolgen einer lebenslangen Vernachlässigung und emotionalen Misshandlung von Grace eine existenzielle Wucht. 

Ein zentrales Problem in der Dreierkonstellation ist das Schweigen, das bestehende Konflikte verschlimmert und neue Konflikte schürt. So verschweigt Howard gegenüber Grace, deren Fürsorge ihm auf die Nerven geht, dass Annie bei ihm eingezogen ist. Und Annie lässt er lange im Unklaren über seine folgenreiche Krankengeschichte. Grace wiederum tut sich in der Gruppentherapie, zu der Martin sie überredet hat, schwer, ihre Probleme überhaupt auszusprechen. Und verlässt die Runde am Ende im Sturmschritt, weil sie das therapeutische Unterfangen für nutzlos hält. 

Die figurengetriebene Inszenierung wird vor allem getragen von soliden Darstellerleistungen und der ruhigen Bildgestaltung, wobei der Kameramann Robert Nordström die vielen kammerspielartigen Szenen in Innenräumen ebenso souverän komponiert wie die Totalen der rauen Küstenlandschaft. Der Schotte James Cosmo, der in seiner langen Karriere dank seiner Körpergröße oft Heldenrollen übernommen hat, spielt auch eine gebrochene Figur wie Howard überzeugend. Seiner charmanten nordirischen Kollegin Brid Brennan (Dancing at Lughnasa) nimmt man sofort ab, dass sie als charmante Witwe Howards harte Kruste aufweichen und romantische Gefühle erwecken kann. 

Den stärksten Eindruck hinterlässt jedoch die 1975 geborene Irin Cathrine Walker (Napoleon), die mit Grace die komplexeste Figur verkörpert. Wie sie mit sparsamer Mimik und Gestik die Problemfülle und innere Zerrissenheit der Tochter zur Anschauung bringt, ist großartig gespielt. Dass sie zur heimlichen Heldin des Films avanciert, der auf Festivals in Chicago, Nantucket und Wisconsin jeweils den Publikumspreis gewann, verrät der klassische Zirkelschluss: Wie am Anfang fährt ihre Grace auch am Ende des Films mit dem Auto eine einsame Küstenstraße entlang. 

My Sailor, My Love (2022)

Der pensionierte Kapitän Howard lehnt jede Hilfe seiner Tochter ab, ihm zur Hand zu gehen. Doch als sie die Pflegerin Annie engagiert, verliebt sich der alte Seebär prompt in sie und überschüttet sie mit all der Liebe, die er seiner Tochter niemals angedeihen ließ.

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